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Koalitionsgipfel
"Die CSU stellt sich an wie ein bockiges Kind"

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley gibt der CSU die Schuld für Unstimmigkeiten in der Großen Koalition. Die Christsozialen stellten sich vor allem Bundeskanzlerin Merkel gegenüber an wie ein bockiges Kind, sagte Barley im Deutschlandfunk. Ihnen gehe es nur um sich selbst.

Katarina Barley im Gespräch mit Sandra Schulz | 12.09.2016
    Die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley beantwortet am 01.02.2016 im Willy-Brandt-Haus in Berlin Fragen von Journalisten.
    SPD-Generalsekretärin Katarina Barley (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Barley kritisierte, ihre Partei habe koalitionsintern bereits viele Entwürfe vorgelegt, etwa zur Lohngleichheit von Frauen und Männern. Doch man komme nicht voran, weil die Unionsparteien in ihrem Kleinkrieg verhaftet seien. Barley verwies auch auf die nötige Erbschaftssteuer-Reform. Während SPD und CDU hier konstruktiv zusammenarbeiteten, blockiere die CSU nur. "Der CSU geht es immer nur um sich selbst, und zwar schon lange."
    Seehofer steigt in seine Limousine, jemand öffnet ihm die Tour. Daneben zwei weitere Personen, eine winkt jemandem zu. 
    In der Kritik der SPD: CSU-Chef Seehofer nach dem Koalitionsgipfel. (dpa / Rainer Jensen)
    Barley betonte, die SPD mache in der Regierung einen guten Job. Sie sehe nicht ein, dass sich ihre Partei stets für die Fehler der CSU mitverantwortlich machen lassen müsse.
    Grund für die Verweigerungshaltung der CSU vor allem in der Flüchtlingspolitik sei deren Angst vor der Alternative für Deutschland, meinte die SPD-Generalsekretärin. Wer aber der AfD hinterlaufe, mache sie nicht kleiner, sondern verleihe ihr ein Gütesiegel.
    Ein Flüchtling schaut in Eisenhüttenstadt aus dem Fenster einer Erstaufnahmestelle.
    Einer der Hauptstreitpunkte in der Koalition: Die Flüchtlingspolitik. (pa/dpa/Pleul)
    Barley verteidigte die jüngsten Äußerungen des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, wonach die Integrationsfähigkeit des Landes eine Flüchtlings-Obergrenze darstelle. Gabriel habe damit die Banalität ausgesprochen, dass ein Land nicht jedes Jahr beliebig viele Menschen aufnehmen könne. Gabriel habe aber auch betont, dass hierzulande Schutz bekomme, wer politisch verfolgt sei. Die Migration müsse jedoch kontrolliert ablaufen, weshalb man ein Einwanderungsgesetz brauche. Aber auch hier blockiere die CSU, so Barley.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Die Lage sei höchst bedrohlich für die Union. Die Menschen wollten diese Berliner Politik nicht. Mit scharfen Angriffen auf die Kanzlerin hatte CSU-Chef Horst Seehofer in dieser Woche die Flüchtlingspolitik ja wieder zum Thema gemacht, nach den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, bei denen die CDU erstmals hinter der AfD gelandet war auf Platz drei. Diese Berliner Politik wird nach wie vor gemacht von der Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD, und deren Chefs haben sich gestern getroffen. Wir wollen in den kommenden Minuten schauen auf die Arbeit der Großen Koalition. Am Telefon begrüße ich die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley. Guten Morgen.
    Katarina Barley: Guten Morgen!
    "CDU und CSU sind im Moment so in ihrem Kleinkrieg verhaftet"
    Schulz: Die drei Parteichefs haben sich jetzt darauf geeinigt, dass sie sich einigen wollen in wichtigen Sachfragen. Warum haben sie es nicht gleich gemacht?
    Barley: Das ist eine gute Frage. Die SPD hat in vielen dieser Bereiche schon längst Entwürfe vorgelegt, zum Beispiel bei der Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen. Da liegt seit langem ein Gesetzentwurf von Manuela Schwesig vor. Bei der Angleichung der Ostrenten hat Andrea Nahles ebenfalls schon was vorgelegt. Aber CDU und CSU sind im Moment so in ihrem Kleinkrieg verhaftet, dass da offensichtlich nichts geht, und deswegen war für uns sehr wichtig festzulegen, dass diese Themen jetzt endlich angepackt werden müssen.
    Schulz: Ich würde gerne auf eines der Sachthemen schauen: die Erbschaftssteuer. Da hatte das Bundesverfassungsgericht ja schon vor zwei Jahren gesagt: Das Gesetz, das ihr gemacht habt als Große Koalition, das ist verfassungswidrig, es verschont reiche Erben zu stark, jetzt macht das bitte neu bis Ende Juni 2016. Die Einigung - Sie haben sie auch gerade noch mal skizziert -, die zieht sich jetzt weiter hin. Karlsruhe schreibt die Regeln jetzt möglicherweise vielleicht gleich selbst. Wie erklären Sie jetzt den Menschen, die vielleicht sowieso schon diese Skepsis haben, die etablierten Parteien da in Berlin, die kriegen es einfach nicht hin, dass das ein Irrtum sein soll?
    Barley: Ja, die Erbschaftssteuer ist tatsächlich insofern schwierig, als wir diese Frist haben.
    Schulz: Hatten!
    Barley: Die besteht ja noch von Seiten des Bundesverfassungsgerichts. Das hat sie aufgestellt. Der Bund hat ja eine Lösung vorgelegt. Die SPD und die CDU haben in dem Fall ziemlich konstruktiv zusammengearbeitet. Und dann, als der Sack schon zu war, kam die CSU und wollte das alles noch mal aufschnüren, hat blockiert, blockiert, blockiert. Und ja, ich kann den Menschen die Botschaft nicht ersparen, dass die CSU blockiert wo sie kann, dass es ihr derzeit im Grunde genommen nur um sich selber geht, und zwar schon ziemlich lange.
    "Wir können uns doch nicht für die Fehler der CSU mit verhaften lassen"
    Schulz: Sie erklären da jetzt die CSU zum allein Verantwortlichen. Das passt zu den scharfen Angriffen, die ja auch von Sigmar Gabriel jetzt kamen, es gebe eine Banalisierung der Politik. Aber wenn das jetzt alles immer in diese Richtung geht, schuld sind die anderen, ist das nicht tatsächlich auch Futter für die Skepsis der Leute, die sagen, die kriegen es nicht gebacken?
    Barley: Ja! Aber was wahr ist, muss ja wahr bleiben. Wir werden dann immer in einen Topf geworfen. Dann heißt es immer, die Koalition. Dann kommt man meistens schnell auf die Umfragewerte der SPD. Da muss man uns schon zugestehen, dass wir sagen, wir machen hier in dieser Koalition einen richtig guten Job. Alle großen Gesetzesvorhaben der letzten drei Jahre stammen aus unserer Feder und wir machen auch weiterhin einen guten Job. Wir können uns doch nicht für die Fehler der CSU mit verhaften lassen. Ich sehe das nicht ein. Die CSU stellt sich an wie ein bockiges Kind, gegenüber der eigenen Kanzlerin vor allen Dingen, und den Schuh kann und will ich mir nicht anziehen.
    Schulz: Aber ist es nicht banal, den Koalitionspartner - Sie sind ja eine Regierung, Sie haben es ja gerade noch mal gesagt und auf Ihre Umfragewerte von knapp 20 Prozent auch selbst hingewiesen -, ist es da nicht eine Banalisierung, einem Koalitionspartner bockiges Verhalten vorzuwerfen?
    Barley: Es ist keine Banalisierung. Das Wichtigste ist, gute Arbeit zu machen, und das tun wir. Das tun wir jetzt seit über drei Jahren. Und das muss dann auch irgendwie in den Vordergrund gestellt werden, weil darum geht es am Ende. Das Problem ist tatsächlich: Der CSU geht es derzeit nur um sich selbst. Sie hat Angst vor der AfD. Das haben sie ja im Einspieler auch gesagt. Nur indem man sich der AfD angleicht, macht man sie nicht kleiner, sondern man macht sie wichtiger und man verleiht ihr im Prinzip noch ein Siegel. Das ist im Moment der Fehler, den die CSU macht.
    Schulz: Frau Barley, aber wenn Sie so gute Politik machen, wie Sie sagen, warum wählen denn so viele Menschen, die früher SPD gewählt haben, heute die AfD?
    Barley: Weil in der öffentlichen Wahrnehmung gerne die Koalition in einen Topf geschmissen wird. Das ist unser größtes Problem. Uns ist die ersten Jahre immer mangelnde Unterscheidbarkeit vorgeworfen worden. Deswegen ist es natürlich für uns wichtig zu sagen, wir haben den Mindestlohn durchgesetzt, wir haben die Rente mit 63 durchgesetzt, wir haben die Mietpreisbremse durchgesetzt, und wir werden auch weiterhin für unsere Projekte kämpfen: für die Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, für die Angleichung der Ostrenten. Das ist das, was wir tun.
    "Die AfD benennt Probleme, hat aber keine Lösungen"
    Schulz: Sie haben aber auch einen Vorsitzenden, der gesagt hat, die Menschen dürften nicht das Gefühl bekommen, für Flüchtlinge, für die werde alles gemacht und für uns nicht. Formuliert da nicht gerade der SPD-Chef Vorbehalte, die die AfD dann ihrerseits ja in Stimmen ummünzt?
    Barley: Der Unterschied ist ja, dass wir tatsächlich etwas tun. Die AfD benennt Probleme, hat aber keine Lösungen und gibt sich auch gar keine Mühe, Lösungen anzubieten. Wir machen konkrete Politik. Als Sigmar Gabriel das angesprochen hat, hat er ja im gleichen Atemzug gesagt, deswegen müssen wir zum Beispiel die Kita-Plätze deutlich aufstocken, deswegen müssen wir die Maßnahmen für Langzeitarbeitslose deutlich aufstocken, damit man nicht entscheiden muss, gibt man diese Maßnahme einem Langzeitarbeitslosen oder einem Flüchtling, weil beide sie brauchen. Deswegen haben wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau deutlich aufgestockt. Die Menschen müssen schon das Gefühl haben, dass man sieht, was sie denken, aber man muss dann auch die Lösung anbieten, und das ist die SPD, die das tut.
    Schulz: Aber das scheinen ja gerade so viele Menschen nicht zu sehen. - Wenn ich jetzt noch ein Thema rausgreife, die Diskussion um die Obergrenze, da ist es jetzt seit einem Jahr die Konstellation, dass die CSU die Obergrenze fordert für Flüchtlinge bei 200.000 und die CDU die ablehnt. Und die SPD - das ist ja eben auch skizziert worden -, die steht dazwischen. Die hat einen Chef, der sagt: Na ja, beides stimmt. Das ist eine so zentrale Frage im letzten Jahr gewesen. Warum positioniert die SPD sich dazu nicht klar?
    Barley: Gestatten Sie mir erst noch einen Satz zu diesen Umfragen, weil das ist was, was mir inzwischen wirklich ziemlich gegen den Strich geht. Wir werden immer nur an diesen Umfragen gemessen und nicht an dem, was wir wirklich tun, und genau der umgekehrte Effekt entsteht bei der AfD. Wenn man immer sagt, na ja, sie machen ja eine tolle Arbeit, aber die Umfragewerte sind nicht hoch genug, dann heißt das immer, na ja, so toll kann es offenbar nicht sein. Bei der AfD ist es genau umgekehrt. Die kriegt ja so hohe Umfragewerte, dann muss das ja eine tolle Partei sein. Es wäre wichtig, wenn wir auch in den Gesprächen, die wir führen, mehr auf den Inhalt gucken als nur auf Zahlen, die sowieso auch immer nur eine Momentaufnahme bilden. - Ich will der Frage aber nicht ausweichen, keine Sorge.
    "Wir brauchen dringend ein Einwanderungsgesetz"
    Schulz: Aber wir sprechen ja auch gar nicht nur über Umfragen, Frau Barley, sondern wir sprechen auch über Wahlergebnisse. Das wollte ich nur kurz ergänzen.
    Barley: Ja, und die waren zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern für uns super. Die SPD haben mehr Menschen in absoluten Zahlen gewählt als beim letzten Mal. Und wir haben zum Beispiel in der Berliner Runde, in der ich war, eine halbe Stunde lang ausschließlich über die AfD gesprochen. Ich habe gestern Berichte zum Kommunalwahlkampf in Niedersachsen gesehen in der Tagesschau. Da ging es nur um die AfD! Da verschiebt sich auch irgendwann die Wahrnehmung. Das ist so, wie jetzt nur über Flüchtlinge geredet wird, obwohl wir lange nicht mehr die Situation haben wie beim letzten Mal. Lassen Sie uns über die Themen sprechen, die die Menschen wirklich interessieren.
    Schulz: Und die Frage zur Obergrenze, die interessiert ja viele.
    Barley: Ja, die Obergrenze. Genau! Jetzt sind wir wieder bei den Flüchtlingen anstatt bei dem Thema, haben die Alleinerziehenden am Ende des Monats genug Geld in der Tasche. Gut, aber wir reden über die Obergrenze.
    Was Sigmar Gabriel gesagt hat, ist ja nicht ein Wort, sondern er hat das in einen Zusammenhang gestellt. Und er hat gesagt, das war ja im Prinzip eine Banalität, dass ein Land natürlich nicht jedes Jahr beliebig viele Menschen neu aufnehmen kann. Aber was er auch gesagt hat und was wir immer gesagt haben ist: Wer politisch verfolgt ist, der bekommt hier Schutz, und wir müssen endlich anfangen, für die Menschen, die aus anderen Gründen hier herkommen wollen, einen anderen Weg aufzuzeigen, der kontrolliert ist, wo auch Deutschland sagen kann, Du kannst kommen und Du nicht, weil wir ja in bestimmten Bereichen Zuwanderung brauchen. Mit anderen Worten: Wir brauchen dringend ein Einwanderungsgesetz, und auch da blockiert leider schon seit vielen Jahren die Union.
    Schulz: Die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley heute hier bei uns im Interview mit dem Deutschlandfunk. Danke für Ihre Einschätzungen.
    Barley: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.