Freitag, 19. April 2024

Archiv

Kohlekommission tagt erstmals
Angst im Revier

Die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung soll ein Enddatum für den Kohleausstieg finden. Es geht um Klimaschutz, vor allem aber um bis zu 50.000 Arbeitsplätze. Für den Strukturwandel sieht der Koalitionsvertrag erst mal 1,5 Milliarden Euro vor. Doch es fehlt an Ideen.

Von Theo Geers | 26.06.2018
    "Die Kohle geht, der Kumpel bleibt" steht mit weißer Schrift auf einem schwarzen Banner während eines Demonstrationszuges in Bottrop am 1. Mai 2018
    In Bottrop wird zum Jahresende mit Prosper-Haniel die letzte deutsche Zeche schließen. Die Kohlekommission muss sich Gedanken machen, welche alternativen Arbeitsplätze für die Branche geschaffen werden können. (picture-alliance / dpa / Marcel Kusch)
    "Das wird da jetzt nur durchgezogen, weil da Arbeitskräfte dran hängen. Die einen sehen die Umwelt, die anderen sehen den Arbeitsplatz - da hätte die Politik schon etwas eher dagegen steuern können."
    Die Angst geht um in den beiden deutschen Braunkohlerevieren - oder, je nach Blickwinkel, auch die Hoffnung ...
    "Wir sind ja von der Braunkohle sehr gezeichnet und wir sehen hier, dass die Kohle unsere Heimat kaputt macht. Wir erhoffen ja natürlich den Kohleausstieg, deswegen stehen wir ja heute hier."
    So zerrissen wie unter den Demonstranten in Erkelenz am Rande des rheinischen Braunkohlereviers ist die Stimmung auch im Lausitzer Revier. Ohne Kohleausstieg kein Klimaschutz - das ist Fakt, doch die Zukunft ganzer Regionen, in denen die Tagebaue geschlossen und Kraftwerke vom Netz gehen werden, soll auch gesichert werden - das gilt es, unter einen Hut zu bringen.
    "Nicht die Opfer für politische Entscheidungen"
    "Es geht um Klimaschutz, es geht aber auch um Arbeitsplätze."
    Sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.
    "Wir können unsere Verantwortung nur dann wahrnehmen - sowohl für das Klima wie für den Strukturwandel, wenn die Arbeitnehmer in der Kohlestromerzeugung nicht die Opfer für politische Entscheidungen sind, die wir für Umwelt und Klima treffen müssen."
    Diese Entscheidungen vorbereiten soll die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung, die schon jetzt nur Kohlekommission genannt wird. Heute nimmt sie ihre Arbeit auf: 24 Vertreter von Arbeitgeber- und Industrieverbänden, aus Gewerkschaften und Umweltverbänden, dazu Klimaforscher oder auch Vertreter der betroffenen Regionen. Sie sollen unter der Aufsicht von gleich vier Vorsitzenden bis Jahresende ein Enddatum für den Kohleausstieg, auch aus der Steinkohleverstromung, festlegen.
    20 Kohlekraftwerke gehen vom Netz
    Sie sollen aufzeigen, wie Ersatzarbeitsplätze jenseits der Kohle entstehen können und sie sollen Wege aufzeigen, wie Deutschland noch Boden gut machen kann bei den CO2-Einsparzielen, die 2020 mit Sicherheit verfehlt werden, danach aber eingehalten werden müssen. Martin Kaiser ist als Geschäftsführer von Greenpeace Mitglied der Kommission. Er hat da glasklare Vorstellungen.
    "Der erste große Schritt muss bis 2020 vollzogen sein mit etwa 100 Mio. Tonnen CO2, die reduziert werden müssen, bis 2030 sollte dann das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet werden."
    Das heißt: 20 Kohlekraftwerke gehen in den nächsten zweieinhalb Jahren vom Netz, der Rest in den zehn Jahren danach. Machbar wäre dies, versichert Kaiser, etwa indem Deutschland weniger Strom in andere Länder exportiert.
    Druck aufs Tempo bei den Umweltschützern
    Nötig ist es aus seiner Sicht in jedem Fall, weil keine einzige Tonne CO2, die erst einmal in der Atmosphäre ist, wieder zurückgeholt werden kann. Deshalb wollen Greenpeace, der BUND oder der Potsdamer Klimaschützer Hans-Joachim Schellnhuber in der Kommission beim Kohleausstieg aufs Tempo drücken, während anderen dieses Tempo viel zu hoch ist.
    "Wir werden auf gar keinen Fall bis zum Jahr 2030 aussteigen, das ist nirgendwo an gedeutet."
    Das versichert Wirtschaftsminister Altmaier noch am Wochenende. Er hat die rund 29.000 Jobs im Blick, die direkt an den Tagebauen und Kraftwerken hängen, zusammen mit den indirekt an der Kohle hängenden Jobs kommt der Minister auf 50.000 Jobs, für die Ersatz her muss.
    Hoffnung, mit staatlichen Subventionen nachzuhelfen
    "Deshalb haben wir die feste Absicht, dass wir zunächst über neue Arbeitsplätze sprechen und erst dann über Strukturwandel und erst dann über die Frage, in welchem Teil Deutschlands welche Kohlekraftwerke und welche Tagebaue wann möglicherweise stillgelegt werden."
    Ginge es nach Altmaier, könnten der Bund und die Länder neue Fachhochschulen und Behörden bevorzugt in diesen Regionen ansiedeln. Umweltverbände denken an große Wind- und Solarparks, verweisen darauf, dass dafür auch die Stromnetze weiter genutzt werden könnten, die jetzt den Braunkohlestrom transportieren. Es sollen aber auch neue Industriearbeitsplätze entstehen, etwa durch einen Aufbau einer ganz neuen Batterieproduktion in Deutschland für Elektroautos.
    Kein Interesse der Autohersteller an Batteriefertigung
    Die Kommission soll klären, ob das realistische Perspektiven oder nur wolkige Idee sind. Denn große Autohersteller und Zulieferer haben bereits abgewunken, selbst in die Batteriefertigung einzusteigen. Doch die Hoffnung bleibt, hier mit staatlichen Subventionen nachhelfen zu können. In jedem Fall hat die Regierung im Koalitionsvertrag bereits 1,5 Milliarden Euro bis 2021 für diesen Strukturwandel eingeplant. Ideen sollen vor allem die Industrievertreter in der Kommission liefern - und das möglichst bis Ende Oktober. Bis Jahresende soll dann das Kohleausstiegsdatum feststehen.