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Koalitionskrise in Sachsen-Anhalt
Streit um den ehemaligen Todesstreifen

An der ehemaligen innerdeutschen Grenze starben allein 88 Menschen in Sachsen-Anhalt. Der frühere Todesstreifen soll nun zu einem nationalen Naturmonument ausgewiesen werden. Einige Landwirte sehen sich bereits enteignet, anderen kommt die Erinnerungskultur zu kurz. Die Koalition droht am Grünen Band zu scheitern.

Von Christoph D. Richter | 12.06.2019
Ein verwitterter Grenzpfosten der DDR an der früheren innerdeutschen Grenze
Eine ehemalige Grenze wird zum Streitfall (dpa / Jens Wolf)
"Wir sind am Rande des Todesstreifens, damit auch am Rand des Grünen Bandes. Dadurch sind wir rundum betroffen von dem Vorhaben Grünes Band. …."
Landwirt Eberhard Reckleben zeigt auf ein zehn Hektar großes Feld, auf dem er Bio-Hafer anbaut.
"Dieses Biotop pflege ich seit 30 Jahren. Nicht der Landtag, die CDU-Fraktion, auch nicht die Grünen, sondern ich. Aber wenn Sie darüber gucken, müssen Sie mir erklären, warum der Acker ein Biotop ist. Das ist mein Acker. Wenn jetzt möglicherweise jemand kommt, der sagt, er will was anderes haben, dann kann er das gerne verfolgen. Dann muss er aber mit mir drüber reden müssen."
Eberhard Reckleben fühlt sich übergangen. Sollte das Grüne Band einen neuen Schutzstatus erhalten, dann könne er diesen Acker möglicherweise nicht mehr bewirtschaften. Die Landesregierung will den früheren Todesstreifen zu einem nationalen Naturmonument ausweisen lassen. So steht es im Koalitionsvertrag.
CDU fürchtet zweite Enteignung der Landwirte
Vor allem für Bündnis 90/Die Grünen ein wichtiges Anliegen, sie favorisieren eine möglichst lückenlose Unterschutzstellung der Flächen. Genau das aber treibt der CDU Zornesröte ins Gesicht. Der Vorwurf: Die Grünen wollten Landwirte, die Flächen auf dem früheren Todesstreifen haben, nach 1945 ein zweites Mal enteignen. Ein Tonfall, der Reckleben irritiert. Aber klar sei auch, sagt der Bio-Landwirt und studierte Forstwissenschaftler, dass er seine Flächen so einfach nicht hergeben werde.
"Bin weder CDU-Mitglied, noch habe ich sie eingeladen. Ich kann aber sagen, dass ich froh bin, dass sich einer mit der Frage befasst. Aber es ist falsch zu sagen, ich werde enteignet, weil es noch gar nicht klar ist."
Einstige Enteignung durch die Bodenreform
Seine Vorfahren bewirtschafteten schon vor mehr als 100 Jahren das Gut in Wülperode, das direkt an der Grenze zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt liegt. In der Ferne erhebt sich der Brocken. Nach dem Zweiten Weltkrieg floh die Familie in den Westen, die 400 Hektar großen Flächen der Recklebens wurden im Rahmen der sogenannten Bodenreform enteignet. Kurz nach dem Mauerfall sind die Recklebens zurückgekommen, haben die Flächen zurück gekauft, die Gebäude saniert. Ein Juwel ist die preußische Fachwerkkirche.
"Und das ist auch ein Grund, warum ich das sehr eng sehe. Es ist auch so, dass ich bei Tauschangeboten emotional ein großes Problem habe, die Flächen irgendwo hinzugeben. Ich bin hierher gekommen, weil es meine Heimat ist. Das soll es auch bleiben."
Lebenslinie für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten
Grenztürme stehen bei Milz (Thüringen) auf dem früheren Todesstreifen, der heutigen Grenze zwischen Thüringen und Bayern. Knapp 1.400 Kilometer zieht sich das "Grüne Band" auf der einstigen DDR-Staatsgrenze von der Ostsee bis ins Vogtland.
Kulturlandschaft "Grünes Band". Wo früher der Todesstreifen war, ist jetzt vielfach nur Natur. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
Für den BUND – den Bund für Umwelt und Naturschutz – ist der einst 1.400 Kilometer lange Todesstreifen eine Lebenslinie, bietet er doch zahlreichen bedrohten Pflanzen- und Tierarten einen Rückzugsraum. Doch diese Begeisterung können nicht alle teilen.
"Wenn ich höre, ein völlig durchgängiges Grünes Band, ohne, dass man dann wieder die Naturschutzflächen betreten kann, das ist bei mir im Kopf und bei vielen Menschen – da entsteht wieder eine im Kopf gezogene Grenze. Wieder Trennung zwischen Ost und West."
CDU-Mitglied Gabriele Brakebusch hat lange in Harbke gelebt. Der Ort lag früher im Sperrgebiet, in unmittelbarer Nähe zum einst größten deutsch-deutschen Grenzübergang Marienborn. Sie leide noch heute unter dem Trauma der deutschen Teilung, so die Magdeburger Landtagschefin Brakebusch.
"Bin mit 19 nach Harbke gezogen, wo das für mich unerträglich war. Das heißt, keine Familienangehörigen zweiten Grades durften rein. Man hatte keine Freiheit einfach so auf den Straßen zu gehen, ohne einen Ausweis immer bereit zu halten. Da sind so viele Dinge, die immer wieder hochkommen."
"Dieses Grüne Band ist nicht irgendein Naturschutzgebiet"
Unterstützung bekommt die CDU-Politikerin auch von der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker. Sie ist Mitglied der Grünen - steht dem Projekt des BUND trotzdem skeptisch gegenüber.
"Was bisher ein Stückchen zu kurz gekommen ist, dass dieses Grüne Band nicht irgendein Naturschutzgebiet ist, sondern eben die ehemalige innerdeutsche Grenze. An der es in Sachsen-Anhalt 88 Todesopfer gegeben hat. Und das Menschen in Angst und Schrecken versetzt hat. Diese Erinnerung muss jetzt stärker in die Arbeit des Grünen Bandes hineinfließen. Die Sicherung von Erinnerungsorten, von Grenztürmen, von Grenzanlagen."
So argumentiert auch Sachsen-Anhalts CDU: In dem Projekt des BUND komme die Erinnerungskultur zu kurz und der Naturschutz zu viel Gewicht. Einzelne CDU-Landtagsabgeordnete finden harsche Worte für das Motto der Grünen: "Nationales Naturmonument. Vom Todesstreifen zur Lebenslinie." So auch der 52-Jährige Betriebswirt Guido Heuer.
"Lebenslinien heißt für mich: Naturschutz als Verbotskultur. Das muss man mal deutlich sagen. Lebenslinien heißt auch Normalität, wo man sich über den ehemaligen Todesstreifen, über den ehemaligen Kolonnenweg bewegen kann, ohne Einschränkungen."
Todesstreifen als Knackpunkt für die Koalition
Erst wenn alle rechtlichen Fragen geklärt seien – also ob letztlich Landwirte enteignet werden können, ob Landwirte ihre Äcker wie bisher bearbeiten können – erst dann könne der Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht werden, argumentiert Heuer. Reine Verzögerungstaktik, glauben die Grünen. Sie wollen, dass das Projekt am 9. November dieses Jahres in Kraft tritt, dem 30. Jahrestag des Mauerfalls. Und werfen der CDU Blockadehaltung vor. Dazu Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann:
"Die CDU muss jetzt beweisen, ob sie für oder gegen Grüne regieren will. Die CDU muss beweisen, ob sie für Klima- und Artenschutz oder dagegen."
Verabredet ist, dass sich die drei Regierungspartner CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bis zum morgigen Donnerstag auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf verständigen wollen.
"Bis 13. Juni, 13:59 Uhr können Dinge für die nächste Landtagssitzung eingebracht werden. Das ist der Zeitpunkt, wo wir sehen, ob die Koalitionspartner an unserer Seite sind. Wir sind aus inhaltlichen Gründen in die Koalition gegangen. Wenn wir aber feststellen müssen, dass die Vertragsgrundlage nicht mehr besteht, dann gibt es für uns Grüne keinen Grund mehr in der Koalition zu bleiben."

Den Ernst der Lage hat inzwischen auch CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff erkannt und appelliert an die Vernunft aller Beteiligten.
"Wir sind gut beraten, wenn wir ein gerütteltes Maß an Professionalität an den Tag legen. Dass wir uns hüten vor zu schnellen Reaktionen, dass wir behutsamer miteinander umgehen."