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Kombinierte Einstrahlung

Klimaforschung. - Das Erdklima ist ein komplexer Mechanismus, der zum großen Teil durch astronomische Faktoren wie die Schwankungen der Sonnenaktivität oder Änderungen in der Erdbahn gesteuert wird. Für viele Schwankungen im Erdklima lassen sich solche Antriebsfaktoren finden, doch für einen eher kurzfristigen Zyklus von Warmzeiten innerhalb der jüngsten Eiszeit fand man bisher keine Ursache. Deutsche Forscher könnten sie jetzt in der Kombination zweier verschiedener Sonnenzyklen entdeckt haben. In der aktuellen "Nature" präsentieren sie ihren Vorschlag.

Von Volker Mrasek | 10.11.2005
    Die letzte Eiszeit galt lange als eine Epoche gleichbleibender Kälte. Bis Klimaforscher wie der Schweizer Hans Oeschger sich Eisbohrkerne aus Grönland genauer ansahen. Und überrascht waren, was ihnen dieses Klimaarchiv zu sagen schien:

    "Für mich als Physiker sah das aus wie ein Flip-Flop, wie ein Übergang von einem Systemzustand zu einem anderen. Willi Dansgaard und ich, wir diskutierten auch über diese Daten und wunderten uns: Was bedeuten sie?"

    Heute gelten Oeschger und Dansgaard, ein Däne, als Pioniere der Paläoforschung. Die beiden brachten das Bild von der Eiszeit als monotoner Dauerfrostperiode zum Einsturz. Oeschger wurde damals klar:

    "Es gibt milde Phasen in der letzten Eiszeit, und es gibt kalte Phasen."

    Das war Anfang der 80er Jahre. Oeschger ist inzwischen verstorben. Doch sein Name lebt fort. Die wiederholten eiszeitlichen Wechsel von Kalt zu Warm heißen heute Dansgaard-Oeschger-Ereignisse. Es waren krasse Klima-Umschwünge. Innerhalb von nur ein, zwei Jahrzehnten stieg die Lufttemperatur über dem Nordatlantik um bis zu zwölf Grad Celsius. Zwei Dutzend solcher Ereignisse gab es offenbar. Mit schöner Regelmäßigkeit kehrten sie immer wieder - etwa alle 1500 Jahre. Um Zufallserscheinungen kann es sich also nicht gehandelt haben. Doch wodurch wurden die abrupten Wärmeeinbrüche ausgelöst?

    "Man sieht in den Klimadaten einen solchen 1500jährigen Zyklus in den Dansgaard-Oeschger-Events, aber man kennt ihn nicht in den Antrieben des Klimasystems. Also in den Orbitalzyklen - die Erdbahn um die Sonne - oder in Schwankungen der Sonne selber."

    Stephan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Der Physiker und Ozeanograph gehört zu einer Gruppe deutscher Wissenschaftler, die das Rätsel jetzt gelöst haben könnte. Man wusste zwar, dass auch die Sonne ihre Phasen hat und gelegentlich heller scheint. Doch die solare Strahlkraft schwankt auf viel kürzeren Zeitskalen. Die drei bekannten Aktivitätszyklen der Sonne sind lediglich elf, 87 und 210 Jahre lang. Doch offenbar hilft es, wenn man sie nicht isoliert betrachtet. Rahmstorf:

    "Dies ist eine Idee von Holger Braun, unserem Doktoranden gewesen, der die Idee hatte, dass die Überlagerung von zwei kürzeren Zyklen einen solchen langen Zyklus ergeben könnte. Und das haben wir dann überprüft in unserem Klimamodell. Und in der Tat hat sich das als ein möglicher funktionierender Mechanismus erwiesen, mit dem man im Modell auch solche Dansgaard-Oeschger-Ereignisse im Abstand von 1500 Jahren erzeugen kann."

    Nach anderthalb Jahrtausenden hat die Sonne ihre 87-Jahresperiode genau 17mal durchlaufen. Und die 210er-Periode genau 7mal. Das ist der Punkt, an dem die beiden Zyklen quasi Hand in Hand gehen und die Strahlkraft der Sonne gemeinsam verstärken. Während der Eiszeit könnte das ausgereicht haben, um die Meereszirkulation im Nordatlantik alle 1500 Jahre aus ihrer Kältestarre zu lösen. Man könnte auch sagen: Um den Golfstrom und seine Ausläufer wieder bis in die Arktis zu locken. Experten wie Rahmstorf wissen aus Klima-Rekonstruktionen, ...

    "... dass die Meeresströmung im Atlantik während der Eiszeit sehr instabil war, regelrecht auf der Kippe stand. Und immer wieder mal warmes Wasser aus dem Nordatlantik plötzlich vorgedrungen ist an Island vorbei ins europäische Nordmeer, dort das See-Eis weggeschmolzen hat und damit zu der sehr starken Erwärmung, die man in Grönland sieht, geführt hat."

    Heute reicht der warme Nordatlantikstrom locker bis hinauf nach Skandinavien. Eine Situation, in der die Forscher Klima-Kapriolen nach dem Muster der Eiszeit ausschließen. Rahmstorf:

    "Wir gehen davon aus, dass die Strömung heute viel stabiler ist als während der letzten Eiszeit. Es gibt einfach seit 8000 Jahren keine solchen abrupten Klimasprünge mehr."

    Dafür bestehen heute andere Risiken - durch die Verbrennung fossiler Energieträger. Verprasst der Mensch alle vorhandenen Ressourcen an Erdöl, Erdgas und Kohle, dann - das ergab soeben eine US-Studie -, dann könnte sich die Erde ähnlich stark erwärmen wie zur Zeit der Dansgaard-Oeschger-Ereignisse.