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Komintern in Zeiten des Faschismus

An die "Proletarier aller Länder" hatte Karl Marx sein Manifest adressiert. Um diesem weltweiten Anspruch zu genügen, initiierten die Bolschewiki unter Lenin 1919 in Moskau die Gründung einer "Kommunistische Internationale", kurz Komintern genannt. Im Mittelpunkt des zwölften und letzten Kongresses stand 1935 in Moskau die Gefahr des Faschismus. 1943 war Stalin dann auch ein Militärbündnis mit demokratischen Staaten eingegangen - und ließ die Komintern als Zugeständnis an die westlichen Alliierten auflösen.

Von Jochen Stöckmann | 25.07.2010
    Insgesamt 513 Delegierte waren am Abend des 25. Juli 1935 zum VII. Weltkongress der Komintern, der Kommunistischen Internationale in Moskau, im Gewerkschaftspalast zusammengekommen. Sie repräsentierten 65 kommunistische Parteien mit weltweit über drei Millionen Mitgliedern. Doch beeindruckende Zahlen und das monumentale Ambiente einer prächtigen Säulenhalle konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kommunisten rund um den Globus in der Defensive waren. Für die Komintern bildete die Sowjetunion die letzte und einzige Bastion, das "Vaterland aller Werktätigen". Klement Gottwald, der tschechoslowakische KP-Vorsitzende, betonte in seiner von Radio Moskau übertragenen Rede:

    "Dass der 7. Kongress unserer Internationale unter außergewöhnlicher Aufmerksamkeit der ganzen Welt verläuft, weil nach sechs Jahren ungewöhnlicher Wirtschaftskrise in allen kapitalistischen Ländern alle die Stimme jener hören wollen, die dieses Wunder vollbracht haben - die Stimme der Bolschewiki."

    Josef Stalin verkörperte diese Stimme - aber den Vorsitzenden der KPdSU bekam der Weltkongress nicht zu Gesicht. Diskussionsforen, gar Streit über die Parteilinie konnte der kommunistische Diktator nicht brauchen. Deshalb hatte es eine sechsjährige Pause gegeben im Reigen jener internationalen Zusammenkünfte, die Lenin noch alljährlich einberufen hatte.
    Spätestens 1933 aber, mit dem Machtantritt der Nazis, hatte sich die internationale Lage entscheidend verändert, bedurfte es neuer Direktiven. Zwar gab es wie gewohnt Ergebenheitsadressen, in denen Stalin als "Führer der Unterdrückten der ganzen Welt" bejubelt wurde, einige Redner aber wiesen auch auf die Probleme außerhalb der UdSSR hin, etwa Marcel Cachin vom Politbüro der französischen KP:

    "Wir richten uns an die Millionen Arbeiter der Sowjetunion: Dank euch bestätigt sich der Sozialismus als einzige Staatsform, die Arbeitslosigkeit, Elend und Krise meistern kann. Im Kapitalismus aber regiert der Terror und der Imperialismus gleitet ab in den Faschismus."

    Um dieser Entwicklung zu begegnen, hatten die französischen Kommunisten 1934 ein Aktionsbündnis mit der sozialistischen Partei geschlossen. Unter deren Vorsitzenden Léon Blum bildete sich eine Volksfrontregierung, der auch die Radikalen angehörten, eine bürgerlich-liberale Partei. All das im Widerspruch zur offiziellen Komintern-Politik, die bis zum VII. Weltkongress der sogenannten "Sozialfaschismus"-These folgte und Stalins Einschätzung übernommen hatte, dass jeder Kommunist die Sozialdemokratie als "Zwillingsbruder des Faschismus" energisch bekämpfen müsse. So hatte es bis zum Ende der Weimarer Republik die KPD vorexerziert - deren Führungskader nun im Untergrund arbeiteten. Etwa Karl Mewis, der unter falschem Namen zum Weltkongress gereist war.

    "Wir, die Kommunisten Deutschlands, haben geschluckt, als im Bericht des Genossen Wilhelm Pieck gesagt wurde, dass wir grobe Fehler gemacht haben. Dass wir die Situation falsch eingeschätzt haben vor 1933."

    Diskussionen und Einwände wurden übertönt von Georgi Dimitroff, dem bulgarischen Kommunisten, der 1934 in Deutschland als Angeklagter im Reichstagsbrandprozess sogar Propagandaminister Goebbels erfolgreich Paroli geboten hatte. Als populärer Held des antifaschistischen Widerstands war Dimitroff ausersehen, die Hauptrede zu halten - deren Text die Parteikader im Exekutivkomitee bereits Monate zuvor diktiert hatten.
    Und so verbarg sich hinter dem flammend vorgetragenen Einheits-Appell vor allem ein außenpolitisches Interesse Stalins: Der Diktator setzte darauf, die Sowjetunion aus ihrer Isolation befreien zu können, mit Hilfe von Volksfront-Regierungen wie in Frankreich und Spanien. Dort sollten die Kommunisten allen freiheitsliebenden Kräften die Hand reichen - während im Innern der Sowjetunion jeder Hauch von Demokratie, noch die geringste Opposition gegen die Parteilinie im Terror der sogenannten "Säuberungen" erstickt wurde.