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Komm doch mit auf den Schuldenberg

Nur scheinbar schillert es im neuen Theaterstück von Ewald Palmetshofer: Franz und Karl heißen immerhin die Protagonisten in "räuber.schuldengenital", einem Auftragswerk für das Wiener Burgtheater. Dort hat Regisseur Stephan Kimmig das Familienhorrorstück nun uraufgeführt.

Von Hartmut Krug | 21.12.2012
    Sie wirken wie selbstzufriedene Monster in ihrer verkrampften Fröhlichkeit, die vier älteren Herrschaften, die mit einem bunt geschmückten Servierwagen voller Alkoholika über die Vorbühne wandern. Dabei reden sie über den Tod, als seien sie unsterblich. Dann aber öffnet sich der Vorhang, und der Horror naht mit dem fast zweistündigen Rest des Stückes und in Gestalt der Brüder Franz und Karl.

    Nur ihre Namen und ihre Wut erinnern an "Die Räuber", sonst aber hat Palmetshofers philosophisch-existentiell hochgetuntes Burgtheater-Auftragsstück nichts mit Schiller zu tun. Mit "schuldengenital" hat Palmetshofer erneut ein Familienhorrorstück geschrieben, nicht unähnlich seinem Erfolgsstück "hamlet ist tot. keine schwerkraft". Wie dort scheint die Zukunft tot, es gibt weder einen Gott noch eine Ideologie und eine Vorstellung von einer anderen Welt. Die Kinder sind verzweifelt und gedemütigt, weil sie den sozialen Aufstieg ihrer Eltern nicht nachmachen können und keine Zukunft für sich sehen.

    All das behauptet der Autor im Programmheft. Und das ist auch gut so. Denn sonst wüssten wir vom Hintergrund der flachen Symbolfiguren kaum etwas, die auf der Bühne mit sich und den vielen ihnen vom Autor beigeschriebenen Bedeutungsebenen kämpfen.
    Wenn sich die Brüder zum Besuch anmelden, sind die Eltern nur entsetzt:

    Linde: "Schau dir, die Brüder kommen."
    Otto: "Weiß kann auch vielleicht, warum?"
    Linde: "Nein, nicht, das weiß man nicht."
    Otto: "Dann ruf den Jungen an und frag. Man muss das wissen, sag ihm das, ich muss das wissen, dass ich’s wissen muss."

    Schon dass die abgerissenen Jungen etwas zu essen haben wollen, macht den unwilligen Eltern Probleme. Aber die Kinder verlangen mehr, nämlich schon jetzt ihr Erbe. Da trifft es sich gut, dass die im Rollstuhl sitzende Nachbarin, die von ihrer Tochter unwillig gepflegt wird, den Postboten oder Geldzusteller Sepp liebt. Als der kommt, bringt ihm das den Tod und den Kindern das Geld. Was hier so einfach klingt, ist bei Palmetshofer aber nicht ohne langes, bedeutungsvoll aufgeblasenes Kurzsatz-Gewitter zu haben. Die Sätze besitzen einen schönen Rhythmus, reihen geschickt Satzfetzen und sind mit sprachlichen Grobheiten gesprenkelt. Doch auch sie vermögen das allzu konstruierte und gedanklich oft unscharfe Stück nicht zu retten. So meinen die Eltern, des Vaters Samen sei ihre Schuld gegenüber den Kindern. Kaum gesagt, wird der Vater sexuell erregt und bittet seine bereitwillige Frau auf seinen sogenannten "Schuldenberg":

    Linde: "Ich komme jetzt schnell zu dir. Auf deinen Schuldenberg steig ich. Jetzt spür ich die meine, Otto, und die deine spür ich auch. "
    Otto: "Es ist ja wirklich schlimm mit uns."
    Linde: "Ja sehr, das nimmt kein gutes End. Wie diese Schulden hier zusammenkommen. Wachsen."

    Diese Szene voller Bedeutungskitsch ist kaum zu spielen. Dabei und auch sonst wirken die Schauspieler fast gehemmt. Sie stehen meist auf der Bühne und neben ihren Figuren, aber sie spielen nicht. Regisseur Stephan Kimmig zeigt sich vor allem als Arrangeur, der seine Mimen nebeneinander oder vor das Publikum stellt und ansonsten das Stück mit viel Regiebrimborium so aufbläst, dass es ziemlich hohl wirkt. Es gibt eine tanzende Tochter und eine Mutter, die sich mit dem Kopf in eine Art Hundehütte legt, es gibt Nachtfilme mit einem Fuchs und einem Dachs und mancherlei vorab mit den Schauspielern gedrehte Filmszenen mit Brand und Untergang.

    Die Bühne ist zweigeteilt: 0ben eine leere Standfläche für Spielszenen, unten ein vollgerümpelter Wald, in dem Schauspieler für allfällige Videoprojektionen gefilmt werden oder mit Hirschgeweihen herumstehen. Schließlich ist bei Palmetshofer die Natur auch noch irgendwie ein Thema oder eine Hoffnung. Die Tochter bezeichnet sich am Schluss als Füchsin und die Jungen als Hirsche. Die drei gehen zusammen weg, ein Kind wird geboren, legt ein zerstörerisches Feuer, und alles verschwindet irgendwie in seinem Rachen. Sagt es. Vorher aber gibt Karl seine Schulden seinen Eltern zurück, indem er auf den Vater onaniert. Was im Livefilm mit Theaterflüssigkeit so ausführlich wie unnötig gezeigt wird.

    Beim Autor leben die Eltern ewig weiter. Nicht bei Regisseur Kimmig, der das Stück mit seinen vielen szenisch überflüssigen Einfällen verunstaltet, anstatt auf den eingestandenermaßen schwierigen Text zu hören. Ich bin mir nicht sicher, ob sich Palmetshofers allzu ehrgeizig gewolltes Kopfprodukt und ziemlich verquastes Stück für die Bühne retten lässt, ja, ob man es überhaupt versuchen sollte. Das Publikum jedenfalls applaudierte, wie immer in Wien.