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Koch-Mehrin kritisiert "Reisezirkus zwischen Brüssel und Straßburg"

Die EU-Abgeordnete der FDP, Silvana Koch-Mehrin, hat erneut beanstandet, dass es zwei Standorte für das EU-Parlament gebe, nämlich Brüssel und Straßburg. Die EU-Parlamentarier sollten selbst entscheiden können, welchen Arbeitsort sie wollen und nicht die Regierungschefs der Mitgliedsländer.

Silvana Koch-Mehrin im Gespräch mit Dirk Müller | 16.07.2009
    Dirk Müller: Am Telefon ist nun Silvana Koch-Mehrin (FDP), Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Guten Morgen!

    Silvana Koch-Mehrin: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Frau Koch-Mehrin, mussten Sie denn vorher Ihre männlichen Kollegen so in die Pfanne hauen?

    Koch-Mehrin: Also ich freue mich, dass es geklappt hat zum Schluss im dritten Wahlgang, und ich freue mich drüber, dass dann doch die Vernunft gesiegt hat und das ist das, was zählt.

    Müller: Mussten Sie Ihre männlichen Kollegen so in die Pfanne hauen?

    Koch-Mehrin: Ich habe niemanden in die Pfanne gehauen, ich habe immer wieder Dinge angesprochen, die ich als kritisch empfinde, und da bin ich ja auch nun wirklich nicht die Einzige, die das tun, und ich halte es auch für eine wichtige Aufgabe eines Politikers, Missstände offen zu benennen. Wenn man Angst davor hat, für Kritik, die man äußert, dann selbst kritisiert zu werden, dann, glaube ich, ist man in der Politik nicht richtig aufgehoben.

    Müller: Sie haben das mit dem Landschulheim gesagt, also da geht es zu wie im Landschulheim, und es ist ja auch die Rede von Bordellen und Prostituierten die Rede gewesen. Das zählen Sie nicht in die Kategorie "in die Pfanne hauen"?

    Koch-Mehrin: Diese Initiative, dass das Parlament sich um das Thema Prostitution in einer anderen Form kümmern sollte, kam von skandinavischen Abgeordneten im vergangenen Jahr, und dieser Initiative habe ich mich angeschlossen. Dass sich das dann so zugespitzt hat auf meine Person, hat, glaube ich, eher auch etwas mit einer Auseinandersetzung im Vorwahlkampf zu tun damals und jetzt mit einer Retourkutsche im Anschluss an das Wahlergebnis, wo sich dann die Wahlverlierer zusammengetan haben und mir eben einen mitgeben wollten.

    Müller: Frau Koch-Mehrin, demnach haben sich alle Journalisten vertan bei der Recherche, weil Sie das gar nicht gesagt oder nicht gemeint haben?

    Koch-Mehrin: Das verstehe ich nicht, Ihre Frage.

    Müller: Landschulheim und Prostituierte, Bordelle haben Sie gar nicht gesagt oder nicht gemeint?

    Koch-Mehrin: Ich habe selbstverständlich diese Worte verwendet, sie stehen ja nun auch veröffentlicht da, also da habe ich nie behauptet, dass das falsch recherchiert sei. Nur der Punkt ist ja, was daraus mir an Kritik, die ich geäußert haben sollte, gemacht wurde. Und ich meine, der Punkt ist einfach der, dass bei jeder Sitzung des Parlaments nicht von mir festgestellt, sondern von anderen festgestellt, das eben Auswirkungen auf die Stadt Straßburg als Wirtschaftsstandort hat. Es geht ja bis, dass Hotels ausgebucht sind, die Taxis drei Viertel ihres Monatsumsatzes machen, das ist natürlich damit verknüpft, wenn Tausende von Menschen in eine ansonsten eher mittelgroße Elsass-Metropole kommen. Eine schöne Stadt im Übrigen, Straßburg.

    Müller: Aber Sie bleiben heute auch noch dabei, im Grunde war das richtig, das zu thematisieren?

    Koch-Mehrin: Also wie gesagt, wenn es Missstände gibt, und ich halte es für einen relevanten Punkt, der nicht nur von mir, sondern ja auch eben von zahlreichen anderen Abgeordneten anderer Nationalität angesprochen wurde, dann meine ich, ist es Aufgabe von Politikern, das zu benennen. Mir geht es nicht darum, hier irgendwem irgendwas zu unterstellen, sondern mir geht es darum, dass man sieht, welche gute Arbeit das Europäische Parlament macht, und ein Reisezirkus zwischen Brüssel und Straßburg, der irre viel Geld verschlingt und der auch Arbeitszeitverschwendung ist, gehört meines Erachtens nicht dazu, zu einer sinnvollen Arbeitsweise des Parlaments. Deswegen meine ich, sollte das Parlament selbst das Recht bekommen, darüber zu entscheiden, welchen Arbeitsort es für sich wählt und dass das nicht die Regierungschefs tun.

    Müller: Nun sollen, Frau Koch-Mehrin, auch Journalisten große Schwierigkeiten mit Selbstkritik haben, Politiker aber auch. Gibt es bei Ihnen Selbstkritik?

    Koch-Mehrin: Jeder macht Fehler, das ist klar.

    Müller: Welche haben Sie gemacht?

    Koch-Mehrin: Also ich glaube, dass Selbstkritik auch das Wort selbst enthält, insofern mache ich natürlich bei jeder Entscheidung politischer Art im Anschluss eine Analyse, hat sich das als richtig erwiesen oder nicht. Zum Beispiel weiß ich, dass es sicherlich nicht richtig war, jedes rechtliche Mittel gegen falsche Berichterstattung im Wahlkampf anzuwenden, und das ist etwas, wo ich sagen würde, da ist nicht alles richtig gelaufen.

    Müller: Waren Sie oft genug im Parlament präsent?

    Koch-Mehrin: Selbstverständlich, ich hab hier meine Arbeit als Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der ALDE sehr ernst genommen, ich habe das fünf Jahre lang gemacht. Es ist anders als im Bundestag eine Tätigkeit, die gerade bei einer Fraktion wie der unsrigen, die sich verdoppelt hat in der Größe in der vergangenen Legislaturperiode, sehr viele Managementtätigkeiten von finanziellen bis hin zu Personalfragen, und das ist eine sehr zeitintensive Arbeit, und das war vor allem meine Verantwortung, die ich in der vergangenen Legislaturperiode hatte.

    Müller: Sehr umstritten, Frau Koch-Mehrin, ist ja auch Ihre Anwesenheitsquote, so nennt sich das zumindest. Die Parlamentsverwaltung spricht da von 62 Prozent, Mutterschutz herausgerechnet, Sie sagen 75 Prozent. Wenn Sie jetzt recht haben, dann bräuchte die Parlamentsverwaltung bessere Mathematiker.

    Koch-Mehrin: Ich hab das Ganze sehr transparent aufgeführt auf meiner Website, und im Übrigen sind diese Art von Schlammschlachten und Scheinvorwürfen ja auch vom Wähler ganz klar bewertet worden. Das Ergebnis der Europawahl spricht für sich, und ich finde das auch wichtig, dass man gerade beim Thema Europapolitik dazwischen unterscheidet, was relevant ist und was nicht relevant ist.

    Müller: Sie sehen, Frau Koch-Mehrin, diese Kritiker, die wir eben zum Teil ja auch in den O-Tönen gehört haben in den Interviewauszügen, fast täglich, zumindest ja in Straßburg und auch in Brüssel. Wie wird sich Ihr Verhältnis zu diesen Politikern verändern?

    Koch-Mehrin: Ich glaube, es ist wichtig, dass man unterscheidet zwischen persönlichen Befindlichkeiten und politischer Zusammenarbeit, und wir haben in diesem Parlament eine sehr viel größere Anzahl Abgeordneter, die die Europäische Union schlichtweg ablehnen, auch eine sehr viel größere Anzahl von Abgeordneten, denen es vor allem um Krawall und Störung der Arbeitsabläufe geht. Insofern halte ich es für ganz wichtig, dass man es schafft, eine Koalition oder eine Zusammenarbeit der Parteien hinzubekommen, der Fraktionen hinzubekommen, die sich für ein funktionierendes Europa einsetzen.

    Müller: Also bei Ihnen bleibt da nichts zurück?

    Koch-Mehrin: Nein. Ich glaube, wichtig ist, dass man es schafft, eine sachliche Zusammenarbeit zu haben und sachliche Auseinandersetzung, da, wo man sich politisch unterscheidet.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk: Silvana Koch-Mehrin (FDP), Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Straßburg!