Dienstag, 23. April 2024

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Kölner Pfarrer Franz Meurer
"Die Kirche braucht Currywurst"

Bewirtung nach der Messe sei wichtig für die Menschen, sagte der Kölner Pfarrer Franz Meurer im Dlf. Mit seinem Buch "Glaube, Gott und Currywurst" wolle er zeigen, dass die Kirche für die Menschen da sei - und nicht umgekehrt. Die Kirche habe ihren Platz insbesondere an der Seite der Armen.

Franz Meurer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 13.03.2020
Der Kölner Pfarrer Franz Meurer
Der Kölner Pfarrer Franz Meurer (imago / Benjamin Horn)
Franz Meurer ist Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Theodor und St. Elisabeth in Vingst und Höhenberg, die zu den ärmsten Stadtteilen Kölns gehören.
Christoph Heinemann: Wie passt die Currywurst zu Glaube und Gott?
Franz Meurer: Die kommt rein aus protestantischer Sicht, nämlich die evangelische Pastorin, die die Predigt gehalten hat zum Schluss des Evangelischen Kirchentages, hat dieses Wort geprägt, "Glaube, Gott und Currywurst". In Kölle würde man sagen, und Flönz, aber das würden viele ja nicht verstehen, Blutwurst also. Aber Currywurst, glaube ich, kapiert jeder in ganz Deutschland, was das ist.
Heinemann: Nämlich?
Meurer: Dass das was ist, was alle Leute mögen, quer durch die Gesellschaft. Nicht nur die kleinen Leute, die Armen, sondern auch die Reichen haben bei Buffets neuerdings Currywurst.
Heinemann: Und das braucht die Kirche?
Meurer: Die Kirche braucht Currywurst, um den Menschen etwas Schönes bieten zu können. Bei uns ist zum Beispiel jeden Sonntag nach der Messe Bewirtung. Meistens gibt es Kuchen, manchmal gibt es Fritten, manchmal gibt es Currywurst. Das ist ein Höhepunkt neben Waffeln. Am besten finden die Leute frische Waffeln.
"Unser Platz ist bei den Menschen"
Heinemann: Und was hat das mit Glaube und Gott zu tun?
Meurer: Ganz einfach: Kommunion heißt Gemeinschaft, Begegnung. Das heißt: Ein Gottesdienst, wo man sich nachher nicht treffen kann, der ist für die Leute nicht gut, weil wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Das müssen wir bei uns selber organisieren. Früher gingen die Leute in die Wirtschaft. Wir sind aber ein armes Viertel, bei uns sind 26 Prozent aller Haushalte überschuldet, 53 Prozent der Kinder arm. Also ist völlig klar: Um elf Uhr ist der Gottesdienst, nicht früher. Man kann ausschlafen. Man kann, wenn man eine Familie ist, auch zusammen frühstücken. Aber man kann auch zuerst zur Heiligen Messe kommen, sich danach verabreden, von da aus starten, meinetwegen ins Schwimmbad oder einen Ausflug machen, oder da nur zusammenhängen.
Heinemann: Jetzt sind wir schon mitten in Ihrem Buch. Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?
Meurer: Mir war wichtig, mal kein Krisenbuch zu schreiben, sondern zu zeigen, die Kirche ist für die Menschen da. Unser Platz ist bei den Menschen. Und, um ganz einfach deutlich zu machen, wie man es macht. Zum Beispiel, dass man auf keinen Fall als Pfarrer mit einem Taxi zur Beerdigung fahren darf, das dann die Angehörigen bezahlen. Die sagen danach, das gibt es doch gar nicht, ich zahle Kirchensteuer, das Taxi muss ja warten, der dicke Pastor, der hätte doch wenigstens aus Gesundheitsgründen zu Fuß da hingehen sollen, oder der hat doch ein Auto. – Das heißt, ich gebe eigentlich Tipps, wie man es so machen kann, dass es den Menschen nützt - natürlich nicht nur so oberflächliche wie jetzt bei der Fahrt zum Friedhof.
"Wir müssen als Kirche von den Menschen her denken"
Heinemann: Haben Sie den Eindruck, dass die Katholische Kirche im Augenblick - auch mit Blick auf die Amtskirche - wirklich für die Menschen da ist?
Meurer: Ja und nein, wie immer. Katholisch ist sowohl als auch. Natürlich haben wir riesige Probleme. Die Missbrauchsprobleme muss ich gar nicht erst erwähnen. Wer hätte das gedacht. Ich hätte niemals früher gedacht, dass es so was gibt. Natürlich hat die Katholische Kirche das Problem, dass die Frauen sagen: Entweder wir kriegen mehr Macht, oder wir sind weg. Dann kann man aber Instrumente dagegen finden. Zum Beispiel bei uns gilt: Wer es macht, hat Macht. Alle Gruppierungen machen es so, wie ich es nicht machen würde. Das heißt: Wenn Du als Pastor kommst und sagst, ich bin hier der Pastor, also sage ich, wie es gemacht wird, dann zeigen die Dir einen Vogel. Die Zeit ist vorbei!
Das heißt: Das, was auch zur Kirche gehört, nämlich Demokratie, dass alle mitbestimmen, Partizipation, Teilhabe, das muss deutlich gelebt werden. Denn im Kern hat ja keiner was dagegen, dass es einen Papst oder einen Bischof gibt, aber alle Leute wollen ihre Meinung sagen. Das ist der Unterschied. Und um es mal ganz klar auf den Punkt zu bringen, hat Papst Benedikt gesagt, scheinbar sehr konservativ: Beim Glauben kommt zuerst die Vernunft, dann die Freiheit und dann wird der Glaube geschenkt. Das heißt, Eltern können ihren Kindern nicht automatisch den Glauben weitergeben. Der wird geschenkt. Das ist doch völlig normal.
Und ob man ein besserer Mensch ist durch den Glauben, das ist eine große Frage. Zum Beispiel in meiner Familie, bin ich der Meinung, gibt es bessere Menschen als ich, die jedem helfen. Ob die gläubig sind, weiß ich nicht, aber die sind zumindest nicht besonders kirchenaffin. Wenn ich aber zum Beispiel meinen Bruder heute anrufen würde und sage, Peter, ich habe ein Problem, nicht nur mit mir, sondern mit Leuten, selbstverständlich kommt der sofort, natürlich kümmert der sich um eine Flüchtlingsfamilie. Das heißt, wir müssen als Kirche von den Menschen her denken.
Remo H. Largo, der ganz berühmte Pädiater, "Kinderjahre", "Babyjahre", weltbekannt, hat gerade ein Buch geschrieben, "Das gelungene Leben". Und er sagt, es geht um Fitness, aber nicht um Fitness im Sinne von Körperertüchtigung, sondern wir müssen fragen nach dem Wort Fit: Was passt zu einem Förderschüler, was passt zu einem Menschen, dem der Herrgott wenig Hirn vom Himmel geschmissen hat? 8,6 Millionen Deutsche sind funktionelle Analphabeten. Was passt zu denen? Das heißt, organisieren wir die Gesellschaft nur nach bürgerlichen Gesichtspunkten? Ganz wichtige Frage für die Kirchen, denn unser Platz ist immer an der Seite der Armen.
"Die Kirche ist doch gar nicht streng hierarchisch"
Heinemann: Sie haben eben den Begriff Demokratie verwendet. Warum gibt es so wenig Demokratie in der Kirche?
Meurer: Ja, weil die Leute nicht wissen.
Heinemann: Welche Leute? Die Hierarchie oder wer?
Meurer: Nein, viele Menschen wissen das nicht. Zum Beispiel vor 40 Jahren wurde ich hier ganz in der Nähe Kaplan in Pulheim. Als ich da ankam, wurde mir gesagt, nach Ostern stimmen wir ab, ob Sie mit ins Sommerlager fahren dürfen. Hätte ich gesagt: Ich bin hier euer Kinderpapst, ich bin der Kaplan, ich bestimme hier, hätte ich ja direkt wieder abhauen können.
Natürlich war ich stolz, dass die nach Ostern sagten, ja, Sie dürfen mitfahren. Natürlich waren wir danach ein Herz und eine Seele. Das heißt: Eine Gemeinde, in der nicht eine Streitkultur herrscht, Auseinandersetzung, Demokratie pur – zum Beispiel Korinth gibt schon der jungen Kirche vier Fraktionen. Die einen halten zu Paulus, die anderen zu Apollos, ein paar halten auch zu Christus, und dann müssen die sich auseinandersetzen. Darf man nur als Jude Christ werden? Riesige Auseinandersetzung, und das wünsche ich mir für die deutsche Kirche auch, und zum Glück passiert das ja zurzeit.
Heinemann: Und Sie haben geschrieben, Autorität wächst durch Machtverzicht.
Meurer: Absolut!
Heinemann: Autorität müsse man sich erarbeiten. Aber was bedeutet denn das für eine streng hierarchisch aufgebaute Katholische Kirche?
Meurer: Ja, ganz einfach: Die Kirche ist doch gar nicht streng hierarchisch aufgebaut. Sie ist doch gar nicht so, dass von oben nach unten entschieden wird.
"Die meisten Dinge haben sich schon längst verändert"
Heinemann: Nehmen Sie doch mal das Thema Frauenordination.
Meurer: Richtig!
Heinemann: Die Debatte über den Zölibat. Es wird alles von oben entschieden.
Meurer: Das sind die Spitzenthemen zurzeit. Aber nehmen wir mal ein paar andere Beispiele. Glaubt noch jemand daran, dass ungetaufte Kinder nicht in den Himmel kommen? An den Limbus hat man früher geglaubt. Ich bin im Krankenhaus getauft worden wie alle in meinem Alter - ich bin jetzt 68 -, weil man dachte, ungetauft kommst Du niemals in den Himmel. Und heute ist doch völlig klar: So einen Quatsch werden wir doch nicht mehr verbreiten.
Ich stimme Ihnen in einem zu: Wenn wir in der Frauenfrage uns nicht bewegen, dann knallt es richtig. Ich habe dieses Buch so angelegt, dass ich zu den kritischen Fragen erst am Schluss Stellung nehme, weil zuerst muss man mal schildern, was man vor Ort machen muss. Zum Beispiel beim Thema Frauen ist mir Frauenarmut am wichtigsten. Das heißt, ich sorge dafür, um das mal klar zu sagen, als Anwalt der Frauen, dass arme Frauen eine Chance bekommen, alleinerziehend, die am Fliegenfänger kleben, wo selbstverständlich die Kinder nie in Urlaub fahren, wo die Männer das Geld nicht rausrücken und so weiter. Das heißt, mein Ansatz, um es klar zu sagen, ist ein Ansatz von unten, von den Menschen her. Und hier schildere ich, was man machen kann.
Ich bringe mal ein Beispiel, wenn ich darf. Anfang der Erstkommunion. In der Kirche steht eine Schatzkiste, eine alte Aussteuerkiste. Ich frage, hierin ist das Wertvollste, was es auf der Welt gibt. "Gold" ruft ein kleines Mädchen von fünf Jahren. Die anderen müssen aufzeigen. Die anderen kommen nach vorne. Was ist drin? "Atemluft". Meinetwegen sagen welche, "die Bibel". Ganz fromme Frauen sagen immer "die Liebe" – "Wasser." – Nein, es ist ein Kind drin, und zwar in echt. Später wollen alle Kinder rein. – Klappe auf, Kind raus! – Das ist unsere Aufgabe als Erwachsene: Jedes Kind ist mehr wert als alles Gold der Welt. - Was ist eure Aufgabe als Kinder? Ganz einfach: Ihr wollt zur Kommunion, Communio, Gemeinschaft. Mobbing ist zu Ende!
Wenn Gottesdienst nicht dazu führt, dass wir friedlicher werden, wenn Beichte - nächste Woche ist Erstbeichte – so wäre wie früher, würde ich von keinem Kind die Beichte hören. – Nein, Beichte ist ein Individuallisierungsschub, ist ein Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung. Manche Kinder bei uns beichten doppelt bei verschiedenen Priestern. Es sind immer vier. Warum? – Weil ihnen endlich mal jemand zuhört und die bleiben eine Stunde da und erzählen mal von sich und ihren Problemen.
Das heißt, um es mal klar zu sagen: Die meisten Dinge haben sich schon längst verändert. Wir wollen uns aber immer mit den kritischen Spitzen beschäftigen, wogegen ich gar nichts habe. Aber zum Beispiel die Leistungsträger vor Ort sind doch die Frauen. Oder unsere Gemeindereferentin: Die kann wahrscheinlich besser Pfarrer sein als ich. Die ist so dynamisch, die kommt durch jede Wand ungespitzt.
"Es braucht keine Priester, um Seelsorge zu machen"
Heinemann: Aber sie darf es nicht.
Meurer: Ja und nein. Die macht natürlich ganz vieles, denn es braucht doch keine Priester, um Seelsorge zu machen. Die ist 40 Prozent im Krankenhaus, top; die ist 40 Prozent bei uns und 20 Prozent berät sie die Gemeinde.
Heinemann: Aber wenn Sie Priesterin, Bischöfin, Kardinalin werden wollte, das geht nicht in der Katholischen Kirche.
Meurer: Zurzeit nicht.
Heinemann: Werden wir das noch erleben?
Meurer: Das weiß ich nicht. Wenn man näher auf die Dinge schaut, dann merkt man: Frauenpower hat die Kirche immer bewegt. Aber wenn man heute Ordensschwestern fragt, führende Ordensschwestern in Deutschland, die sagen: Ob wir Priester werden wollen, wissen wir nicht, wir wollen, dass das Emanzipatorische des Glaubens bleibt. Das heißt, dass es den Menschen nützt, dass es die Menschen fördert, oder dass es das Wirklichkeit werden lässt, was Gott will. Der schickt doch seinen Sohn in die Welt, nicht zur Inspektion, nicht um zu kontrollieren, sondern um teilzuhaben. Was ist denn demokratischer als Mensch zu werden wie wir!
"Bleiben oder austreten - beides ist eine ordentliche Option"
Heinemann: Was raten Sie Menschen, die an der Katholischen Kirche verzweifeln?
Meurer: Ich rate denen erstens, drin zu bleiben oder auszutreten. Beides ist eine ordentliche Option. Ich rate denen vor allen Dingen, mal zu einem ordentlichen Gemeindereferenten, Pastoralreferent, Pfarrgemeinderatsmitglied zu gehen, ob sie irgendeinen kennen, Christen, evangelisch oder katholisch, mit dem sie das mal bekakeln von vorne nach hinten. Und dann kommen sie vielleicht zu einer Entscheidung. Vor allen Dingen dürfen sie nicht die Kirche vorschnell mit der Liebe Gottes identifizieren.
Ich sage jetzt mal ein ganz böses Wort, was Papst Benedikt in der Normandie auch gesagt hat:"Wenn Du willst, dass ein guter Mensch was Böses tut, führe ihn zur Religion." Es gibt nichts Gefährlicheres als Religion. Die macht die Leute kirre. Deswegen führen die Kriege. Eine Religion, die nicht von dem Grundsatz von Hans-Georg Gadamer ausgeht, "Du könntest Recht haben in unserer Auseinandersetzung" – das ist Hermeneutik -, das ist die Grundvoraussetzung: "Du könntest Recht haben". Wenn man in die Geschichte der Kirchen schaut, dann merkt man: Immer wenn die Menschen diese Kurve gekriegt haben, "Du könntest Recht haben", "Die anderen könnten Recht haben", dann hat es sich zum Guten entwickelt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.