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Koalitionsstreit um Mindestlohn
"Ich möchte auch in Zukunft eine regionale Spargelproduktion haben"

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl pocht weiterhin auf Ausnahmen beim Mindestlohn. Insbesondere für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft brauche es gesonderte Regelungen, so Strobl im Deutschlandfunk. Anders sei eine heimatnahe Produktion von Nahrungsmittel nicht möglich.

Thomas Strobl im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 12.06.2014
    Thomas Strobl, der Landesvorsitzende der CDU Baden-Württemberg, spricht am 27.05.2014 in Stuttgart (Baden-Württemberg) bei einer Pressekonferenz zu Journalisten.
    Der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Thomas Strobl (dpa / Bernd Weissbrod)
    Bei der Debatte um Lohnuntergrenzen gelte es, nicht nur die Industrie, sondern auch die Landwirtschaft im Auge zu behalten. Für den Erhalt "regionaler, heimatnaher Produktion gesunder Nahrungsmittel" brauche es Ausnahmen vom Mindestlohn, glaubt Strobl. Ansonsten drohe die Abwanderung der Agrarproduktion ins Ausland, so der CDU-Wirtschaftspolitiker.
    Für unbezahlte Praktika von bis zu sechs Wochen
    Dass in der Landwirtschaft "Hungerlöhne" bezahlt würden, bezweifelt Strobl zudem. Osteuropäische Saisonarbeiter lebten von den hier in wenigen Wochen erwirtschafteten Löhnen zum Teil ein ganzes Jahr. Sie seien "sehr froh, dass sie diese Arbeit bei uns machen können". Darüber hinaus müsse es weiterhin möglich sein, bis zu einem Zeitraum von sechs Wochen Praktika unbezahlt zu belassen.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: In der Union werden in diesen Tagen einige Leute nervös. Der Grund dafür ist der geplante Mindestlohn von 8,50 Euro, flächendeckend in ganz Deutschland. Den will die Große Koalition noch vor der Sommerpause in den Bundestag bringen und als Gesetz beschließen lassen. Aber gerade dem Wirtschaftsflügel der CDU, dem gehen diese Pläne zu weit. Am Telefon ist jetzt der Abgeordnete Thomas Strobl, CDU-Bundesvize und Wirtschaftspolitiker seiner Partei. Schönen guten Morgen.
    Thomas Strobl: Guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Strobl, was genau stört Sie am Gesetzentwurf?
    Strobl: Na ja, zunächst einmal ist das ja eine positive Botschaft, weil wir wollen, dass es für eine ordentliche Arbeit auch eine ordentliche Bezahlung gibt.
    "Brauchen zumindest eine Übergangsregelung"
    Armbrüster: Aber nicht für alle!
    Strobl: Wir wollen aber vor allem auch, dass Arbeitsplätze auch in der Zukunft erhalten bleiben, und wir glauben, dass es an einigen Punkten Differenzierungen geben muss. Beispielsweise, schauen Sie: Wir haben gerade eine Zeit, viele Menschen essen gerne Spargel, ich selber auch, und ich möchte schon, dass wir auch in Zukunft eine regionale Produktion von Erdbeeren, von Kopfsalat, von Gurken und von Spargel haben und wir das nicht alles aus dem Ausland importieren müssen. Das betrifft die Saison-Arbeitskräfte und da brauchen wir zumindest eine Übergangsregelung, weil ansonsten eine landwirtschaftliche Produktion dieser Sonderkulturen in Deutschland nicht mehr möglich ist.
    Armbrüster: Glauben Sie nicht, dass es den Deutschen zu vermitteln sein wird, dass sie künftig vielleicht etwas mehr für Gemüse und für Obst zahlen müssen und dass sie dafür aber auch das Gefühl haben, dass niemand dafür mit Hungerlöhnen abgespeist wird?
    Strobl: Am besten ist, man orientiert sich an den Realitäten, und die Realität ist, dass landwirtschaftliche Produkte nur zu einem bestimmten Preisniveau zu vermarkten sind. Natürlich: Wenn man die Menschen fragt, bist Du auch bereit, für das Kilo Spargel etwas mehr zu bezahlen, dann wird das sozusagen flächendeckend mit Ja beantwortet, und die Realität ist wie im Übrigen bei vielen anderen Nahrungsmitteln - ich füge hinzu: leider auch -, dass doch dann vor allem auch auf den Preis geschaut wird. Ich finde, man sollte solche Sorgen ernst nehmen, und wissen Sie, ob das Hungerlöhne sind, da mache ich auch ein Fragezeichen dahinter. Die Saison-Arbeitskräfte, die aus Osteuropa zu uns kommen, die leben ja nicht einen Monat von dem, was sie hier in wenigen Wochen verdienen, sondern die ernähren ihre Familie ein ganzes Jahr in ihrem Heimatland. Sie sind sehr froh, dass sie diese Arbeit bei uns machen können, und sie wären sehr unglücklich, wenn sie diesen Arbeitsplatz bei einem Landwirt, bei einem Bauern in Deutschland in der Zukunft nicht mehr hätten. Häufig sind es ja Saison-Arbeitskräfte, die über viele Jahre, ja über viele Jahrzehnte beim selben Landwirt für einige Wochen im Jahr arbeiten.
    "Müssen für Sondersituation auch eine passende Regelung schaffen"
    Armbrüster: Und warum hat die SPD das alles nicht verstanden?
    Strobl: Die SPD versteht das. Wir sind ja mit den Sozialdemokraten im Gespräch. Und ja, der leider verstorbene sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Peter Struck hat einmal gesagt - man nennt das auch das Strucksche Gesetz -, kein Gesetz geht in den Bundestag so hinein, wie es dann auch herauskommt. Das ist auch mein Verständnis von parlamentarischen Beratungen, dass wir das sehr ernst nehmen und dass wir da, wo es notwendig ist, entsprechende Regelungen schaffen und das auch nachsteuern. Noch einmal: Es gilt der Grundsatz, für eine ordentliche Arbeit muss es eine ordentliche Bezahlung geben, und ich selber - meine Heimat ist ja Baden-Württemberg -, ich weiß auch, dass in der Industrie, in den Familienbetrieben, im Mittelstand, beim Handwerk das so gesehen wird und das auch keine größeren Probleme macht. Und da, wo es eine Sondersituation gibt, da müssen wir für diese Sondersituation auch eine passende Regelung schaffen.
    Armbrüster: Herr Strobl, aber wenn Sie das jetzt mit der ordentlichen Bezahlung so oft wiederholen, müssen wir uns dann nicht vor Augen halten, wir haben in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten viele Branchen quasi dichtgemacht oder ins Ausland abgegeben, weil wir gemerkt haben, das lässt sich einfach mit unserem Lohnniveau hier in Deutschland nicht mehr vereinbaren, wir wollen eben gute Löhne in Deutschland zahlen, und müssen wir dann nicht vielleicht auch sagen, gut, wenn es eben nicht mehr geht mit der Spargelproduktion, mit dem Spargelanbau und mit bestimmten Obst- und Gemüsesorten, dann geht es halt nicht, dann kriegen wir das alles aus dem Ausland?
    Strobl: Nein. Mit Verlaub, da bin ich wirklich diametral anderer Auffassung. Ich möchte, dass wir auch in Zukunft eine regionale Produktion, eine heimatnahe Produktion gesunder und guter Nahrungsmittel in Deutschland haben, und das ist schon eine Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten. Man könnte Ihren Gedanken ja weiterspinnen und könnte sagen, na ja, es ist in Deutschland eigentlich auch nicht unbedingt notwendig, dass wir eine industrielle Produktion haben, warum produzieren wir in Deutschland beispielsweise Autos. Und auch hier habe ich eine klare Meinung.
    "Nicht nur die Industrie im Auge haben"
    Armbrüster: Aber wir produzieren die ja genau zu ordentlichen Löhnen, zu Löhnen, die sicher deutlich über 8,50 Euro pro Stunde liegen.
    Strobl: Das ist in der Automobilindustrie ganz, ganz sicher so, das kann ich Ihnen als Baden-Württemberger absolut bestätigen. Aber ich bin für industrielle Produktion in Deutschland ohne Wenn und Aber. Darüber wird ja auch politisch gestritten und es haben sich ja ganze Länder entschieden, im Grunde genommen sich zu deindustrialisieren. Aber wir sollten nicht nur die Industrie im Auge haben, nein! Auch die Landwirtschaft beispielsweise gehört zur Wirtschaft. Und noch einmal: Ich möchte auch als Bürger, als Verbraucher, dass wir in Zukunft gute Nahrungsmittel in der Region, regionale Nahrungsmittel produzieren können.
    Armbrüster: Soll es denn auch weiter möglich sein, Praktikanten wochen- oder monatelang für umsonst zu beschäftigen?
    Strobl: Das soll auf jeden Fall auch weiter möglich sein bis zu einem Zeitraum von sechs Wochen. Das finde ich in Ordnung. Und ganz wichtig finde ich auch, dass wir sicherstellen, dass berufsvorbereitende Praktika, dass studiennotwendige Praktika, dass auch hier nicht der volle Mindestlohn bezahlt werden muss. Das ist schon in Ordnung. Wir sollten sicherstellen, dass junge Menschen auch in Zukunft ein Praktikum bei Porsche machen können und nicht diese Praktikantenstellen sozusagen gestrichen werden, wegfallen, weil wir sie mit zu viel Regelungen und auch mit der Mindestlohnregelung überfordern.
    Armbrüster: Thomas Strobl war das, der Bundesvize der CDU, zum anhaltenden Streit um den Mindestlohn der Großen Koalition. Vielen Dank, Herr Strobl, für das Gespräch heute Morgen.
    Strobl: Ich danke Ihnen, einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.