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Kommunalwahlen in Italien
In San Luca hatten die Bürger keine Wahl

In fast 800 Gemeinden konnten die Italiener am Wochenende über die Macht in ihren Kommunen entscheiden. Doch nicht überall hatten die Bürger die Qual der Wahl. Im kalabrischen San Luca, aber auch in anderen Kommunen, gibt es seit Jahren weder Bürgermeister noch Gemeinderäte.

Von Jan-Christoph Kitzler | 11.06.2018
    Mafia-Hochburg unter Fremdverwaltung: San Luca in Kalabrien. Zu sehen sind Häuser an einem Berghang mit terracotta-farbigen, flachen Dächern.
    Mafia-Hochburg unter Fremdverwaltung: San Luca in Kalabrien (Deutschlandradio / Jan-Christoph Kitzler)
    Über fünf Jahre schon hat San Luca keinen Bürgermeister, keinen Gemeinderat. 2013 wurde die Gemeindeverwaltung aufgelöst, wegen Unterwanderung durch die Mafia. San Luca ist kein Einzelfall - 45 Gemeinden in Italien ergeht es derzeit so, fast die Hälfte von ihnen sind in Kalabrien, wo die 'Ndrangheta, die dortige Variante der Mafia, besonders mächtig ist. San Luca ist aber ein trauriges Symbol für die Macht der Clans - auch in Deutschland. Die Täter der Mafiamorde von Duisburg, bei denen im August 2007 sechs Menschen starben, kommen von hier. Viele Familien tragen die Namen der Protagonisten des Clankrieges, der auch in Deutschland ausgetragen wurde: heißen Nirta, Strangio, Pelle, Romeo.
    Die Macht im Dorf hat ein Zwangsverwalter
    Ist man in dem Ort unterwegs, trifft man auf eine Mauer des Schweigens - kaum jemand der etwas sagen will - immerhin: ein älterer Herr bekennt, ihm fehlt eine gewählte Gemeindeverwaltung nicht:
    "Für mich ist es besser, wenn wir hier nicht zur Wahl gehen. Früher haben wir das gemacht, aber jetzt gibt es keine Wahl, wir haben einen Kommissar, mit dem können wir gut leben. Hoffen wir, dass er noch etwas bleibt, der ist gut."
    Der Kommissar, ein vom Innenministerium in Rom bestellter Zwangsverwalter, sorgt dafür, dass die Straßen halbwegs sauber sind, der Müll abholt wird, die Wasserleitungen funktionieren. Unten im Tal gibt es jetzt einen schönen Sportplatz. Vor ein paar Tagen gab es hier die so genannte "Olympiade der Legalität" - 150 Kinder und Jugendliche waren am Start, haben Fußball gespielt und Anderes. Organisiert hat das aber keiner der Bürger aus San Luca, sondern Antonio Pecorella aus Bovalino, unten am Meer. Jahrelang war er Polizist, jetzt hat er einen Verein gegründet, mit dem er Kinder von der Straße holen will:
    "Das ist ein spielerischer Ansatz, aber kein Spiel. Darüber schaffen wir Bewusstsein für die Regeln, so lernen das die Kinder auf leichte Art, indem sie spielen, gewöhnen sie sich daran. Wir haben uns darauf konzentriert. Denn nicht nur in San Luca auch hier in Bovalino gibt es nichts für diese Kids. Keine Alternative zur Straße, und so ist das an vielen Orten, sei es San Luca oder in Africo."
    Bürgerengagement, Menschen, die sich politisch einbringen, gibt es in San Luca kaum. Das liegt daran, dass die 'Ndrangheta hier besonders mächtig ist. Nicola Gratteri ist einer der bekanntesten Anti-Mafia-Ermittler Italiens. Er arbeitet in Catanzaro, 150 Kilometer nördlich - und weiß genau, wie die Clans versuchen, auch die Politik zu beherrschen:
    "Es kommt auch vor, dass eine 'Ndrangheta-Familie ein oder zwei Kandidaten auf die Liste setzt. Wir müssen begreifen, dass die 'Ndrangheta selber wählt und auch wählen lässt. Und sie versucht, nie in der Opposition zu sein."
    Mafia hat Bürgersinn erstickt
    Aber warum will niemand in San Luca kandidieren? Die unbescholtenen Bürger sicher aus Angst, von den Clans unter Druck gesetzt zu werden - und das in einem Ort, in dem sogar der Pfarrer als Exponent der Mafia gilt. Nicola Gratteri aber sieht, ganz sarkastisch, vor allem einen anderen Grund: Politik machen rechnet sich für die Clans in San Luca nicht:
    "San Luca ist einer der Orte, an denen die Mafia-Dichte sehr hoch ist. Der Staat schaut dort immer genau hin. Und wenn man dann eine Wahlliste macht, kann es leicht passieren, dass da ein entfernter Verwandter eines Mafioso auftaucht. Und immer wieder wird dann nach sechs Monaten eine Gemeindeverwaltung aufgelöst wegen Unterwanderung durch die Mafia. Und die 'Ndrangheta merkt dann, dass es sich nicht lohnt eine Liste aufzustellen. Es geht immer darum, ob sich etwas lohnt oder nicht."
    So verwaltet San Luca seit über fünf Jahren ein Kommissar aus dem Innenministerium. Die Kommunalwahl fällt mal wieder aus - aber so kann es natürlich nicht bleiben, sagt einer von außen, Antonio Pecorella:
    "Früher oder später muss jemand antreten. Denn es kann ja nicht sein, dass einer von außen kommt und sagt wie es läuft, es kann nicht sein, dass ich aus Bovalino nach San Luca komme, um einen Verein zu gründen. Wenn das wichtig ist, müssen wir das machen. Wenn wir eine gesunde Alternative zur Straße brauchen, dann sollten wir anfangen. Wenn wir ein Bürgerzentrum brauchen, um zum Beispiel Filme zu zeigen, auf geht's! Aber wir müssen aufhören zu denken, die anderen kümmern sich schon. Denn so läuft das nicht."
    Dazu müsste sich in San Luca eine ganze Kultur ändern, es müsste so etwas wie Bürgersinn entstehen. Doch bis es so weit ist, braucht es noch viele kleine Schritte.