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Koenigs fordert mehr Druck auf Russland im Syrien-Konflikt

Die Weltgemeinschaft werde von Russland und China daran gehindert, den syrischen Präsidenten Assad zum Abtreten zu zwingen, kritisiert Tom Koenigs, Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses des Bundestages. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin "Tacheles reden".

Das Gespräch führte Sandra Schulz | 31.05.2012
    Sandra Schulz: Mehr als 100 Tote, viele von ihnen Kinder, das Massaker von Hula in Syrien hat weltweit für Entsetzen gesorgt. Nur ist die Weltgemeinschaft einer Antwort auf die Frage nicht näher gekommen, wie die Gewalt in dem Land beendet werden kann. In Andeutungen war dieses Szenario Ende April schon mal bei US-Außenministerin Hillary Clinton vorgekommen, das Szenario, das gestern als erster westlicher Spitzenpolitiker der französische Präsident Francois Hollande ganz offen ins Gespräch gebracht hat, wenn auch nur unter Bedingungen: eine Militärintervention in Syrien. Unter anderem darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich Tom Koenigs von den Grünen, den Vorsitzenden des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Bundestag. Guten Morgen!

    Tom Koenigs: Guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: Tom Koenigs, muss jetzt mit Gewalt für Frieden gesorgt werden in Syrien?

    Koenigs: Ich glaube, diese Option gibt es nicht, denn die Situation ist dort so, dass ein gewaltsamer Einsatz nicht von Erfolg gekrönt sein könnte – nicht nur wegen dem Beistandspakt von Syrien und Iran, sondern auch wegen der geopolitischen Situation dort. Die Russen wären unmittelbar involviert und die Region würde in noch stärkerem Maße explodieren und in der Gewaltspirale versinken. Deshalb kann man die Andeutungen, die Hollande und Frau Rice gemacht haben, nur so interpretieren, dass sie den Druck auf Russland verstärken wollen. Denn es ist nicht so, wie Sie gesagt haben, dass die Weltgemeinschaft tatenlos zusieht, sondern die Weltgemeinschaft wird von Russland und China gehindert, deutlich zu sagen, dass Assad hier abtreten muss, dass Assad die Schuld trifft für diese Massaker und dass er Derjenige ist, der einer Lösung im Weg steht. Er muss isoliert werden, das ist der diplomatische Hauptzielpunkt.

    Schulz: Die Situation ist jetzt aber ja seit Monaten eigentlich im UN-Sicherheitsrat auch schon dieselbe, eben mit diesem Patt. Ich will nicht defätistisch klingen, aber fällt Ihnen denn jetzt noch eine Lösung auf dem Verhandlungswege ein?

    Koenigs: Ich glaube, der Plan von Kofi Annan ist der einzige, der von allen Seiten wenigstens verbal getragen wird. Man muss jetzt einfordern, dass diejenigen, die den unterstützt haben, einschließlich Assad, ihn auch umsetzen, denn er hat den Vorteil, dass er auch über den Tag hinaus, auch über den Tag eines Regierungswechsels in Syrien hinaus festlegt, wie verhindert wird, dass dann die unterschiedlichen Gruppen sich gegenseitig bekriegen und es eine langfristige Verhandlungslösung gibt. Deshalb muss man nach wie vor, auch wenn es furchtbar ist, dem zuzusehen, alles tun, um die Parteien zu stärken, die diesen Friedensplan unterstützen, und das muss vor allem Druck auf Russland sein.

    Schulz: Über das Ziel dürften sich ja alle einig sein, dass eben Assad auch einschwenken möge auf den Friedensplan. Aber noch mal die Frage: Wie kann das denn erreicht werden?

    Koenigs: Assad kann nicht alleine operieren, wenn die ganze Welt gegen ihn Front macht - diplomatische Front, auch mit humanitärer Hilfe, auch mit Boykott. Das muss man verstärken, daran muss man arbeiten. Noch mal: Eine militärische Option wird und kann nicht von Erfolg gekrönt sein und eine erfolglose militärische Mission wird ja keiner versuchen und da wird auch keiner zu bereit sein. Die Arabische Liga könnte doch stärkeren Druck auf Assad machen, die Nachbarn können stärkeren Druck auf Assad machen, da gibt es noch eine ganze Menge Möglichkeiten, auch die Sanktionen können noch verschärft werden. Das ist das, womit man Assad letzten Endes in die Knie zwingt. Natürlich wird es immer schwerer und es ist furchtbar, diesen Massakern zuzusehen.

    Schulz: Sie haben gerade die Rolle Russlands auch wieder angesprochen. Russland hat natürlich eine Schlüsselrolle, was jetzt aber wie gesagt ja auch schon seit Monaten so ist. Ende der Woche, morgen, ist Putin in Berlin. Mit welchen Argumenten könnte Angela Merkel ihn denn überzeugen?

    Koenigs: Ich glaube, auch Russland kann sich nicht leisten, offenen Auges Massaker in dem Ausmaß und in der Brutalität, wie sie in Syrien sich zeigen, zuzusehen. Auch Russland muss einsehen, dass sie eine globale Verantwortung für Sicherheit und Zusammenarbeit haben und auch im Sicherheitsrat mitarbeiten müssen. Sie können nicht die Weltgemeinschaft immer wieder schwächen, weil sie dann auch an anderen Punkten in die Isolation kommen. Deshalb muss es hier eine Zusammenarbeit geben und ich glaube, das ist auch möglich, zumal die Mission ja mindestens fertiggebracht hat, dass jetzt die Situation in Syrien sehr viel klarer ist, sehr viel klarer auch, wer die Täter sind und wo die Opfer sind, und von daher bin ich nicht ganz so hoffnungslos wie diejenigen, die jetzt nach einer meines Erachtens unvernünftigen und auch nicht hilfreichen Militäroption rufen.

    Schulz: Wenn wir noch mal bei der Rolle Russlands bleiben. Sie haben gerade gesagt, Russland könne diese Haltung nicht einnehmen. Offenbar ist es aber ja seit fast einem Jahr Fakt, dass Russland diese Haltung nimmt. Wie kann Angela Merkel versuchen, Putin umzustimmen?

    Koenigs: Ich glaube, man muss sehr deutlich sagen, dass sich Russland isoliert, und Russland kann nicht, eine so große Macht, wie man sagt, Gestaltungsmacht, kann nicht völlig isoliert operieren. Es müssen auch die Staaten der Arabischen Liga zum Beispiel sich deutlicher artikulieren. Ich glaube, Frau Merkel muss sehr klar mit Herrn Putin Tacheles reden, genauso wie einen Tag darauf Hollande in Frankreich, und das sind Drücke, die wichtig sind. Und letzten Endes sind wir ja auch wirtschaftlich sehr eng mit Russland verflochten und mit diesem ganzen Instrumentarium muss man spielen.

    Schulz: Tom Koenigs, wir haben Ihnen diese Frage schon mal im Frühjahr gestellt. Jetzt noch mal mit der Erfahrung der letzten Monate: Sehen Sie eine Perspektive für Frieden in Syrien?

    Koenigs: Ich befürchte, dass der Bürgerkrieg dort sehr lange anhalten wird. Ich befürchte, dass wir solche Szenen wie bei dem Massaker noch mehr sehen. Ich hoffe, dass alle Kräfte daran arbeiten, gemeinsam eine Lösung hinzukriegen. Es ist nicht die Weltgemeinschaft, die schwach sind, sondern es sind einzelne Staaten. Die muss man sehr deutlich auf ihre Verantwortung hinweisen.

    Schulz: Tom Koenigs von den Grünen, er ist der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag und heute in den "Informationen am Morgen" hier im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank.

    Koenigs: Ihnen auch vielen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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