Donnerstag, 18. April 2024

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Köln im Spätmittelalter
Historiker Carl Dietmar: "Die Internationalität des Mittelalters ist unheimlich groß"

Eine fortschrittliche Verfassung, Frauenrechte, Bildung und Handelsbeziehungen in die ganze Welt: Köln ist im Spätmittelalter die größte deutsche Stadt. "Frauenzünfte gab es nur in Köln und Paris", so der Historiker Carl Dietmar im Dlf. Waren und Ideen kursierten, machten Köln international.

Carl Dietmar im Gespräch mit Michael Köhler | 26.12.2019
Altar der Stadtpatrone, geöffnet, von dem Kölner Maler Stefan Lochner für die Ratskapelle der Stadt Köln um 1442 gemalt
Stefan Lochners Altar der Stadtpatrone von 1445 hängt heute in der Marienkapelle des Kölner Doms (Bildarchiv Monheim GmbH)
Was eine Stadt ist, ist keine Frage der Einwohnerzahl allein. Es ist wesentlich eine Frage der Qualität. Die europäische Stadt, wie wir sie seit dem Mittelalter kennen, ist eine Einheit aus Festung und Markt, ein Ort des Austauschs, Handels, des Güter- und Ideenumschlags. Und sie ist Ort der Herrschaft, der Verwaltung und des Rechts. Nicht zuletzt ist die Stadt der Entfaltungsraum für Religion und Kultur. Es entsteht im Mittelalter ein Bürgerstand, der sich in Stadtgemeinden organisiert und Privilegien vergibt. Köln am Rhein nimmt dabei eine herausragende Stellung ein.
Der Historiker Carl Dietmar, Ko-Autor und Verfasser von Band 4 der Geschichte der Stadt Köln: "Köln war die größte und damit gleichzeitig die bedeutendste Stadt im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Die genaue Einwohnerzahl kann man nicht eruieren. Man schätzt so zwischen 35.000 und 40.000 Einwohner, von denen aber nur 2.000 maximal das Bürgerrecht hatten. Das war Voraussetzung, um zum Ratsherrn gewählt zu werden."
Das Stiftungswesen war kulturtreibend
Der Frauenanteil im damaligen Köln überwog. "Die mittelalterliche Gesellschaft kann man nach dem Prinzip des Gebens und Nehmens charakterisieren. Das Stiftungswesen funktionierte nach dem gleichen Prinzip, sagt Dietmar: "Letztlich ging es immer um das Seelenheil des Stifters. Das war sozusagen der eigentliche Grund für jede Art von Stiftung. Und eigentlich war das auf Ewigkeit angelegt. Und wenn der Stifter sich eine Stiftskirche ausgesucht hatte, dann erwartete er auf Ewigkeit Gebete für sein Seelenheil. Es war eine Interaktion zwischen Lebenden und Toten."
Auch Kunst und Kultur entfalteten sich. "Alle Werke der Alt-Kölner Malerei verdanken wir diesem Prinzip des Stifterwesens." Die Maler signierten damals ihre Kunstwerke nicht. So entstanden Notnamen, etwa "Meister der Heiligen Sippe". Durch einen Zufall ist einer der großen Meister bekannt, nämlich Stefan Lochner, weil Dürer unbedingt ein Werk von Meister Stefan sehen wollte und 1520 in Köln Station machte. "Anhand der Zunftakten konnte Stefan Lochner identifiziert werden." Lochners Altar der Stadtpatrone von 1445 hängt heute in der Marienkapelle des Kölner Doms.
Das Kölner "Judenprivileg"
1347 bis 1350 rafft die Pest ein Drittel der Bevölkerung hin. Daraufhin gab es Judenpogrome im Reich. Die Stellung der Juden in Köln war herausgehoben. In Stein gehauen gibt es das Judenprivileg von 1266 im Kölner Dom. Es räumte den Kölner Juden weitgehende Rechte ein. Köln hatte die größte jüdische Gemeinde mit wirtschaftlichem Potential und Handelsbeziehungen in die ganze Welt.
"Die Stadt trat als Schutzherr der Juden auf. Die Juden hatten mehr Rechte und Freiheiten als in anderen Städten," erklärt Historiker Dietmar. Auch in der Bildungspolitik war Köln fortschrittlich.
In Köln wird 1388 die erste städtische Universität gegründet. Erfurt genoss zwar schon früher ein päpstliches Privileg, brauchte aber länger. Voraus geht der Universitäts-Gründung in Köln das Wirken von Albertus Magnus. Der Universalgelehrte ist in der Krypta von St. Andreas begraben. Carl Dietmar: "Er ist in zweifacher Hinsicht wichtig. Wichtig für die Stadt und für die abendländische Geistesgeschichte."
Praktische Bildung und der Gemeinwohlgedanke
Er richtete einerseits ein Generalstudium für die Dominikaner ein. Sein Schüler war Thomas von Aquin. Andererseits hat Albert die Rezeption der griechischen Philosophie ermöglicht. Er erkennt durch das Studium des Aristoteles, dass zur Leitidee einer städtischen Verfassung das Gemeinwohl zählt. Albert hat ganz praktisch im "Großen Schied" von 1258 die Auseinandersetzung zwischen dem Erzbischof und der Bürgerschaft geschlichtet. "Das war ein Praxistest der aristotelischen Philosophie", sagt Historiker Dietmar.
Auch Handwerker lernen in Köln Lesen und Schreiben, und Frauen können in Mädchenschulen gehen.
Auch in dieser Hinsicht war das spätmittelalterliche Köln fortschrittlich. "Frauenzünfte gab es nur in Köln und Paris", so Dietmar. Auch in Bildungsfragen ist Köln Vorreiter.
"Die Internationalität des Mittelalters ist unheimlich groß, vor allem im Bildungswesen. Man muss sich vorstellen, mit dem Abschluss an einer Kölner Universität konnte man ohne jede Einschränkung nach Salamanca gehen, konnte man an allen europäischen Universitäten weiterstudieren. Das muss uns die EU erst mal nachmachen."
Der Historiker Carl Dietmar
Carl Dietmar ist Mittelalter-Historiker und Co-Autor des vierten Bandes von "Köln: Die große Stadtgeschichte", der gerade erschienen ist. Michael Köhler hat mit ihm über Stiftungswesen und Gemeinwohl als Leitidee für eine städtische Gesellschaft gesprochen.