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Koalitionsverhandlungen
"Die SPD steht zwischen Pest und Cholera"

Linken-Vorsitzender Bernd Riexinger stellt der SPD ein dürftiges Zeugnis für die Koalitionsverhandlungen aus. Bei der Arbeitspolitik habe sie sich über den Tisch ziehen lassen, sagte Riexinger im Dlf. In den Vereinbarungen sei nichts zur erhöhten Tarifbindung und sachgrundloser Befristung zu finden.

Bernd Riexinger im Gespräch mit Mario Dovovisek | 03.02.2018
    Linken-Parteichef Bernd Riexinger nimmt am 25.11.2017 am Landesparteitag der Linken Baden-Württemberg in Stuttgart-Möhringen (Baden-Württemberg) teil.
    Die SPD sei der CDU bei den Koaltionsverhandlungen zu weit entgegenzukommen, sagte Linken-Parteichef Bernd Riexinger (dpa / Sebastian Gollnow)
    Mario Dobovisek: Weiter verhandeln sie in Berlin, die möglichen Großkoalitionäre von Union und SPD. Noch an diesem Wochenende wollen sie fertig werden, davon gab sich zumindest die CSU heute überzeugt. Darüber spreche ich jetzt mit Bernd Riexinger, dem Vorsitzenden der Linkspartei. Guten Morgen, Herr Riexinger!
    Bernd Riexinger: Guten Morgen, Herr Dobovisek!
    Dobovisek: Abgestürzt auf 18,19 Prozent ist die SPD inzwischen in den Umfragewerten – haben Sie Mitleid mit den Sozialdemokraten?
    Riexinger: Ja, Mitleid ist in der Politik immer ganz schlecht. Ich habe insofern kein Mitleid, weil es auch selber verschuldet ist. Die SPD hat natürlich auch einige Punkte durchgebracht, aber sie springt einfach zu kurz. Die Lösungen, die herbeigeführt wurden, ändern nicht viel an der grundsätzlichen Richtung, und das ist, glaube ich, das Problem der Sozialdemokraten.
    0,6 Stellen in der Altenpflege - das löst das Problem nicht
    Dobovisek: Vielleicht ein bisschen Schadenfreude, Herr Riexinger?
    Riexinger: Nein, keine Schadenfreude. Im Interesse der Menschen hätte man ja andere Konstellationen erwarten können und auch eine andere Vorgehensweise. Ich nehme mal nur das Beispiel Pflege. Alle Parteien haben Wahlkampf gemacht, dass sie die Situation in der Pflege verbessern wollen. Wir wissen alle, dass ungefähr 40.000 Pflegekräfte in der Altenpflege fehlen, in der Krankenpflege in den Krankenhäusern ungefähr 100.000 Stellen. Wenn man da jetzt 8.000 zusätzliche Stellen vereinbart bei 13.000 Einrichtungen, dann sind es durchschnittlich 0,6 Stellen in den Einrichtungen der Altenpflege mehr. Das ist besser als nichts, aber löst das Problem weder für die Pflegekräfte noch für die zu Pflegenden.
    Dobovisek: Das behaupten die beiden möglichen Koalitionäre ja gar nicht voneinander, sondern sie sagen ganz klar, das ist ein Anfang, das ist der erste Schritt in die Richtung. Und wenn wir uns angucken, wie es in den vergangenen Jahren gelaufen ist, da stand die Pflege nicht gerade groß auf der politischen Agenda. Ist das also die richtige Richtung mit dem Sofortprogramm, sofort mehr Geld, 8.000 neue Stellen, eine bessere Qualifizierung?
    Riexinger: Ja, es ist die richtige Richtung, es reicht aber nicht aus …
    "Pflegemindestlohn wäre richtig gewesen"
    Dobovisek: Es reicht ja nie richtig.
    Riexinger: … und dann werden zu Recht die Pflegekräfte empfinden, dass sie weiterhin unter Dauerstress stehen. Es ist auch im Übrigen nicht wirklich eine Höherbewertung der Löhne. Wenn man sagt, die Tarifverträge sollen gelten, unterschlägt man, dass die Tarifverträge in der Altenpflege sehr niedrig sind. Es wäre also ein richtiger Schritt gewesen, zu sagen, wir machen einen Pflegemindestlohn, wie wir das sagen, dass keine Pflegekraft – in der Altenpflege wohlgemerkt, in der Krankenpflege ist es ja besser – unter 14,50 Euro verdient oder perspektivisch 3.000 Euro angemessen sind für jemand, der diese schwere und anspruchsvolle Arbeit leistet.
    Altersarmut wird nicht verhindert
    Dobovisek: Wenn wir uns all das angucken, was bisher schon beschlossen wurde – Familiennachzug bei Geflüchteten, Bildungspaket, Rente, Pflege, was Sie angesprochen haben –, das trägt ein bisschen die sozialdemokratische Handschrift, aber tatsächlich nur ein bisschen. Zeit für mehr Gerechtigkeit war der Wahlslogan der SPD, wie viel Gerechtigkeit ist davon übrig geblieben?
    Riexinger: Deutlich zu wenig. Wir können die Themen durchgehen, da haben wir wahrscheinlich (Anmerkung der Redaktion: schlechte Leitung, der Satz ist leider unverständlich). Es ist sowieso fest, die Rentensicherung beträgt 48 Prozent, die Grundsicherung, das wäre sowieso bis 2024 der Fall gewesen, jetzt hat man es bis 2025 festgelegt. Man hat gesagt, man erhöht quasi die Grundsicherung. Das bedeutet eben, dass eine Verkäuferin in Stuttgart, wo ich zum Beispiel herkomme, statt 780 Euro 850 Euro Rente bekommen kann. Das ist natürlich besser wie vorher, aber davon kann sie in Stuttgart bei Weitem keine Wohnung anmieten, und davon kann sie auch nicht leben. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass Altersarmut in irgendeiner Form verhindert werden würde oder dass wir wieder zurückgingen zur Lebensstandard sichernden Rente. Und das ist eben das Grundprinzip – man macht Pflästerchen, die die Lage an der einen oder anderen Stelle etwas verbessern, aber es wird die Grundrichtung nicht geändert. Und das spüren natürlich die Menschen, die jetzt erfahren haben …
    Children and teacher playing with musical instruments and toys in kindergarten.
    Das Bildungspaket soll alles in allem 13 Milliarden betragen (imago / Westend61)
    Dobovisek: Die Grundrichtung wird zum Beispiel geändert bei der Bildungspolitik, wo das Kooperationsverbot wegfallen soll, also das Verbot, dass der Bund direkt bei Schulen und Kindergärten die Bildung in den Ländern mitfinanzieren kann. Das ist eine Grundgesetzänderung, die dafür notwendig ist, dafür reicht die Mehrheit der Großen Koalition so oder so nicht, ob sie kommt oder nicht. Würden Sie als Linkspartei diese Gesetzesänderung mittragen?
    Riexinger: Ja, auf alle Fälle, das fordern wir ja schon lange. Das ist zum Beispiel wirklich eine Forderung, die die Linke schon seit Jahren stellt, und insbesondere die (Anmerkung der Redaktion: schlechte Leitung, der Satz ist leider unverständlich).
    Dobovisek: Wir verlieren Sie leider immer wieder, Herr Riexinger, zwischendurch mit Ihrer Handyverbindung. Drehen Sie sich kurz zum Fenster noch ein bisschen, vielleicht wird dann die Verbindung besser, und dann frag ich Sie noch mal, weil ich so rausgehört habe, ja, das ist eine Forderung, die Sie seit Langem haben. Also, ist das eine tatsächlich gute Vereinbarung aus der Koalition?
    Riexinger: Also der Teil, dass das Kooperationsverbot aufgehoben werden soll, das Grundgesetz geändert werden soll, ist auf alle Fälle richtig. Wir können nicht akzeptieren, dass Bildung von der Finanzlage der Länder abhängig ist oder bei den Kindertagesstätten von der Kommune, also ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, aber auch dort wieder zu kurz gesprungen. Wir haben jetzt gehört, das Bildungspaket soll alles in allem 13 Milliarden betragen. Allein die Sanierung der Schulen, die man in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt hat, würde schon 34 Milliarden betragen, also auch dort zu kurz gesprungen. Wir haben Zehntausende fehlende Lehrerstellen, wir haben rund 70.000 fehlende Erzieherinnenstellen. Wenn man wirklich die Bildung auf einen Stand bringen will und wirklich erreichen will, dass Bildung nicht mehr von der sozialen Herkunft abhängig ist, dann muss man eben deutlich mehr machen und deutlich mehr grundsätzlich verändern.
    Dobovisek: Zu Kompromissen gehört ja, dass man zwar träumen darf, aber am Ende auf dem Boden der Realität, der gemeinsamen Realität von Koalitionspartnern wieder ankommen muss. Das kennt die Linkspartei ja aus den Ländern genauso gut. Jetzt müssen 400.000 SPD-Mitglieder mit einem Votum am Ende darüber entscheiden. Was empfehlen Sie denen von all dem, was Sie bisher gehört haben über den Koalitionsvertrag?
    Riexinger: Ja, ich glaube, die SPD steht zwischen Pest und Cholera. Wenn sie nicht zustimmen, dann muss die SPD in Neuwahlen gehen, weil ich mal davon ausgehe, dass Frau Merkel keine Minderheitsregierung mitmachen will. Eine Neuwahl würde für die SPD keine Fortschritte bringen.
    Dobovisek: Was wäre denn aus Ihrer Sicht besser, eine große Koalition mit Einigungen, die wir bisher besprochen haben, oder Neuwahlen?
    Riexinger: Ja, ich wäre schon gar nicht in diese Alternative reingegangen. Ich hätte, wenn ich die SPD gewesen wäre, schon mal deutlich klarere Positionen bei den Koalitionsverhandlungen eingenommen, so finde ich, dass das zu wenig ist. Also für Sozialdemokraten, die wirklich was ändern wollen, ist dieser Koalitionsvertrag zu dürftig.
    "Neuwahlen sind für uns kein Schreckgespenst"
    Dobovisek: Also Neuwahlen, Herr Riexinger, sind für die Linkspartei kein großes Schreckgespenst wie für andere Parteien?
    Riexinger: Nein, die sind kein großes Schreckgespenst, aber ich bin auch jetzt kein begeisterter Anhänger von Neuwahlen, weil dann müsste wirklich eine Entscheidung gefällt werden der SPD oder auch der Grünen, dass man einen Politikwechsel will, dass man eine andere Konstellation will. Wenn bei Neuwahlen ungefähr wieder die gleiche Konstellation rauskommt wie jetzt und es dann wieder zu einer Großen Koalition führt oder wieder zu einer schwarzen Ampel, dann wäre wirklich nichts gewonnen. Ich sehe aber nicht, dass sich die SPD in der kurzen Zeit so erneuern kann und so wandeln kann, dass sie zum Beispiel wirklich einen Politikwechsel mit uns zusammen angehen will.
    SPD hat sich in einigen Punkten über den Tisch ziehen lassen
    Dobovisek: Hat sich die SPD von der Union, vor allem von der CSU über den Tisch ziehen lassen?
    Riexinger: Na ja, in einigen Punkten natürlich schon. Bei der Zuwanderung hat sich die CDU oder insbesondere die CSU vollkommen durchgesetzt. Die SPD hat eben, sagen wir mal, nicht das herausgeholt, was in einer sehr günstigen wirtschaftlichen Lage herauszuholen gewesen wäre, sodass wir nach wie vor große Probleme haben werden – insbesondere bei der prekären Arbeit, da bin ich am meisten enttäuscht, dass beim Arbeitsmarkt eigentlich der SPD ein ganz gutes Wahlprogramm gehabt hat, aber jetzt nichts drin ist zur erhöhten Tarifbindung. Wir haben das Problem, dass immer weniger Menschen unter Tarifverträge fallen. Es ist nichts drin zur sachgrundlosen Befristung, da werden wir mal sehen, was jetzt rauskommt. Es ist nichts drin zur Leiharbeit, zu Werkverträgen, all den Dingen, die die Menschen in den Niedriglohnsektor hineindrängen und in unsichere Arbeits- und Lebensverhältnisse. Da hätte ich deutlich mehr erwartet, und das ist keine Kleinigkeit, weil wir haben 25 bis 30 Prozent der Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen.
    Dobovisek: In der Tat, Herr Riexinger, wir werden sehen, was dabei herauskommt. Linksparteichef Bernd Riexinger im Interview mit dem Deutschlandfunk, vielen Dank, Herr Riexinger!
    Riexinger: Ich bedanke mich auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.