Freitag, 19. April 2024

Archiv

"Kohlhaas" am Gorki-Theater
Lacht kaputt, was euch kaputtmacht

Yael Ronen inszeniert ihr neues Stück "Das Kohlhaas-Prinzip" nach Kleist am Maxim-Gorki-Theater in Berlin als Politkabarett. Ein lustig buntes Sittenbild mit Schauspielern in einer revoluzzenden Jungmännerpose, wie es so nur dort zu sehen ist.

Von Eberhard Spreng | 24.05.2015
    Das Maxim Gorki Theater, aufgenommen am 29.10.2012 in Berlin.
    Das Maxim Gorki Theater in Berlin (picture-alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Immer diese Zuschreibungen. Der Schwarze, ja der muss ja maßlos leiden unter dem Rassismus in Deutschland. Oder der Türke: Welche Sure hilft ihm eigentlich, seine Aggressionen auf die ihn ständig stigmatisierende deutsche Mehrheitsgesellschaft zu ertragen. Mit Stupsen, Boxen und aggressiver Rede will Dimitri Schad seine vier Mitspieler provozieren. Und für jeden hält er ein Klischee bereit, eine vorgeformte Revoltehaltung gegen die Herrschaft der Vorurteile. Yael Ronen, die gerne bei Konfliktparteien die Verallgemeinerungen und fixen Ideen attackiert, mit denen diese ihre Widersacher belegen, heizt dem Publikum ein mit einem wohl inszenierten Aus-der-Rolle-Fallen:
    "Wir sind doch hier alle Teil eines ungerechten Systems, das wissen wir doch alle. Und ich finde, das sollten wir hier mal thematisieren, und wir sollten mal aufbegehren. Wir sollten wütend werden, richtig wütend. Und ich bin zum Beispiel wütend, wahrscheinlich nicht wütend genug, weil das hier ist einfach ein stromlinienförmiger Tempel des Talents."
    Ronens theaterselbstkritischer Humor ist wahrscheinlich die klügste Haltung, wenn es darum geht, mit derben Zügen, mit Anklängen ans Kabarett aus dem Kleistschen "Kohlhaas" Bauanleitungen für zeitgenössische politische Revolten zu entwerfen. Sie benutzt das Stück als dramatisches Skelett, dem sie ein heutiges Themenkostüm überwirft. So stürzen denn einigermaßen effektvoll Blechteile, Alugerüste und weiterer Schrott aus dem Bühnenhimmel, Thomas Wodianka entnimmt dem Haufen ein Steckenpferd und einen Umhang. Das aber wird ihm von den Mitspielern nach den ersten drei Zeilen aus der Kleistschen Novelle rasch wieder abgenommen. Man stülpt ihm einen Fahrradhelm über und eine alberne Fahrradkleidung. Kohlhaas heute ist ein innovativer Fahrradentwickler, der im testosteronvergifteten Berliner Stadtverkehr von einem gepanzerten BMW mutwillig über den Haufen gefahren wird. Am Steuer der superreiche und mit besten Verbindungen ausgestattete Hajo von Tronka, den Dimitrij Schaad als schmieriges Ekel verkörpert. Parallel dazu erleben wir einen palästinensischen Käsehändler, der an einem israelischen Checkpoint schikaniert wird, seinen Wagen zurücklassen soll und diesen wenig später angeranzt und mit eingeschlagener Scheibe wiederbekommt. Für diese Szene schnappen sich die Akteure ein paar Autotüren und eine kleine Nebelmaschine und reihen sich hintereinander auf.
    Yael Ronens Theater beherrscht den schnellen Bau- und Umbau plakativer Bebilderungen in rasch hingeworfenen Szenen. Später kommt dieser Käsehändler Michail, den Taner Şahintürk im Wechsel von Verzweiflung und Aufbegehren spielt, als Asylbewerber nach Deutschland und wird Zeuge der skandalträchtigen Eskalation und Kollision von Fahrrad und BMW. Wozu Yael Ronen in ihrem Kohlhaas-Prinzip eigentlich den doppelten Michael braucht, offenbart sich erst viel später. Denn die israelisch-palästinensischen Ungerechtigkeiten interessieren die Regisseurin, die das Stück zusammen mit dem Ensemble entwickelt hatte, nun nicht weiter. Mit imposantem Feuerwerk bebildert sie des Fahrradhändlers Revolte im Kampf gegen einen allmählich in Korruption abgleitenden Rechtsstaat. Flammen lodern vor einem großem Aluminiumgerüst, auf dem dann auch die Schemen von gewaltigen Raben auftauchen, die als Metapher für die Rachegeister und für all die Seelen stehen, die vor den Ungerechtigkeiten der Welt fliehend in Flüchtlingsströmen zusammenfinden. Dann aber bekommen zwei dieser Raben die Gesichter von Martin Luther King und Mahatma Gandhi, die Kohlhaas ins gerechtigkeitsversessene, mordbrennende Gewissen reden und so die Luther-Szene des Originaltextes paraphrasieren:
    "Wer gab dir das Recht, von Tronka im Verfolg eigenmächtiger Rechtsschlüsse zu überfallen und mit Feuer und Schwert die ganze Gemeinschaft heimzusuchen, die ihn beschirmt?
    Den Krieg, den ich mit der Gemeinheit der Menschen führe, erklärte ich, sobald ich aus der Gemeinschaft verstoßen war.
    Wer hat dich aus der Gemeinschaft des Staates verstoßen?
    Verstoßen nenn ich den, wem der Schutz der Gesetze versagt wird."
    Eine Facebook-Kampagne hatte nach dem Brandanschlag auf das Soho House 15.000 Likes verzeichnet, bei dem der mächtige Übeltäter Hajo von Tronka schwer verletzt wird; schnell war auch die Guy-Fawkes-Maske auf der Bühne zu sehen, die weltweit Bewegungen wie z.B. Occupy-Wall-Street emblematisch begleitet. Der moderne Kohlhaas bekommt Nachahmer, ein Hauch von Revolution liegt in der Luft. Nach einer von Thomas Wodianka meisterlich vorgeführten Coverversion von "Paint in Black" von den Stones schäumt das Publikum geradezu vor Freude über die fetzige, ideen- und bilderreiche Theaterrevolution. Über Michail, des Palästinensers Beteiligungen an der blutigen Revolte, gibt es bald in den Medien Spekulationen. Und ganz zum Schluss schlägt der Innenminister dem deutschen Kohlhaas einen miesen Deal vor. Er soll sich freikaufen, indem er seinen palästinensischen Namensvetter verrät. Die israelische Regisseurin lässt in der Frage nach der biografischen Legitimation von gewalttätigem Widerstand ihre israelisch-palästinensische und ihre deutsche Lebenswelt aufeinandertreffen. Als Politkabarett, lustig buntes und ziemlich lautes Sittenbild und mit Schauspielern in einer revoluzzenden Jungmännerpose, wie es so nur am Gorki zu sehen ist. Für Yael Ronen gibt es nur eine mögliche Lösung im Gewissenskonflikt und Gerechtigkeitskampf: Lacht kaputt, was euch kaputtmacht.