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Koalitionsverhandlungen
"Begeisterung versprüht diese Große Koalition leider nicht"

Die Koalitionsverhandlungen haben sich über Tage hingezogen. Nachtsitzungen hätten durchaus ihre Berechtigung, sagte Grünen-Politiker Konstantin von Notz im Dlf. Denn unsere Demokratie ist auf Kompromisse angelegt. Ein Problem sei eher, dass die handelnden Akteure nicht richtig hinter einer Großen Koalition stehen würden.

Konstantin von Notz im Gespräch mit Tobias Armbrüster    | 07.02.2018
    Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz im Bundestag
    Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz im Bundestag (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Tobias Armbrüster: Am Telefon ist jetzt der Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Er ist Fraktionsvize seiner Partei im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen!
    Konstantin von Notz: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr von Notz, Sie haben ja selbst schon mehrfach an solchen Verhandlungen teilgenommen. Wie ist das überhaupt? Kann man nach 20 Stunden in so einem Verhandlungsmarathon überhaupt noch vernünftig miteinander reden? Kann man da noch klare Gedanken fassen?
    von Notz: Ja, das wird ja immer angezweifelt. Letztlich ist es so, dass man hart mit sich ringt, und die Positionen, die da unterschiedlich sind, die kennt man eigentlich ganz gut. Ich glaube, manchmal sind solche Nachtsitzungen tatsächlich notwendig, um dann auch Kompromisse irgendwie hinzubekommen. Das hat natürlich auch was mit einem Nachgeben, ob das nun der Klügere oder der Ausdauernde jeweils ist, zu tun. Deswegen: Im Einzelfall haben solche Sitzungen durchaus ihre Berechtigung.
    Armbrüster: Was sagt das denn aus über den Zustand, auch über das Vertrauensverhältnis möglicherweise dieser Parteien, wenn da stunden-, nächtelang über solche Detailfragen gerungen wird?
    "Unsere Demokratie ist auf Kompromisse angelegt"
    von Notz: Na ja. Ich bin erst mal gänzlich ohne Häme. Unsere Demokratie ist auf Kompromisse angelegt. Dass wir überhaupt Koalitionen bilden müssen in unserem System, hat eine hohe Berechtigung und auch einen hohen Sinn. Das heißt, dass Parteien, die unterschiedliche Programme haben, nach Wahlen immer dazu verdammt sind, sage ich jetzt mal, sich miteinander zu einigen, um Konsense herzustellen. Das per se ist nicht verwerflich.
    Das Problem, was hier von diesen ganzen Verhandlungen ausgeht, ist: Die wenigsten Menschen lesen Koalitionsverträge. Ich würde behaupten, noch weniger Menschen als Menschen, die Wahlprogramme lesen. Deswegen ist das Erscheinungsbild einer zukünftigen Regierung, wie die Leute wirken, auch medial, was sie sagen über sich, ganz entscheidend, so entscheidend auch wie die Dinge, die man aufschreibt.
    Aber es ist für die Menschen ein großer Teil des Vertrauens, das sie bilden, und von dieser Wahrnehmung her ist die Große Koalition ein Desaster von Anfang an, mit all diesen Erklärungen, dass man nun wirklich nicht mehr miteinander will und das sei ganz schauderhaft. Insofern ist das Gesamterscheinungsbild schlecht. Das liegt aber nicht daran, dass die jetzt hart miteinander ringen. Das ist im Grunde normal bei Koalitionsverhandlungen.
    Kanzlerin Merkel, SPD-Chef Schulz und weitere Politiker in der Nacht während der Koalitionsverhandlungen.
    Kanzlerin Merkel, SPD-Chef Schulz und weitere Politiker in der Nacht während der Koalitionsverhandlungen. (AFP / Tobias Schwarz)
    Armbrüster: Aber, Herr von Notz, muss man nicht auch sagen, dass Ihre Partei, die Grünen, da durchaus, ich sage mal, neue Standards gesetzt hat, was Koalitionsverhandlungen angeht, nämlich mit diesem vierwöchigen Verhandlungsmarathon in Sachen Jamaika-Koalition, die wir im vergangenen Jahr erlebt haben?
    von Notz: Ja, absolut, und das war nun auch extrem schwierig und am Ende auch sehr unerfreulich. Ich meine, das ist ja auch eine Frage der Glaubwürdigkeit von Politik, finde ich. Wenn in dem Fall vier Parteien, CDU, CSU, FDP und Grüne sich an einen Tisch setzen, eine Bundesregierung für vier Jahre bilden wollen, und man hat sehr unterschiedliche Programme und man einigt sich innerhalb von sieben Stunden, so machen wir es jetzt zukünftig, das ist doch auch irgendwie merkwürdig.
    Deswegen: Ich kann nur sagen, das lange Verhandeln, dass man miteinander ringt, dass man Kompromisse sucht, das finde ich völlig in Ordnung und das hat seine Berechtigung. Aber die anderen Dinge, die jetzt bei der Großen Koalition und auch bei dem Ende von Jamaika bei den Menschen, die sich nicht jeden Tag 20 Stunden mit Politik beschäftigen, herüberkommen, die sind nicht gut.
    "Begeisterung versprüht diese Große Koalition leider nicht"
    Armbrüster: Aber merken wir nicht bei diesen Koalitionsverhandlungen, dass es da absolut um die Themen geht, die sehr viele Menschen beschäftigen, und dass es deshalb durchaus auch seinen Sinn hat, nächtelang darüber zu sprechen, nämlich über sachgrundlose Befristung, über befristete Arbeitsverträge und über die Zwei-Klassen-Medizin, ein Begriff, den die SPD immer wieder prägt, durchaus Themen, die viele Leute auf der Tagesordnung haben wollen und wo man dann sagt, da ist Ihre Partei, da sind die Grünen wahrscheinlich ein paar Etagen höher und sprechen lieber über globale Fragen, die eher abstrakt wirken?
    von Notz: Herr Armbrüster, ich will jetzt keinem Konflikt aus dem Wege gehen, aber ich verstehe nicht genau, was Sie sagen. Wir haben über diese Dinge, die jetzt hier besprochen werden, auch sehr hart gerungen und ich kann nur sagen, auch die ökologischen Probleme, die wir bei Jamaika verhandelt haben, auf die Sie vielleicht anspielen, sie mögen globaler Natur sein. Aber sie sind von existenzieller Bedeutung für 80 Millionen Menschen in Deutschland und ich glaube, da sollte man keinen Graben aufmachen.
    Deswegen wie gesagt: Ich mache gar nicht den Punkt. Mich stört es nicht, dass die Große Koalition hart miteinander verhandelt. Das ist, glaube ich, auch nicht das Image-Problem oder das tatsächliche Problem, das die Große Koalition in den letzten Wochen hat, sondern das Problem, was sie hat, ist, dass es maximal uninspiriert ist, dass die Leute das Gegenteil von dem jetzt machen, was sie vorher gesagt haben, und insofern in der Wahrnehmung der Menschen ist das eine sehr, sehr unglückliche Beziehung, die da eingegangen wird. Und dass man dann lange miteinander verhandelt, das kommt noch erschwerend hinzu. Aber ich sage es noch mal: Dass man hart miteinander verhandelt zwischen verschiedenen Parteien, das ist in der Demokratie was sehr Ehrbares. Das würde ich jetzt nicht diffamieren wollen.
    Bundeskanzlerin Merkel/CDU, Horst Seehofer/ CSU und Martin Schulz/SPD nach den Sondierungsgesprächen am 12.01.2018 in Berlin.
    Seehofer, Merkel, Schulz: Altes Personal, selbe Koalition. (picture alliance / dpa / AP / Markus Schreiber)
    Armbrüster: Wir hören das jetzt immer wieder in den vergangenen Tagen, diese Kritik, dass diese Verhandlungen uninspiriert wirken, auch gerne den Vorwurf, dass da so etwas wie der große Wurf fehlt. Viele fragen sich, ist diese Kritik nicht etwas zu verfrüht, denn wir reden hier ja eigentlich nur über einen Koalitionsvertrag, und was eine Regierung dann in den vier Jahren tatsächlich macht, das weicht tatsächlich - das hat die Vergangenheit immer wieder gezeigt - in sehr vielen Fällen von diesem Koalitionsvertrag auch ab. Können wir überhaupt von diesen Verhandlungen irgendwelche Rückschlüsse ziehen?
    von Notz: Die Verhandlungen sind nur eine Grundlage und es ist richtig, ganz entscheidend für Koalitionen ist auch immer die Strecke, wie man gemeinsam Dinge bewältigt und Herausforderungen, die vorher keiner auf dem Zettel hatte, und das sind nach den Erfahrungen häufig viele Dinge. Aber wenn der Start so unerfreulich ist, dann ist das zumindest kein gutes Omen. Das heißt nicht, dass nicht auch noch gute Dinge von einer GroKo hier zu bewerkstelligen sein könnten die nächsten Jahre. Das wissen wir halt nicht. Was wir heute wissen und worüber wir sprechen können, das ist der Koalitionsvertrag und das ist, wie sich das Ganze personell irgendwie darstellt.
    Und da muss man sagen, weil der Vergleich ist immer, wenn das, was hier auf dem Tisch läge, von Herrn Macron vorgestellt würde, dann wären alle ganz begeistert. Das ist vielleicht ein Argument, das höre ich mir an. Aber der Umstand, dass auch Menschen, die eine politische Zukunft irgendwie darstellen und das auch nach außen tragen, dass das auch ein Fakt ist, der mit einzuberechnen ist, das ist auch ein Argument. Deswegen ist das jetzt nicht nur eine Erscheinungsgeschichte, sondern das Problem ist, dass die Leute, die da jetzt am Tisch sitzen, keinen richtigen Funken schlagen können für das, was die da machen wollen, keine Begeisterung wecken, und das ist ein tatsächliches Problem in der Politik. Inspiration und irgendwie Zukunftsorientierung, das sind schon harte Währungen, und das versprüht diese Große Koalition leider nicht.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk der Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    von Notz: Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.