Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Kommentar
Ritterschlag für Provokateure

Dass Philipp Ruch, Wortführer des Zentrums für politische Schönheit, von einer Tagung der Bundeszentrale für politische Bildung ausgeladen wurde, hält Michael Laages für falsch. Zwar nerven die Politakteure vom Zentrum "immer wieder", kommentiert Laages, aber ihre Themen seien immer nah dran am Geist der Zeit.

Von Michael Laages | 07.03.2019
Philipp Ruch, künstlerischer Leiter des "Zentrums für Politische Schönheit".
Philipp Ruch, künstlerischer Leiter des "Zentrums für Politische Schönheit". (imago / CommonLens)
Der Vorgang ist derart abstrus, dass er glatt als neue Aktion des "Zentrums für politische Schönheit" selbst durchgehen könnte: So sehr nämlich möbelt er das gelegentlich auch schon mal ein bisschen ramponierte Image dieser politkulturellen Aktivistinnen und Aktivisten auf. Denn mit guten Gründen wird ja nun "Zensur!" gerufen - weil Philipp Ruch, der wichtigste Wortführer im "Zentrum für politische Schönheit", ja zunächst vernünftigerweise eingeladen war zur Leipziger Tagung - und dann wieder aus: auf Grund einer Intervention vom Bundesministerium des Innern, das seinerseits befürchtet, der Parteinahme und Finanzierung von Leuten bezichtigt zu werden, die auch den Konflikt mit der Justiz nicht scheuen. Den ministeriellen Einwänden gegen die Methoden, also die Amtsanmaßung der Ruch-Truppe im Fall Chemnitz, hat sich die Bundeszentrale offiziell angeschlossen.
"Was verboten ist, das macht uns gerade scharf"
Aber wer sonst bitte hätte denn auf der Leipziger Tagung in der Sektion "Aufmucken, bitte!" zu Wort kommen sollen als gerade dieses "Zentrum", dessen Aktionen im Geiste "politischer Schönheit" so intensiv mit der Emotion im kulturellen und politischen Prozess spielen wie niemand mehr seit Christoph Schlingensief? Wer nun gerade Ruch und diese Truppe "zensiert", verpasst den Provokateuren einen Ritterschlag, wie ihn unbotmäßige Künstlerinnen und Künstler zuletzt in der DDR erlebt haben - wie sang einst Wolf Biermann? "Was verboten ist, das macht uns gerade scharf!"
Welcher Teufel also mag die Verantwortlichen geritten haben im Innenministerium? Und wer zwingt eigentlich die Bundeszentrale, den Vorgaben ziemlich kleinlaut zu folgen? Denn da hat ja nun sicher nicht Heimat-Minister Horst Seehofer persönlich angerufen bei Thomas Krüger, der die 1952 - übrigens als "Heimatdienst"!- gegründete Behörde leitet. Ruchs Zentrum produziert ja nicht nur Teufelszeug: es hat sogar schon mal mit der Bayerischen Landesregierung kooperiert, als es ums Erinnern an Sophie und Hans Scholl sowie die Münchner Widerstandszelle der "Weißen Rose" ging.
Immer nah dran am Geist der Zeit
Diese Aktivistinnen und Aktivisten, mit nach Guerilla-Art stets schwarz eingerußten Gesichtern, reizen zwar immer wieder die Grenzen der Legalität wie des guten Geschmacks aus; aber mit den Themen, die sie spektakulär in den Fokus des öffentlichen Interesses rücken, sind sie immer ganz nah dran am Geist der Zeit - wenn sie etwa dem Thüringer Rechtsaußen-Politiker Björn Höcke einen Nachbau jenes Berliner Mahnmals für die jüdischen Holocaust-Opfer vor die Nase stellen, das er so sehr verachtet.
Gerade in diesem Fall übrigens hat die Polit-Truppe ja auch vor Gericht dezidiert Recht bekommen: Die dürfen das! Auch wenn sie immer wieder schrecklich nerven - diese Form von politischer Attacke muss möglich sein! Sie "spaltet die Gesellschaft" nicht, wie das Ministerium behauptet - sie dokumentiert vielmehr die Spaltung, die längst schon besteht.
Heimatschutz nach Gutsherrenart
Das Innenministerium betreibt hier Heimatschutz nach Gutsherrenart, und es drängt die Bundeszentrale für politische Bildung mit in die Rolle der Gesinnungspolizei. Einmal mehr beschädigen der Verfassungsminister und das Ministerium, dem er immer noch vorsteht, die Verfassung, die sie doch gemeinsam schützen müssten.
Und Philipp Ruch? Könnte natürlich einfach nach Leipzig fahren und als Zuhörer an der Tagung teilnehmen. Ihm würden schon genügend Fragen gestellt werden.