Kommentar zu Ungarn
EU-Kommission handelt spät, aber richtig

Viktor Orbán reiste ohne Absprache mit EU-Kollegen nach Moskau und Peking. Der EU-Kommission reicht es. Sie strich den Antrittsbesuch für Ungarns Ratspräsidentschaft. Auch wenn der Entschluss wohl wahltaktische Gründe hat, ist er nicht falsch.

Ein Kommentar von Carolin Born |
Ein Mann steht in einem Stadion und schaut nach unten. Es ist der ungarische Premierminister Viktor Orbán. Er trägt einen dunklen Anzug.
Kann er die EU spalten? Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán hat mit seinen Reisen nach Moskau und Peking viele Mitglieder gegen sich aufgebracht. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
Was soll schon passieren? Mit dieser Haltung scheint die EU in die ungarische Ratspräsidentschaft hineingestolpert zu sein. Ohne damit zu rechnen, dass es derart eskaliert: Gleich zu Beginn der Präsidentschaft reiste der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán nach seinem Besuch in Kiew nach Moskau, um dort mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sprechen. Seine nächste Station: Peking. Für ein Treffen mit Putins wichtigsten Verbündeten, Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping.

Kein Antrittsbesuch in Budapest

Den Rest der EU soll Orbán vorher nicht über seine Reisepläne informiert haben. Er hat zwar gar nicht erst behauptet, in ihrem Auftrag unterwegs zu sein. Aber der Eindruck sollte bewusst entstehen. Dafür spricht Orbáns abrupter Aufbruch zu seiner angeblichen Friedensmission kurz nach Ungarns Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft. Und kurze Videoclips seiner Reisen hat er mit dem Logo der ungarischen Ratspräsidentschaft versehen. So hat Orbán die Grenzen bewusst verwischt.
Die Quittung dafür bekommt Ungarns Regierungschef jetzt: Die EU-Kommission verzichtet auf ihren Antrittsbesuch in Budapest, ein traditioneller Termin zu Beginn jeder Ratspräsidentschaft. Und an den informellen Ministertreffen, die die Ratspräsidentschaft im Land veranstaltet, werden die Kommissare nicht teilnehmen. Diese Entscheidung kommt spät.

Auf härteren Kurs gedrängt

Dass die Kommission sich nicht direkt nach Orbáns Besuch bei Putin dazu durchgerungen hat, lässt Zweifel aufkommen. Denn die Kommissionschefin Ursula von der Leyen will sich in wenigen Tagen für eine erneute Amtszeit wählen lassen – und einige der Abgeordneten, auf deren Stimmen sie angewiesen ist, haben sie zu einem härteren Kurs gegenüber Ungarn gedrängt.
Auch wenn der Entschluss wohl wahltaktische Gründe hat, ist er nicht falsch: Die Treffen sind informell, es werden keine Beschlüsse gefasst – vielmehr bieten die Termine eine Möglichkeit für den Gastgeber, sich in gutem Licht zu präsentieren und eigene inhaltliche Akzente zu setzen.

Nicht spalten lassen

Es ist schräg, Orbán und seinen Parteifreunden diese Bühne zu bieten, nachdem sie die EU in nur wenigen Tagen vorgeführt haben. Natürlich gibt es Stimmen, die sagen, man müsse vor Ort präsent sein, gerade um der ungarischen Haltung etwas entgegenzusetzen. Doch ein Nichterscheinen ist ein viel stärkeres Statement, um zu zeigen: Die Besuche Ungarns, insbesondere bei Putin, den die EU als Aggressor betrachtet und den sie mehrfach sanktioniert hat, laufen der gemeinsamen Haltung der EU zuwider.
Nun sollten die 26 Mitgliedsstaaten aufpassen, in ihrem Umgang mit Ungarn nicht uneins aufzutreten. Sechs Staaten setzen, wie die Kommission, auf einen Boykott und wollen keine Minister schicken. Andere zögern, werden womöglich Termingründe vorschieben. Und wieder andere Minister werden nach Budapest reisen. Nachdem Orbán gezeigt hat, dass er kein Problem damit hat, der Geschlossenheit der EU massiv zu schaden, sollten sich die übrigen 26 EU-Länder genau überlegen, welches Bild sie abgeben.