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"Komiker waren für mich so tröstlich"

Er gilt als Kult-Schriftsteller der Protestgeneration 1970er-Jahre. 16 Romane und zahlreiche Kurzgeschichten hat Kurt Vonnegut verfasst - mal rabenschwarz-sarkastisch, mal kindlich-naiv. Der Durchbruch gelang dem US-Amerikaner mit "Schlachthaus Nr. 5", einem Anti-Kriegs-Roman. Nun werden 18 seiner Geschichten posthum auf Deutsch veröffentlicht.

Von Johannes Kaiser | 28.09.2009
    Die jetzt erst mals auf Deutsch erscheinenden Geschichten stammen aus dem Nachlass der 2007 verstorbenen Schriftstellers, der deutsche Vorfahren hatte, aber nie deutsch gelernt hat. Geboren am 11.11.1922 hat er erst Biochemie studiert, dann nach dem Krieg Anthropologie. Zuerst arbeitete er als Reporter, dann als PR Mann für General Electric, bevor er anfing, mit Kurzgeschichten für renommierte Zeitschriften so viel Geld zu verdienen, dass er hauptberuflich Schriftsteller wurde. Spätestens mit seinem bitter sarkastischen Antikriegsroman 'Schlachthaus 5' kam der Durchbruch. Er hat 16 Romane geschrieben und zahlreiche Kurzgeschichten. Er hat sich stets als linksliberal verstanden und war ein Kult-Schriftsteller der Protestgeneration in den 70er-Jahren.

    "Hat dieser alte Zausel in diesen entsetzlich schweren Zeiten irgendeinen Rat für junge Menschen? Nun, Sie wissen bestimmt, dass unser Land die einzige sogenannte entwickelte Nation ist, die immer noch die Todesstrafe hat. Und Folterkammern. Ich meine, was soll's?
    Aber hören Sie zu: Wenn jemand von Ihnen festgezurrt auf einer Bahre in einer Einrichtung zur Verabreichung tödlicher Injektionen landet, ... sollten Ihre letzten Worte folgendermaßen lauten: 'Das wird mir aber eine Lehre sein.'
    Wenn Jesus heute lebte, würden wir ihn mit einer tödlichen Injektion umbringen. Das nenne ich Fortschritt. Wir müssten ihn aus demselben Grund umbringen, aus dem er schon mal umgebracht wurde. Seine Ideen sind einfach zu linksliberal."

    Bissig, sarkastisch, ironisch - der amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut blieb sich bis zu seinem Tod 2007 treu. Seine letzte Rede, die er nur noch aufschreiben, aber nicht mehr vortragen konnte, und die jetzt den posthum erschienenen Erzählband 'Der taubenblaue Drache' einleitet, legt davon noch einmal Zeugnis ab.

    "Ich hoffe, ich bin ein witziger Schriftsteller, so wie ich hoffe, dass die Leute mich komisch finden. Komiker waren für mich so tröstlich, gute Witze haben mir in schlimmen Zeiten das Leben so erleichtert, dass ich gerne etwas davon zurückgeben würde und es hat sich herausgestellt, dass ich dazu in der Lage bin."

    Früh übt sich, was ein Komiker werden will: Zuhause jedenfalls, so erzählte der Schriftsteller mit dem rauen Raucherhusten gerne, sicherte er sich mit dem Erzählen von Witzen die Aufmerksamkeit seiner beiden älteren Brüder und seiner Eltern. Er liebte Dick und Doof und hat sich von ihnen die Treuherzigkeit geborgt, aber um eine sarkastische Note erweitert. Kurt Vonnegut hat niemanden und nichts von seinem Spott ausgeschlossen, sich allerdings nie über die Schwachen, nur über die Mächtigen mokiert. Vor allem das absurde Missverhältnis zwischen den hehren amerikanischen Werten der Verfassung und der bitteren Wirklichkeit war ihm immer wieder in seinen Romanen und Geschichten Anlass zu absurd komischer, ziemlich verrückt abgedrehter Kritik – nicht selten im Science Fiction Gewand. Das trug ihm in den siebziger Jahren die Sympathie der rebellierenden Jugend und die Ablehnung des konservativen Amerika ein.
    Er liebte kindlich-naive Scherze, zuletzt altersabgeklärt mit einem leichten zynisch-pessimistischen Nachhall. Er war ein zeitlebens unter Depressionen leidender Spaßmacher, dem es bitter ernst war. Das zeigen seine 18 jetzt posthum veröffentlichten Geschichten noch einmal in aller Deutlichkeit. Einige kreisen erneut um Kurt Vonneguts wohl schlimmste Erfahrung: den zweiten Weltkrieg, den er als junger Soldat in Europa miterlebte. 1944 bei der Ardennenschlacht geriet er in deutsche Gefangenschaft, wurde nach Dresden gebracht und überlebte die Bombardierung. In seinem Roman 'Schlachthaus Nr. 5', seinem wohl erfolgreichsten Buch, klagte er die Sinnlosigkeit dieses Massenmordes an Zivilisten an. Er ist davon nie losgekommen.

    "Ich sage es vor jedem Publikum, in Mexiko, Deutschland, Frankreich, England, den USA: die Brandbomben auf Dresden haben keinen einzigen aus einem Konzentrationslager auch nur eine Sekunde früher befreit. Sie veranlassten keinen einzigen Deutschen dazu, seine Verteidigungsposition auch nur eine Sekunde früher aufzugeben. Es gibt nur eine einzige Person auf der Erde, die von der Zerstörung Dresdens profitierte, das bin ich. Ich habe mit jeder Person, die getötet wurde, fünf Dollar verdient. Das ist eine starke Behauptung, nur hat sie bislang noch niemand widerlegen können, denn vom militärischen Standpunkt aus war es sinnlos."

    Das mag manchem zynisch geklungen haben und signalisierte doch nichts anderes als eine Art Schuldgefühl dafür, vom Feuersturm in Dresden soviel profitiert zu haben. Mehrere der hinterlassenen Erzählungen greifen seine Erlebnisse im Kriegsgefangenenlager oder bei den Aufräumarbeiten in Dresden auf. Da Vonnegut in Ich-Form erzählt, weiß man nie so recht, sind die Geschichten autobiographisch zu verstehen oder Erfindungen. Das ändert allerdings nichts an ihrem bitteren Humor. In einer der Geschichten 'Wehklagen in den Strassen' heißt es:

    "Nur ein toter Deutscher ist ein guter Deutscher: über 100 000 böse Männer, Frauen und Kinder (die Tauglichen waren an den Fronten) wurden auf ewig von ihren Sünden gegen die Menschheit gereinigt."

    Eine typische Vonnegutsche Formulierung. Seine Kritik ist stets indirekt. So beklagt er zum Beispiel die miserable Verpflegung der Kriegsgefangenen, indem er sie bei den Aufräumarbeiten zwischen Leichenbergen von ihren Lieblingsgerichten schwärmen lässt. In seinen jetzt erst mals auf Deutsch erschienenen Geschichten attackiert er zudem die Mentalität des blinden Gehorsams, den Männlichkeitswahn des Militärs und dessen Gewaltverherrlichung.
    Im zweiten Teil des Buches mokiert sich Kurt Vonnegut dann auch über zwei andere Themen, die Amerikaner stets beschäftigen: den Aberglauben und den Glauben an den Fortschritt. Erstaunlich ist, wie aktuell diese fast ein halbes Jahrhundert alten Geschichten wirken. Sie müssen in jener Zeit entstanden sein, in der Kurt Vonnegut seinen Job als PR-Mann bei General Electric gekündigt hatte, um vom Kurzgeschichtenschreiben zu leben. Da war damals ein durchaus einträglicher Job, denn vor Beginn der Fernsehära suchten die zahlreichen amerikanischen Zeitschriften händeringend nach guten Kurzgeschichten. Über 100 Auftragsarbeiten sicherten Kurt Vonnegut und seiner vielköpfigen Familie ein gutes Einkommen und brachten genug ein, um auch noch nebenher einige Romane schreiben zu können.

    "Als Schreiberling lernen Sie, dass Aristoteles in seiner Poetik viel Wahres darüber gesagt hat, wie man eine Geschichte erzählt und dabei die Aufmerksamkeit des Publikums behält. Wenn ich bisweilen unterrichte, hassen die Leute es, das zu hören – ich vermute, sie halten es für barbarisch -, aber es ist eine Schreibregel, die gar nicht so übel ist und keiner hält sich daran: pack nichts in eine Geschichte, was nicht dazu beiträgt, einen Charakter klarzumachen oder die Handlung voranzutreiben. Ich wünschte mir, mehr Schriftsteller würden sich daran halten, weil Bücher dann lesbarer würden und sie hätten dabei nichts zu verlieren."

    Kurt Vonnegut jedenfalls hat sich an diese Prämissen gehalten. Seine Geschichten sind eindeutig, zielgerichtet und haben stets eine Pointe. Seine Romansprache ist von fast schockierender Einfachheit: knappe Sätze, kurze Absätze, klare Aussagen. Alles wird ausgesprochen, nichts verschwiegen oder angedeutet. Kinder sprechen so schnörkellos drauflos, bringen komplizierte Sachverhalte in so einfache Bilder. Allerdings sollte man sich vom äußeren Erscheinungsbild nicht täuschen lassen. Kurt Vonnegut hat als stiller Moralist stets eine Botschaft parat, auch wenn die sich als Naivität oder harmloser Scherz tarnt.
    So gründet ein Ölmillionär ein Institut zur Erforschung der Dämonologie, das heißt er gibt viel Geld dafür aus, die Existenz des Teufels wissenschaftlich nachweisen zu lassen. Eine amüsante Satire über die Bibelgläubigkeit der Amerikaner und zugleich ihren Glauben an die Naturwissenschaften. Nicht weniger ironisch Vonneguts Raumfahrtstory. Als Amerikas erster Astronaut im Weltall auf der Erdumlaufbahn angekommen ist, hört er in seiner Raumkapsel die Stimmen Verstorbener, die ihm Botschaften an ihre Hinterbliebenen auf der Erde auftragen. Kein Wunder, dass das Militär leugnet, überhaupt eine bemannte Rakete ins All geschossen zu haben. Eine sarkastische Anspielung auf das ewige Leben.
    Doch auch in diesen frühen Geschichten geht es wieder um den Krieg und seine Schrecken. Ungewöhnlich für den Humanisten, dass er in einer Geschichte einen gerade aus Kriegsgefangenschaft befreiten Soldaten Selbstjustiz ausüben lässt. Sonst sind seine Protagonisten eher die Opfer von Gewalt. Dass Vonnegut seine Kriegserlebnissen oftmals bewusst und vorsätzlich in die Form von Scherzen packte, begründete er einmal so:

    "Ein Witz wirkt folgendermaßen: ich erwähne irgendetwas, das Sie erschreckt: Tod, Krankheit, was auch immer und wenn ich es jetzt in Komik verpackt erzähle, müssen Sie sich nicht mehr fürchten. In Ihnen hat sich Adrenalin gesammelt, um auf eine mögliche Gefahr vorbereitet zu sein. Das ist aber jetzt nutzlos und so lachen Sie. Ich glaube, so wirkt es."

    Seinen schrägen, aufklärerischen und herben Humor hat Kurt Vonnegut bis zuletzt nicht verloren. Wir werden sein Lachen bitter vermissen.

    Kurt Vonnegut: Der taubenblaue Drache
    Aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt
    Verlag Kein&Aber, Zürich 2009, 288 Seiten, 19,90 Euro