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"Kofelgschroa. Frei. Sein. Wollen"
Die Stille vor der Kamera

Barbara Webers Dokumentarfilm "Kofelgschroa. Frei. Sein. Wollen" dokumentiert den Alltag einer bayerischen Band, deren Mitglieder weder gut spielen noch gut singen können. Schweigsam sind sie auch noch - und dennoch sympathisch.

Von Christoph Schmitz | 03.08.2014
    Es ist schon seltsam, einen Dokumentarfilm zu sehen über eine Band, die nicht spielen kann, und den Film dennoch weitersehen zu wollen. Und die vier Jungs von "Kofelgschroa" können nicht nur nicht richtig spielen, sie können auch nicht richtig singen, Noten lesen wohl auch nur rudimentär. Sie singen und spielen schief, sie verhaspeln sich und tun sich schwer selbst mit kleinen improvisatorischen Exkursen. Ihre an alpenländische Volksmusik erinnernden Klänge einschließlich der aufgesetzten holpernden Rhythmen sind eher unterkomplex, im besten Falle monoton, was sie in gewisser Weise zumindest mit der Pop- und Minimalmusic verbindet.
    "Kofelgschroa", der Name der Band, ist Programm. Gschroa ist das Geschrei. Kofel ist der Hausberg von Oberammergau, woher die vier stammen. Stammen tun sie von dort im ursprünglichen Wortsinn. Familiär tief verwurzelt sind sie im Oberbayerischen, vermutlich seit je. Darum können sie auch kein Hochdeutsch. Man muss schon sehr genau hinhören, um sie zu verstehen, denn untertitelt ist der Film nicht. Wenn die vier Musiker denn überhaupt reden. Denn eigentlich mögen sie am liebsten gar nichts sagen. Und die eigene Musik zu reflektieren, ist auch nicht ihre Sache. Im Übrigen scheinen sie bei allem, was sie tun, einerseits recht unsicher zu sein, was sie aber keineswegs kaschieren wollen, andererseits tragen sie ihre Unsicherheit auch nicht vor sich her. Sie kokettieren nie. Was unter anderem für den stillen Sympathiesog des Films sorgt.
    Matthias Meichelböck, Tenorhorn, Martin von Mücke, Helikontuba, sein Bruder Michael von Mücke, Flügelhorn und Gitarre, und Maxi Pongratz, der Akkordeonspieler und Hauptsänger - sie antworten auf jede Frage zuerst einmal mit einer gefühlten Stunde Schweigen. Dann kommt die Antwort, in einem Satz, manchmal sind es sogar zwei. Das heißt: Von jeglicher medienversierter Knopfdruck-Logorrhö wollen sie nichts wissen. Ehrlich, wirklich, wahrhaftig wollen sie sein, und sie sind es. Sie sind bodenständig und stehen damit so ganz und gar quer zum digitalen Hype.
    Das Schönste an Barbara Webers Dokumentarfilm sind dann auch die Nahaufnahmen der Gesichter, auf denen sich das Grübeln spiegelt. Die Kamera hat unendlich viel Geduld. Ruhe strahlt auch die Musik von "Kofelgschroa" aus. Es ist die Ruhe dessen, was man einmal guten Gewissens als Heimat bezeichnen konnte. Aus den Tiefen bayerischer Volksmusik weht diese Ruhe hervor. Als harmonischer Urlaut kommt sie an, verbunden mit dem Akzent der Gegenwart, mit leichter Ironie und Witz. Musikalische Brillanz würde vermutlich stören. Das Unfertige dient als Mittel, um einen Zustand zu erreichen, den man Glück nennen könnte.
    Barbara Webers Film hat keine besondere ästhetische Handschrift. Aus den zahllosen Stunden Aufnahmematerial, gesammelt über sechs Jahre hinweg, hat sie einen routinierten Wechsel aus Interviewszenen, Konzertausschnitten und Alltagsszenen montiert. Letztere zeigen die jungen Männer in ihren Berufen als Eisenschmied, Holzschnitzer, Ziegenhirte und Student. Vor allem spürt man, wie sich die Musiker dem Zugriff der Kamera eigentlich entziehen wollen. Aus der Neugier der Regisseurin und der Verweigerung ihrer Protagonisten entsteht eine Dichte, die den Film über seine 90 Minuten hinwegträgt. Besonders interessant wird es, wenn die große mediale Aufmerksamkeit der Rundfunk- und Fernsehsender erwacht und die Jungs sich dagegen wehren müssen, dass ihre natürliche Art als Verkaufsmasche gedeutet wird. Dann wird der Film "Kofelgschroa" auch zu einem Dokument unserer Zeit.