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Marina Weisband
Aus der Instrumentenkiste von Populisten

Sie vertreten eine Randmeinung? Haben keine Argumente? Wollen aber möglichst schnell möglichst viele Leute überzeugen? Marina Weisband zeigt Ihnen in ihrer Kolumne handwerkliche Kniffe, wie Sie als Minderheit eine öffentliche Debatte komplett lahmlegen können.

Von Marina Weisband | 28.06.2018
    Porträtfoto von Marina Weisband
    Marina Weisband (Lars Borges)
    Talkshows lehren uns das Leben. Völlig unerwartet haben uns diese gigantischen Überlebenden des letzten Jahrhunderts gut auf die aktuelle politische Debatte vorbereitet: die Diskussion auf Social Media. Alles, was sich heute bei uns unter den Schlagworten Fake News, Shitstorm, alternative Fakten, Filterblasen etc. verbirgt, entstammt eigentlich einer Instrumentenkiste von Populisten, die uns aus unserer Begegnung in Talkshows schon bekannt vorkommt. Wenn man nämlich möglichst schnell möglichst viele Leute mit einer kurzen Aufmerksamkeitsspanne überzeugen will, gibt es ein paar handwerkliche Kniffe, die man anwenden kann.
    Die Twitteraccounts der Trolle von Putin, das europäische Rechtsaußen-Twitter und der amerikanische Präsident haben diese Handgriffe populär gemacht und gezeigt, wie man als Minderheit eine öffentliche Debatte komplett lahmlegen kann. Ich präsentiere hier eine kleine Galerie solcher Techniken. Vielleicht können Sie sie in der freien Wildbahn beobachten. Vielleicht wollen Sie sich auch selbst als Troll probieren. Dann beachten Sie das Folgende.
    Methode 1: Kontrollieren Sie die Debatte
    Der Kandidat ihrer Partei ist Vorwürfen sexueller Belästigung ausgesetzt? Das kann man nicht verteidigen, jedenfalls nicht öffentlich. Sagen Sie stattdessen: "Die MeToo-Bewegung ist zu empfindlich. Darf man denn heute überhaupt nicht mehr flirten?" oder "In dem Alter pflegt man ja noch eine andere Sprache, aber es sind doch nur Worte." Wichtig dabei: Lassen Sie das Argument möglichst fadenscheinig sein. Liberale werden nicht widerstehen können, Sie zu korrigieren, Ihnen die Auswirkung von Sprache zu beweisen. Aber jetzt haben Sie sie genau da, wo Sie sie haben wollen: Sie reden über Sprache. Nicht über Übergriffe. Tun Sie so, als hätten Ihre Kontrahenten Ihnen schon zugestimmt, dass es um Sprache geht, und beginnen Sie da. Über dieses Thema lässt sich ja auch trefflich und lange streiten. Das ist gut. Egal ob auf sozialen Medien oder in Talkshows: Sie streiten immerhin nicht, um zu einer Wahrheit zu kommen oder einen Kompromiss zu finden. Sie streiten, um Dominanz zu zeigen.
    Methode 2: Spielen Sie niemals Verteidigung
    Sie konfrontieren den politischen Gegner mit kurzen, knackigen und extrem falschen Vorwürfen. Zum Beispiel: Die Kriminalität in Deutschland ist extrem gestiegen. Ihr Kontrahent schreibt einen langen Text, illustriert mit objektiven Statistiken, warum das nicht so ist. Zeit für einen neuen, kurzen Vorwurf: Die Statistiken sind gefälscht. Ihr Kontrahent beschreibt lange, welche Gütekriterien den Statistiken zugrunde liegen. Und so weiter. Provozieren Sie diese Weltverbesserer bloß in ihrem Ehrgeiz, eine falsche Aussage nicht stehen zu lassen. Vielleicht wird jeder Ihrer Punkte widerlegt. Aber wenn sie von außen auf dieses Gespräch draufschauen, sind Sie immer im Angriffsmodus - und der andere immer in Verteidigungshaltung. Sie sind stark. Zitierfähig. Präzise. Ihr Kontrahent wirkt auf den ersten Blick hingegen wie ein verkopfter Elfenbeinturmbewohner, der sich Ausreden zu Recht stammelt. Und wen interessiert schon mehr als der erste Blick.
    Methode 3: Machen Sie Ihre Seite normal
    Sie vertreten eine Randmeinung, die normalerweise niemanden interessieren würde? Sie haben dadurch keine Macht? Das macht nichts, Sie können die Decke der Konversation trotzdem auf Ihre Seite ziehen. Sie müssen nur die Leute vertraut genug mit Ihren Positionen machen. Je häufiger Sie extreme Positionen wiederholen, desto normaler werden sie. Die meisten Zuhörer werden immer die goldene Mitte suchen. Sorgen Sie dafür, dass sich die goldene Mitte näher bei Ihnen befindet. Aber wie verschaffen Sie sich mit extremen Meinungen Gehör? Kein Problem. Wir leben in einer Aufmerksamkeitsökonomie. Zeitungen wollen Klicks, Talkshows wollen Quoten. Sagen Sie nur etwas, das verrückt genug ist, dass Leute darüber berichten müssen. Sprechen Sie mit kleinen Zeitungen, die kein Fact Checking betreiben, und warten Sie, bis große Zeitungen es abschreiben - oder es bloß berichten, um sich darüber empören zu können, wie falsch Sie liegen. Sorgen Sie in der Talkshow stets dafür, dass Ihre Position so abseitig ist, dass der gesamte Rest der Runde Sie widerlegen muss und damit die ganze Zeit über Ihre Themen redet. Erstellen Sie Fake-Accounts, die Ihre Terminologie verbreiten. Denken Sie immer daran: Sichtbarkeit und eigene Sprache sind Macht. Denn Menschen wollen im Kern einfach nur normal sein. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Position die normale ist.
    Es geht nicht um bessere Argumente – sondern um Emotionen
    Nehmen Sie mit: in Talkshows und auf Social Media geht es nicht um die besseren Argumente. Es geht um Emotionen. Es geht um Sichtbarkeit und dominantes Auftreten.
    Eine Demokratie lebt von der Diskussion der Meinungen. Das stimmt. Aber das impliziert auch, dass diese Diskussion nach Kompromissen sucht, dass Leute bereit sind, sich in dieser Diskussion überzeugen zu lassen. Wenn man in bestimmten Formaten verliert, wenn man genau das tut - dann sind diese Formate für die Demokratie vielleicht einfach nicht zu gebrauchen. Und dann schadet es der Demokratie vielleicht gar nicht, wenn man bestimmte Diskussionen stummschaltet.