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Königin der Bühne

Sie war eine der großen Tragödinnen des deutschen Theaters - und eine seiner letzten: Käthe Dorsch. Von ihrer viel gerühmten Großzügigkeit profitieren noch heute bedürftige Kollegen: Die Käthe-Dorsch-Stiftung gewährt Zuschüsse für soziale Härtefälle und Stipendien für Nachwuchskünstler.

Von Ruth Fühner | 25.12.2007
    "Pfui, pfui! Entrunzle diese drohende Stirn,
    Und schieß nicht zorn'ge Pfeil' aus diesen Augen,
    Verwundend deinen König, Herrn, Regierer.
    Das tötet Schönheit wie der Frost die Flur,
    Zerstört den Ruf wie Wirbelwind die Blüten,
    Und niemals ist es recht noch liebenswert."


    Käthe Dorsch in der Rolle einer anderen Käthe - Shakespeares Titelheldin in "Der Widerspenstigen Zähmung". Unvertraut klingt uns heute dieser Ton, so hell und schwingend und flirrend - und unüberhörbar kommt er aus einer Zeit, als das Drama noch Sprach- und Sprechkunstwerk war.

    Shakespeare allerdings war der Lebkuchenbäckerstochter nicht in die Wiege gelegt worden, die am 29. Dezember 1890 das Licht der Welt in Neumarkt in der Oberpfalz erblickte. Angefangen hat ihre Karriere auf der Operettenbühne, erst in der Provinz, ab 1911 in Berlin. Ihren Einstand im Charakterfach gab sie mit zwei Frauenfiguren vom Rand der Gesellschaft: einer Kindsmörderin und einem Straßenmädchen - und ein Star war geboren. Der Kritiker Julius Bab schrieb:

    "Ich weiß nie so genau, wie Käthe Dorsch den fünften Akt spielt. Weil ich schon vom vierten Akt an die Augen voller Tränen habe."

    Und Alfred Polgar befand über die, wie er sie nannte, "Naturvirtuosin auf der Herzseite":

    "Sie hat den Talisman, dem gegeben ist, vor Gott und den Menschen angenehm zu machen. Eine innere und äußere Freiheit des Spiels, die alle Lügen des Theaters in Wahrheit verwandelt. Unter ihrem Atem erwachen auch Bilderbuchfiguren zu eigenem Leben, spazieren leib- und geisthaftig aus der papierenen Fläche. Kommen so nah heran, dass dem Zuschauer warm wird von ihrer Wärme."

    Käthe Dorsch spielte, bis 1927 auf verschiedenen Berliner Bühnen, danach in Wien, alle großen Frauengestalten des Theaters: von Shakespeare über Schiller bis Shaw unter Regisseuren wie Gustaf Gründgens. Im Film war sie Kaiserin, Königin und Kurtisane, gern gesehen an der Seite des "blonden Hans" Albers.

    Dabei blieb Käthe Dorsch fest im Bürgerlichen geerdet. Nicht nur, dass sie den feierlichen Klassikerton, der auf vielen Theatern herrschte, aufs Komödiantische herunter brach. Sie hob auch nicht ab, als die Nazis an die Macht kamen und mit ihnen ihr alter Verehrer Hermann Göring. Der hatte ihr nie ganz verziehen, dass sie den Schauspielerkollegen Harry Liedtke geheiratet hatte. Aber er erwies sich als zugänglich, wenn Käthe Dorsch sich bei ihm für Kollegen einsetzte, um sie den Klauen des Regimes zu entziehen - zum Beispiel den Kabarettisten Werner Finck. Drohend klang der Kommentar des Kunst liebenden Reichsmarschalls trotzdem:

    "Du bist ja total verjudet, Käthe!"

    Käthe Dorsch war es gewohnt, dass ihr die Männer - und die Kritiker - zu Füßen lagen. Taten sie es nicht, konnte sie ganz undamenhaft handgreiflich werden. Ihre erste Kritikerohrfeige ist aktenkundig aus dem Jahr 1946, die zweite geradezu legendär: Das Opfer war, zehn Jahre später, der Wiener Kritiker Hans Weigel, der der Burgtheaterschauspielerin "routinierte Langweile" unterstellt hatte. Das kann man sich, hört man sie in ihrer legendären letzten Rolle als Elisabeth in Schillers "Maria Stuart", kaum vorstellen:

    "Ist's aus mit euren Ränken? Ist kein Mörder
    Mehr unterwegs? Will kein Abenteurer
    Für euch die traur'ge Ritterschaft mehr wagen?
    - Ja, es ist aus, Lady Maria. Ihr verführt
    Mir keinen mehr. Die Welt hat andre Sorgen.
    Es lüstet keinen, euer vierter Mann
    Zu werden - denn ihr tötet eure Freier,
    Wie eure Männer!"


    Am 25. Dezember 1957, kurz vor ihrem 67. Geburtstag, starb Käthe Dorsch. Hans Weigel, so will es die Legende, erhielt zu diesem Anlass von einem anonymen Absender eine Konservendose zugeschickt - der Inhalt: Dorschleber.