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Kohleindustrie
Polens stolze Bergarbeiter

Bergmänner genossen in Polen lange einen Sonderstatus. Die Region Schlesien versorgte das Land mit Kohle und Stahl. Die Arbeiter bekamen Extra-Löhne und Vergünstigungen. Davon können Kumpel von heute nur träumen und mancher setzt zur Rettung der Kohle auf die nationalkonservative PiS-Regierung.

08.01.2020
Bergarbeiter einer Kohlenmine, die geschlossen werden soll, starten im polnischen Bytom am 17.11.2003 einen 24-stündigen Warnstreik gegen den Verlust ihrer Arbeitsplätze.
Bergleute genossen hohes Ansehen und lange Zeit auch einen Sonderstatus (picture-alliance / dpa / Koszowski)
Ein Straßendorf in Schlesien. 30 Kilometer von Katowice entfernt. Am späten Nachmittag rollt ein dunkler Kombi auf den Parkplatz vor der Bäckerei. Ein schlaksiger Mann mit dunklem Kapuzenpulli steigt aus, grüßt. Der 30-Jährige hat den Treffpunkt vorgeschlagen. Hier will er über seine Arbeit als Bergmann erzählen. Anonym. Nennen wir ihn also Tomek. Er liebt seinen Beruf, hat er am Telefon gesagt. Aber er will keinen Ärger. Mit den Kollegen. Einige mögen es nicht, wenn man mit Deutschen über das Thema Kohle und Bergbau redet.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Kohlerevier Schlesien - Dicke Luft und schwarzes Gold".
Die Bäckerei schließt bereits in zehn Minuten. Damit hat er nicht gerechnet. Winteröffnungszeiten. Tomek muss kurz überlegen. Und schlägt für das Interview dann einen anderen Ort vor.
Großvater, Vater, Onkel und Bruder - alle waren Bergleute
Tomek braust mit seinem Kombi über die dunklen Dorfstraßen. Mit 60 Kilometer pro Stunde, auch dort wo 30 vorgeschrieben sind.
"Für mich stand von Anfang an fest, dass ich Bergmann werde. Alle in meiner Familie waren Bergleute: mein Vater, mein Großvater, mein Onkel. Auch mein Bruder arbeitet in einer Mine. Und auch mein Schwiegervater arbeitet dort. Meine Schwester heißt Barbara. So wie die Schutzheilige der Bergleute."
Linker Hand ragen die Kamine eines Kraftwerks in die Höhe, dahinter, von der Dunkelheit verhüllt, erahnt man riesige Gesteinshalden. "Die größten Europas", sagt Tomek stolz. Drumherum flache Landschaft, hier und da Einfamilienhäuser. Warm leuchtet das Licht der Kneipe in der Dunkelheit. Kein Auto parkt davor. Doch es ist geöffnet.
An den Wänden viel Holz, einige Pferdesättel, daneben ein großes Porträt von John Wayne. Der Wirt trinkt an der Theke. Mit dem einzigen Gast. Tomek steuert eine Ecke an, zwängt seine langen Beine unter den Holztisch. Der Bergmann ist gelenkig, muss es in seinem Beruf auch sein.
Unser Streb, in dem wir arbeiten, ist sehr niedrig, erzählt er. Manchmal nur 1,20 Meter hoch. Mit Helm und Knieschützern kriechen sie in den Abbauraum hinein, in 420 Meter Tiefe, bis zur Kohlewand. Sein Werkzeug schleift Tomek in den engen Gängen oft am Bein hinter sich her. "Ruckzug" nennt er das.
"Ich mag meine Arbeit" sagt Tomek. Mehr als 6.000 Tonnen Kohle fördern sie hier pro Tag. In einem der ältesten Bergwerke Polens.
"Wäre heute noch die liberale PO-Regierung an der Macht, dann wären die Zechen schon geschlossen. Sie haben einfach allem zugestimmt. Der Reduzierung der Emissionen, dem Klimaschutz usw. Unsere national-konservative Regierung, die kümmert sich um uns Bergleute. Präsident Duda hat in einer seiner Reden gesagt: "Kohle und Bergbau, das ist unser nationales Erbe. Und Kohle ist unser wichtigster Brennstoff."
Bei der Stromversorgung setzt Polen auf Kohle
80 Prozent seines Stroms produziert Polen heute noch in Kohlekraftwerken. Dennoch: Auch unter der national-konservativen PIS-Regierung werden Zechen geschlossen. Vor allem aus wirtschaftlichen Gründen.
Tomeks Betrieb gehört zur staatlichen Kohle-Holding. Die hieß ursprünglich "Kompania Weglowa". Heute heißt sie "Polska Grupa Gornicza". "Der größte Kohlekonzern Europas", wirbt der Staatsbetrieb für sich. Ein Sammelbecken für unrentable Zechen, die sich nicht privatisieren lassen, sagen Kritiker. Auf jeden Fall beschäftigt das Unternehmen knapp 30.000 Bergleute. So wie Tomek.
"Eigentlich fehlen uns Bergleute. Es gibt viele junge Männer, die kommen zu uns, arbeiten einen Monat. Und dann sehen sie ihren Lohnzettel. Und dann arbeiten sie lieber woanders."
Der 30-Jährige schüttelt den Kopf. Er hat Maurer gelernt. Bevor er unter Tage anfing. Vor sieben Jahren war das. Im Schnitt verdient Tomek monatlich knapp 800 Euro netto. Wann immer es geht, arbeitet er drei Samstagsschichten zusätzlich im Monat. Und einen Sonntag. Das bringt dann – umgerechnet - 200 Euro zusätzlich.
"Früher konnte ein Bergmann seine Familie ernähren. Die Zeiten sind vorbei. Bei manchen privaten Unternehmen verdienen Bergleute heute 50 Prozent mehr als bei der staatlichen Kohleholding"
Ausnahmeregelungen für EU-Klimaneutralität ausgehandelt
Auch er hofft, irgendwann zu einer privaten Zeche wechseln zu können. Denn Kohle, da ist er ganz sicher, wird in Schlesien auch in Zukunft abgebaut werden. Beim EU-Gipfel im Dezember machte die polnische Regierung zuletzt klar, dass sie vorerst auf Kohle-Kurs bleiben will. Als einzige weigerte sie sich die Verpflichtung zur Klimaneutralität bis 2050 mitzutragen.
"Gegen den Bergbau in Polen läuft eine Medienkampagne. Andere EU-Länder setzen weiter auf die Kohle. In Deutschland geht sogar ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Warum sollen wir dann mit der Förderung aufhören? Ich glaube, das ist eine Kampagne. "
Vieles, sagt Tomek , könne er nicht verstehen. Etwa, dass polnische Kraftwerke russische Kohle verheizen, da sie günstiger ist. Und sich neben seiner Zeche tausende Tonnen zu großen Halden türmen, weil sich kein Abnehmer findet, Tomek schüttelt den Kopf. Blickt trotzig:
"Ich bin stolz darauf, ein Bergmann zu sein. Unter den Bedingungen da unten klar zu kommen. Und die Leute respektieren einen. Leider aber zahlt sich das finanziell nicht aus."