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Kommt der gefürchtete "Outbreak"?

Medizin. - "Wir sehen die Situation schon mit großer Besorgnis," räumte heute Jörg Hacker ein, der Präsident des Robert-Koch-Institutes in Berlin. Ein Grund hierfür ist das Fakt, dass der Erreger Erbgut von Viren enthält, die auch beim Menschen vorkommen und ihn daher vulnerabel machen. Gespannt verfolgen Epidemiologen weltweit die aktuelle Entwicklung der Krankheitsfälle.

Martin Winkelheide im Gespräch mit Ralf Krauter | 27.04.2009
    Die Virusgrippe ist bei Schweinen weit verbreitet. In der Regel heilt die Atemwegserkrankung aber innerhalb von sieben bis zehn Tagen aus. Zu Todesfällen kommt es nur selten. Das erste Schweine-Influenza-Virus haben Forscher 1930 entdeckt. Seit den 1950er Jahren weiß man, dass sich Menschen anstecken können, wenn sie engen Kontakt mit Schweinen haben. Es handelt sich aber um ein seltenes Ereignis. In Europa sind seit 1958 nur 17 Fälle dokumentiert. 1976 gab es einen ersten größeren Ausbruch von Schweine-Influenza in den USA auf einer Militär-Basis im Bundesstaat New Jersey. Das Virus wurde von Mensch zu Mensch übertragen – breitete sich aber nicht weiter aus. Damals steckten sich 200 Soldaten an, es gab einen Todesfall.

    Am 21. April 2009 berichte in den USA die oberste Seuchenschutzbehörde, CDC, vom Auftauchen eines bislang unbekannten Grippe-Virus. Es ähnelte einem Schweine-Grippe-Virus vom so genannten Subtyp H1N1. Eine genauere genetische Analyse ergab: Das Virus vereinigt Eigenschaften von vier verschiedenen Viren. Von einem nordamerikanischen sowie einem europäisch-asiatischen Schweinevirus, einem Vogel-Virus und einem menschlichen Influenza-Virus. Wie das Virus entstanden ist, ist unbekannt. Schweine sind empfänglich für Vogelgrippe- und menschliche Influenza-Viren. Möglicherweise hat sich ein Schwein mit mehreren Viren gleichzeitig angesteckt. Und in infizierten Zellen haben die Viren untereinander genetisches Material ausgetauscht. Denkbar aber ist auch, dass das neue H1N1-Virus in mehreren Etappen entstanden ist. Das neue Virus unterscheidet sich von H1N1-Viren, die bislang unter Menschen kursierten. Das ist ein Grund dafür, dass selbst junge und zuvor gesunde Menschen schwer an der Virus-Grippe erkrankten.

    Ralf Krauter: Ein neuartiges Influenza-Virus versetzt die Welt in Alarmbereitschaft. In Mexiko, dem Zentrum der Epidemie, gab es vermutlich schon mehr als 100 Tote und auch die USA, Kanada und Europa meldeten Verdachtsfälle. Grund zur Panik, betonen Fachleute, gebe es trotzdem nicht - bis jetzt. Welche Gefahr von der Schweinegrippe tatsächlich ausgeht, bewertet unser Experte Martin Winkelheide. Das Virus wird von Mensch zu Mensch übertragen. Wie kann man sich denn erklären, dass vor allem junge und gesunde Menschen besonders schlimm betroffen sind. Denn bei den herkömmlichen jährlichen Virusgrippen sind doch vor allem Alte und Kranke die Opfer?

    Martin Winkelheide: Das neue Virus fiel ja genau deshalb auf, weil es junge Menschen krank macht. Wie schwer eine Influenza verläuft, das hängt von mehreren Faktoren ab. Da ist zum einen die Frage, wie aggressiv ist das Virus, also wie schnell vermehrt es sich in den Zellen der Atemwege und wie stark schädigt es dadurch die Atemwege. Und der zweite, nicht minder wichtige Faktor dabei ist, wie stark reagiert das Immunsystem eines Infizierten. Der Körper wehrt sich ja gegen das Virus in Form einer Entzündung und wenn das Immunsystem eines jungen Menschen auf ein eben unbekanntes Virus reagiert, dann besteht die Gefahr, dass das Immunsystem heftig reagiert, genauer gesagt, zu heftig reagiert. Es kann dann zu einer lebensbedrohlichen, überschließenden Entzündungsreaktion kommen und in der Folge dann auch zu Organversagen, also dass Niere, Herz, Lunge und schließlich das Gehirn nicht mehr arbeiten. Das ist das Gefährliche. Man weiß, dass solche Immunreaktionen ein wichtiger Faktor sind und man nimmt das zum Beispiel an für die spanische Grippe 1918/1920, dass das der Grund war, wieso so viele junge Menschen eben starben. Das legen zumindest Tierversuche nahe, denn man hat Makaken mit rekonstruierten Viren von 1918 infiziert und hat das gesehen.

    Krauter: Das heißt, diese Vergleiche, die jetzt immer wieder gezogen werden, mit der spanischen Grippe, der ja insgesamt 25 Millionen Menschen zum Opfer fielen - sind die gerechtfertigt oder geht das zu weit? Der Virus-Subtyp ist ja der gleiche wie damals.

    Winkelheide: Aber Vergleiche sind ganz schwierig. Ein Rückblick in die Geschichte macht das schon klar. Herbst und Winter 1918 bis 1920 starben weltweit zwischen 25 und 50 Millionen Menschen. Manche schätzen die Zahl der Opfer noch höher, aber, was ganz wichtig ist, die Spanische Grippe hat nicht mit einem Mal so viele Menschen dahingerafft, sondern sie trat in drei Wellen auf. Die erste Welle im Frühjahr 1918 sah noch relativ harmlos aus und zu den meisten Todesfällen kam es eben später, vor allen Dingen bei der dritten Welle im Frühjahr 1990, da hat die Grippe in kürzester Zeit sehr viele Menschenleben gefordert. Man sieht, eine solche Epidemien entwickelt sich, das Virus kann sich noch verändern, und deswegen sagen alle Experten, es sei viel zu früh, überhaupt Vergleiche zu ziehen. Es sind zurzeit sind zwei völlig gegensätzliche Szenarien denkbar: erstens,das Virus stürmte in den nächsten Wochen aus und verschwindet und es tauchten nie wieder auf. Das kann gut sein, dass es so kommt. Die zweite Variante, etwas unangenehmer, das Virus setzt sich eben fest, es verbreitet sich weiter und wir stehen am Beginn einer umfassenden Influenzapandemie. Beide Extreme sind denkbar. Das Problem ist, sagen Experten, wir wissen nicht, wo genau zwischen beiden extremen wir stehen, und es wird auch so schnell keine Antwort geben.

    Krauter: Es gibt ja heute, anders als damals, antivirale Medikamente die die Vermehrung des Schweinegrippe-Virus bremsen. Wie gut wirken die rund wie lange werden sie das tun, Stichwort Resistenzen?

    Winkelheide: Es gibt neuere Grippemedikamente, die auch gegen das neue H1N1-Virus effektiv sein sollen. Die Wirkstoffe der Medikamente Tamiflu und Relenza greifen direkt in den Vermehrungszyklus des Virus ein, sie blockieren ein Virus-Enzym, das die Viren brauchen, um sich aus den Zellen ausschleusen zu können. Wenn das blockiert wird, dann können die Viren sozusagen keine neuen Zellen befallen. Wichtig ist nur, das Medikament muss extrem früh genommen werden, dann hilft es, und dann lässt sich auch die Zeit der Erkrankung zwar um 40 Prozent verkürzen, wenn man es innerhalb der ersten 24 Stunden nach Beginn der ersten Symptome einnimmt. Je später man es einnimmt, umso schlechter wirkt ist. Und das zweite Problem ist, Influenzaviren sind wandelbar und sie können unempfindlich werden gegen die Wirkstoffe, resistent eben. Und das tritt vor allen Dingen dann auf, wenn man sie massenhaft verabreicht. Und damit wäre zu rechnen, wenn dieses Virus tatsächlich seine Reise um die Welt antreten würde.

    Krauter: Sie waren im vergangenen Jahr in Mexiko und haben für den Deutschlandfunk von einer Konferenz berichtet. Sie konnten sich einen persönlichen Eindruck auch von der Gesundheitsversorgung in dem Land machen. Was ist Ihr Eindruck? Hat Mexiko schnell, gut und richtig reagiert?

    Winkelheide: Man muss schon einmal sagen, ihnen ist überhaupt aufgefallen, dass dort ein Problem vorliegt. Und dann hat man doch sehr schnell das Problem an die Weltgesundheitsorganisation gemeldet. Das ist nicht selbstverständlich. Es gibt andere Länder wie China zum Beispiel, als dort ein neues Virus aufgetaucht ist - SARS - tat man alles, um das Problem erst einmal zu vertuschen. SARS war zum Glück nicht so gefährlich. Ich denke, Mexiko hat vor allem Zeit geschaffen, dass die Länder sich auf die mögliche Ankunft des neuen H1N1-Virus tatsächlich vorbereiten können.