Donnerstag, 25. April 2024

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'Kohl droht, sein historisches Erbe zu verspielen'

Sanders: Die CDU-Affäre – zu einer überraschend einberaumten Krisensitzung wollen sich heute CDU-Vorstand und –Präsidium treffen. Und es gilt als sehr wahrscheinlich, dass während dieses Treffens auch Personalien auf der Tagesordnung stehen werden. Am Telefon begrüße ich jetzt die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Guten Morgen Frau Süssmuth.

18.01.2000
    Süssmuth: Guten Morgen Frau Sanders.

    Sanders: Frau Süssmuth, Sie waren zehn Jahre lang Bundestagspräsidentin und haben in dieser Eigenschaft auch Rechenschaftsberichte Ihrer Partei – der CDU – vorgelegt bekommen. Und mindestens ein Teil von diesen Berichten enthielt – um es freundlich zu formulieren – unrichtige Angaben. Was war denn Ihr erster Gedanke, als Sie von dieser Spendenaffäre und der Hauptrolle Kohls erfahren haben?

    Süssmuth: Mein erster Gedanke war: Das kann nicht sein. Es gibt immer mal wieder Unregelmäßigkeiten, Vergessenes, auch direkte Fehler, aber es kann nicht sein, dass mir hier etwas vorgelegt wird, was über Jahre nicht zutreffend sein sollte, denn vor mir stand der Kanzler, der Parteivorsitzende und gleichzeitig die Frage: Hier bahnt sich was an – könnte sich was anbahnen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Meine erste Reaktion war: Das wird nicht sein können. Und insofern war sehr viel Abwehr im Spiel und das 'Nicht-Sich-Darauf-Einlassen-Wollen'.

    Sanders: Und nun, nachdem immer mehr Details bekannt geworden sind – wie beurteilen Sie die Rolle Kohls in diesem Zusammenhang?

    Süssmuth: Es ist eine ganz schwierige Rolle, die sich daraus ergibt für die Partei. Ich sage Ihnen: Kohl ist die größte Identifikationsfigur mit Adenauer in dieser Partei gewesen, und da bricht jetzt etwas zusammen, woran gerade auch unsere Mitglieder noch festhalten – das ist ihr Helmut Kohl. Gleichzeitig haben wir dieses Problem – aus meiner Sicht, ich habe Vergleichbares nicht erfahren –: Die größte Glaubwürdigkeitskrise, die Identitätskrise und eine Orientierungskrise. Und ich sage Ihnen: Der wichtigste Dienst für den Neuanfang und für einen Reinigungsprozess, den Helmut Kohl seiner Partei, unserer Partei und sich selbst geben kann, ist uns und sich herauszuhelfen, denn wir können ohne seine Angaben aus der lähmenden Situation herauskommen. Was für mich noch wichtiger ist, das ist: Ohne Bekenntnis zu Recht und Gesetz – und damit Wiederaufnahme der Praxis – gibt es für uns keinen wirklichen Neuanfang. Man kann zwar Schnitte legen, aber es bleiben dann über der Partei 'bleierne Fliegen'.

    Sanders: Der ehemalige Bundesinnenminister Manfred Kanter hat ja gestern Abend die Konsequenzen gezogen und angekündigt, er wolle sein Bundestagsmandat niederlegen. Sollte so etwas ähnliches der Altbundeskanzler auch machen?

    Süssmuth: Ich muss Ihnen ganz offen sagen: Ich wäre am weitesten entfernt, am Telefon hier jetzt Konsequenzen zu fordern, wenn wir gleich Sitzungen haben. Und ich sage Ihnen auch: Das ist kein Weg, das Bundestagsmandat niederzulegen, wenn nicht das, was ich eben gerade gesagt habe, erfolgt. Denn damit wäre eine Konsequenz gezogen, die keinen wirklichen Ausweg und keinen Reinigungsprozess ermöglicht. Zunächst einmal ist über diese Frage - Wie kommen wir daraus? - gleich in unseren Gremien zu sprechen.

    Sanders: Der Altbundeskanzler hat bisher ja noch nicht die Namen der Spender gesagt, Sie haben es erwähnt. Aufklärung tut Not. Angenommen, es gäbe nun doch juristische Möglichkeiten über das Zivilrecht, ihn zu zwingen, diese Angaben zu machen: Sollte man die nutzen?

    Süssmuth: Ich glaube, dass in der Frage zunächst einmal für mich nicht der juristische Weg ansteht, sondern der menschliche Weg. Und der heißt, auf ihn einzuwirken, dass er das tut, was jetzt ansteht. Viele sagen ja: Hört auf, ihn damit zu quälen. Da sage ich: Diesen quälenden Vorgang können wir nicht ersparen. Und deswegen: Es gibt die eine zentrale Frage: Geht Ihr menschlich in dieser Partei miteinander um? – Und das beruht dann auf Gegenseitigkeit. Für mich steht zunächst im Vordergrund, auf eine Weise, die unter Menschen angemessen ist, damit auch das Recht wieder hergestellt werden kann, diesen Weg zu erstreiten.

    Sanders: Frau Süssmuth, der Altbundeskanzler hat offenbar ganz deutlich – das hat er ja auch schon zugegeben – gegen Gesetze verstoßen und sein Ehrenwort im Prinzip über diese Gesetze gestellt. Ist das für Sie akzeptabel? Was ist das?

    Süssmuth: Nein, das ist ganz klar nicht akzeptabel. Es mag ihn persönlich ehren, aber es ist eine Diskussion, die ins Leere führt. Es kann kein Wort geben in dieser Situation. Es geht hier nicht um eine existenzielle Frage, wo es einmal einen Gewissensentscheid gibt: was stelle ich höher – ich mache mich in beiden Formen schuldig, sondern hier geht es darum, dass Recht und Gesetz Vorrang haben vor jeder Zusage an Spender. Spender, die sich auf diese Form des Gesetzes sich einlassen wollen, dürfen uns dann kein Geld geben.

    Sanders: Kann die CDU mit Helmut Kohl noch Staat machen? Hat er einen Verfassungsbruch begangen?

    Süssmuth: Zunächst geht es mir darum: Wenn Sie mich fragen, kann man mit ihm Staat machen – das habe ich auch gestern noch betont –: Ich habe großen Respekt vor seinen politischen Leistungen, insbesondere in der deutschen Frage, in der Wiedervereinigungsfrage und in der Europafrage. Er droht, sein historisches Erbe zu verspielen, wenn er diesen Makel nicht ausräumt.

    Sanders: Nun ist auch der derzeitige Parteivorsitzende Wolfgang Schäuble in die Kritik geraten - eine 100.000-Mark-Spende von Schreiber. Ist Herr Schäuble noch stark genug, die Partei aus dieser Krise herauszuführen?

    Süssmuth: Es ist richtig – Wolfgang Schäuble hat mit der Art, wie er dies öffentlich gesagt hat, einen Fehler gemacht, indem er es zu spät gesagt hat und wir immer noch nicht wissen, wo das Geld ist – was nicht seine Schuld ist. Ich möchte hier sehr klar sagen: Ich glaube, wir dürfen nicht die Ebenen verschieben. Er hat nicht gegen Recht und Gesetzt verstoßen, er hat auch kein Geld auf schwarze Konten befördert, sondern es ist dem Verfahren nicht gut gelaufen; er hat einen menschlichen Fehler begangen. Aber ich muss Ihnen sagen: Ich denke, dass hier jetzt nun alle Schuld auf ihn abgeschoben wird, ist falsch. Er ist der Mann, der in einer ganz schwierigen Situation mit Angela Merkel eine Arbeit leistet, die zu der schwierigsten gehört. Ich möchte Ihnen sagen: Ich weiß um diesen Fehler, aber ich sage hier sehr klar: Er hat meine volle Unterstützung und mein Vertrauen, und wir brauchen ihm mehr denn je in dieser schwierigen Lage.

    Sanders: Was muss sich denn nun ändern – zum einen innerhalb der CDU, dass solche Dinge nicht wieder entstehen, solche Affären, solch ein Machtvakuum, und auf der anderen Seite vielleicht auch innerhalb des Bundestages, der Demokratie?

    Süssmuth: Ich glaube, zunächst ist es für uns wichtig – bei allem Guten, das Landesverbände, Kreisverbände, einzelnen Personen widerfahren ist: Es kann kein Haushalt hinter dem Haushalt geben. Das heißt, wir brauchen eine Änderung im Parteienstatut, die eine ganz klare Haushaltskontrolle ermöglicht und durchsetzt - es kann keine Trennung geben zwischen Schatzmeisterei und Generalsekretär und Parteivorsitzenden; eine Kontrolle des weiteren durch die Gremien. Ich denke, dass ist das wichtige. Es hat sich ja wieder einmal mehr gezeigt, dass Machtkonzentration nicht gut tut, Erwartungen schafft und Abhängigkeiten schafft. Damit kommen wir auch zur Frage der zeitlichen Machtbegrenzung . . .

    Sanders: . . . das heißt, ein Bundesvorsitzender der CDU nur noch auf Zeit, meinetwegen für vier oder acht Jahre, aber nicht länger? . . .

    Süssmuth: . . . also, ich denke, wenn wir von den Regierungsämtern mit zeitlicher Befristung sprechen, sollten wir auch die Frage für Parteiämter stellen. Und für mich ist eine wichtige Frage, ob die – was allenthalben für erfolgreiche Machtpolitik als Rezept ausgewiesen wird – Koppelung von Parteiamt und Regierungsamt wirklich nicht zu eine Machtkonzentration führt, die wir aufgeben sollten.

    Sanders: Frau Süssmuth, reicht denn auch die Kontrolle des Rechenschaftsberichts durch das Bundestagspräsidium? Sollten da auch vielleicht zusätzliche Kontrollen eingebaut werden?

    Süssmuth: Wir haben mit der Durchführung des Parteienfinanzierungsgesetzes Schwierigkeiten, wobei der Ruf jetzt nach Änderung des Gesetze nicht Sache ist, sondern die Einhaltung. Trotzdem meine klare Aussage: Ich glaube, es tut den Fraktionen gut, wenn wir nicht gleichzeitig auf die Entgegennahme und Kontrollinstanz für den Rechenschaftsbericht sind, zumal ich sagen muss: Der Bundestagspräsident hat keine wirkliche Kontrollfunktion. Deswegen entweder eine Prüfung durch den Bundesrechnungshof oder durch eine unabhängige Kommission. Ich halte das für sinnvoller, zumal Ältestenrat, Präsidium hier überall keine Einsicht nehmen können. Wir sind nur mittelverwaltende Behörde und wollen in der Öffentlichkeit vermitteln.

    Sanders: Herzlichen Dank für das Gespräch. Das war Rita Süssmuth, die ehemalige Bundestagspräsidentin. Einen schönen Tag noch.