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Koch verteidigt CDU-Position zum Mindestlohn

Roland Koch mahnt seine CDU-Parteifreunde angesichts der SPD-Unterschriftensammlungen für einen flächendeckenden Mindestlohn zur Gelassenheit. "Wir sehen, dass das ein Thema ist, das die Menschen ernst nehmen, deshalb werden wir dazu argumentieren, aber wir sehen jetzt überhaupt keinen Anlass zur Aufgeregtheit, nur weil die Sozialdemokraten im Wahlkampf eine Aktion starten", sagte der hessische Ministerpräsident.

Moderation: Bettina Klein | 27.12.2007
    Bettina Klein: Eine Unterschriftenaktion nun also im hessischen Wahlkampf, ganz neu ist es nicht in diesem Bundesland, wir haben es gerade gehört, einer der damit für sich mit einem ganz anderem Thema punkten konnte, nämlich bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft, das ist der jetzige Ministerpräsident des Landes, Roland Koch. Und der ist jetzt am Telefon, schönen guten Morgen!

    Roland Koch: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Eine Unterschriftenaktion, diesmal von der anderen Seite und diesmal zum Thema Mindestlohn. Ihr Erfolg beim letzten Mal gibt der hessischen Spitzenkandidatin zumindest in der Methode Recht.

    Koch: Ja, gut, aber jede Kopie muss sich rechtfertigen an dem, was in der Sache zu streiten ist. Und ich glaube, da ist ein erheblicher Unterschied. Wir haben damals bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft mit den hessischen Stimmen im Bundesrat die doppelte Staatsbürgerschaft verhindert, das heißt, die Landtagswahl hat eine sehr direkte Entscheidung gehabt. Die Sozialdemokraten dagegen argumentieren jetzt seit einem halben Jahr zum Thema Mindestlohn, da ist ja nichts neu. Das hat ihnen bisher nicht viel geholfen, wie sie in den Prognosen und Umfragen sehen. Und ich freue mich ein bisschen über die Tatsache, dass mir meine sozialdemokratischen Kollegen, auch die Herausforderin hier, zwei Jahre lang in den Zeiten der Großen Koalition vorgehalten hat, endlich könne man mal einen Wahlkampf über die landespolitischen Themen führen. Da ist offensichtlich nichts Kritisches so anzumerken, dass man einen Wahlkampf damit führt, und jetzt haben wir die Mindestlohndebatte, der stellen wir uns, da haben wir eine klare Position, so wie Angela Merkel sie in dem Interview zuvor auch beschrieben hat, und für die stehen wir mit den Bürgern hin, denn wir wollen sicherstellen, dass es Löhne gibt, die fair sind, dass keine Hungerlöhne in diesem Land gezahlt werden, wir wollen aber auch nicht durch einen staatlichen Mindestlohn Arbeitsplätze vernichten. Und dafür haben wir genau einen Kompromiss mit der SPD gemeinsam beschlossen, und den werden wir verteidigen, auch wenn die SPD sich davon absetzt.

    Klein: Genau Herr Koch, Sie müssen aber eine Antwort finden auf diese Unterschriftenaktion jetzt in ihrem Land. Was wird die sein? Eine Unterschriftenaktion gegen den Mindestlohn, gegen den flächendeckenden?

    Koch: Ich bitte Sie, wir werden nicht auf jede Aktivität der SPD im Wahlkampf eine zielgerichtet Gegenaktivität machen. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wissen ganz genau, über was abgestimmt wird, und dazu gehört auch der Mindestlohn, dazu werden wir unsere Argumente vortragen. In Niedersachen gibt es die Unterschriftenaktion jetzt schon seit vier Wochen, also wir wissen schon ein bisschen, wie das ist. Die Menschen wissen sehr genau, wo mit Ihnen gespielt wird, indem man versucht, mangels anderer Themen im Wahlkampf eine Entscheidung sozusagen zu missbrauchen und wo, wie das vor neun Jahren der Fall war, die sehr konkrete Entscheidung einer Landtagswahl wegen der Zusammensetzung des Bundesrates genau eine nationale Entscheidung bewirkt hat. Und deshalb, wir sehen das gelassen, wir sehen, dass das ein Thema ist, das die Menschen ernst nehmen, deshalb werden wir dazu argumentieren, aber wir sehen jetzt überhaupt keinen Anlass zur Aufgeregtheit, nur weil die Sozialdemokraten im Wahlkampf eine Aktion starten.

    Klein: Aufregen muss sich ja auch niemand, nur Sie sagen, die Menschen werden das ernst nehmen, auch Sie nehmen die Menschen ernst. Die Umfragen ergeben, dass die Mehrheit nicht nur der Sozialdemokraten, sondern auch die Mehrheit der Bürger für die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes ist. Also Sie müssen doch eine Überzeugungsarbeit jetzt auch im Wahlkampf leisten, wenn Sie ihre Position durchsetzen wollen.

    Koch: Ja, man muss aber auch sehen, dass diese überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die auf die so spontan gestellte Frage, sollte es lieber einen Mindestlohn geben oder nicht, mit einem Ja antwortet, zugleich bei ihrer Frage, welche politische Partei unterstützen sie, seit all den Monaten, in denen diese Debatte ist, immer klarer die CDU präferieren und nicht die SPD, die diese Thesen vertritt, die ja zudem noch das Problem hat, dass sie jedes Mal, wenn sie einen Informationsstand in Hessen macht, von der Linkspartei begrüßt wird, die diese Unterschriftenaktion schon längst gestartet hat und die beiden sich wieder in dem Wettbewerb, wer die bessere Kopie des anderen ist, bewegen werden. Also, es wird ein Teil des Wahlkampfes sein, aber es wird jetzt nicht die Grundkoordinaten dieses Landtagswahlkampfes verändern.

    Klein: Aber Herr Koch, kann man in Deutschland des Jahres 2008 Wahlen gewinnen gegen den flächendeckenden Mindestlohn?

    Koch: Ich glaube, dass man Wahlen gewinnen kann mit der Position, die die Union hat, selbstverständlich, die ja bedeutet, wir wollen ein Mindesteinkommen, die bedeutet, wir wollen, dass es Tarife für die Verabredung gibt, die absolut inakzeptabel niedrige Löhne ausschließen, aber wir wollen sicherstellen, dass der Staat nicht zum Schiedsrichter über Lohnverhandlungen wird. Tarifvertragsparteien, Gewerkschaften und Arbeitgeber wissen sehr viel besser, was in einer Branche der richtige Lohn ist, um die Beschäftigung zu sichern. Wer jetzt daraus einen staatlichen Mindestlohn macht, gefährdet Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Das ist mit uns nicht zu machen. Das haben wir von Anfang an gesagt. Wir sind heilfroh, dass es die Arbeitsplätze jetzt wieder gibt. Wir sollten nicht übermütig werden und sie gefährden.

    Klein: Kommen wir zu den inhaltlichen Argumenten. Bert Rürup etwa, Vorsitzender des Sachverständigenrates, er rät ihrer Partei heute Morgen in einem Interview, die Haltung zum allgemeinen Mindestlohn zu überdenken, anderenfalls, sagt Rürup, bekommen wir weitere hohe branchenspezifische Löhne wie jetzt bei der Post etwa, die protektionistisch wirken, und deswegen ist ein flächendeckender Mindestlohn allemal besser, sagt Rürup, als dieser Flickenteppich, der jetzt droht. Er spricht sich für einen Mindestlohn von etwa vier bis fünf Euro aus. Also das ist die Meinung eines, ja, renommierten Fachmannes.

    Koch: Ich habe Respekt vor Herrn Rürup, er ist hessischer Professor, aber er liegt eben im seinem Vorschlag, wie er glaubt, einen gesetzlichen Mindestlohn organisieren zu können, jenseits von Gut und Böse, was die Höhe angeht. Ich glaube, dass ein solcher Mindestlohn in Deutschland gar nicht argumentierbar wäre, jedenfalls mit Sozialdemokraten, die auch noch von der Linkspartei bedrängt sind, überhaupt nicht darstellbar. Dort findet sofort, und das haben wir in den letzten sechs Monaten ja gesehen, eine Versteigerung des Mindestlohnes statt und eine Versteigerung des Mindestlohnes, die dann von 4,50 Euro auf 6 Euro auf 7,50 Euro geht, bedeutet immer den Verlust von Arbeitsplätzen. Wer über solche Löhne redet, nimmt Menschen mit geringer Qualifikation die Chance, Arbeit aufzunehmen und vom Staat unterstützt zu werden in seinem Einkommen, weil er damit insgesamt mehr hat, weil er besser in die Gesellschaft integriert ist, als wenn man sagt, er darf erst in Deutschland arbeiten, wenn das, was er an Arbeit anbieten kann, einen sehr hohen Mindestlohn, wie ihn Sozialdemokraten und Linkspartei gegenseitig versteigern wollen. Das kann man ernsthaft am Ende nach meiner Überzeugung nicht vertreten. Das kostet zu viele Menschen in Deutschland den Arbeitsplatz, und dafür würde ich jedenfalls meine Hand nicht reichen.

    Klein: Gut wir reden jetzt über Mindestlöhne zwischen vier und fünf Euro. Ist es nicht so...

    Koch: Ja wir, Sie, Herr Rürup redet über vier und fünf Euro, aber sonst niemand, jedenfalls niemand in der politischen Debatte und schon gar nicht die Sozialdemokraten.

    Klein: Herr Koch, ist es nicht so, dass die Union und auch das Kanzleramt relativ froh wären inzwischen, wenn man sich vor einigen Monaten hätte einigen können auf einen so vergleichsweise niedrigeren Mindestlohn, um das Thema jetzt vom Tisch zu bekommen im Wahlkampf?

    Koch: Das ist mir zu populistisch gedacht. Die Frage, die dahinter steckt, ist, übernimmt der Staat die Autorität zu sagen, wie die Preise für Arbeit sind? Es ist eine der wesentlichen Elemente der sozialen Marktwirtschaft, kombiniert mit der Tarifautonomie, die es in keinem anderen Land Westeuropas so gibt wie bei uns, dass dies Angelegenheit der freien Gruppen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist, wenn der Staat das übernimmt, wird er ab morgen für alles verantwortlich sein, was im Bereich des Arbeitsmarktes geschieht, was Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden viel besser können. Wer das einmal aufgibt, kriegt es nie mehr zurück. Aber es ist einer der Vorteile Deutschlands, und es hat in Deutschland Arbeit gebracht und nicht Arbeit gekostet. Da muss man dann auch dafür hinstehen und inhaltlich diskutieren.

    Klein: Und es kann schon sein, dass auch in der Union befürwortet werden würde eine flächendeckende Einigung auf einen Mindestlohn, so sie von den Tarifparteien zustande gebracht wird, die ja durchaus auch branchenmäßig und auch regional differenziert sein könnte?

    Koch: Ja, wir haben ja ganz klar gesagt, deshalb gibt es ja auch für diese ganze Aktion keinen Anlass, wir schauen uns im Rahmen des Entsendegesetzes Branchen an, wenn dort die Tarifvertragsparteien Einigungen vorschlagen, dann werden die nach Recht und Gesetz behandelt, dafür ist bis März Zeit. All die Branchen, die Sie vorhin genannt haben, sind zwischen CDU, CSU und SPD verabredet, dass wir darüber sprechen. Das werden wir in Ruhe und Sachlichkeit tun. Aber das ist die Position, sich um die Sache zu kümmern, dort wo Menschen in Not sind, wo es möglicherweise Bedrängtheiten gibt, zu sagen, dort kann der Staat, wenn die Tarifvertragsparteien einen Vorschlag machen, eingreifen. Das ist in Ordnung, das ist auch seit 60 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Tarifautonomie möglich. Aber daraus jetzt eine staatliche Autorität zur Lohnfestsetzung zu machen, das ist genau die rote Linie, die wenn man sie überschreitet aus meiner Überzeugung heraus katastrophale Folgen für die Arbeitsmarktsituation in Deutschland hat und die ich nicht mit verantworten möchte.
    Klein: Der hessische Ministerpräsident Roland Koch, CDU. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Koch,
    Koch: Gern, auf Wiederhören.