Freitag, 19. April 2024

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Kommunen in der Coronakrise
Bürgermeister: Krise nutzen, um nach Schwachstellen zu schauen

Die Coronakrise müsse zum Anlass genommen werden, die Gesundheitspolitik von Land und Bund kritisch zu überdenken, sagte Roland Schäfer, Präsident des Gemeindebundes NRW, im Dlf. Es gebe keinen Grund zur Panik, aber man solle überprüfen, was besser gemacht werden könne.

Roland Schäfer im Gespräch mit Silvia Engels | 10.03.2020
Ein Informationsblatt zum Umgang mit möglichen Corona-Infizierten hängt im Fenster einer Arztpraxis in Erfurt.
Im ländlichen Raum gebe es in Teilen zu wenig Arztpraxen, sagt Gemeindebundpräsident Roland Schäfer (Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa)
Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat die Gemeinden und Krankenhäuser in Deutschland wegen der Ausbreitung des Coronavirus dazu aufgerufen, ihre Krisenpläne zu aktivieren. Man sei darauf vorbereitet, sagt Roland Schäfer (SPD), Bürgermeister von Bergkamen und Präsident des Städte- und Gemeindebunds in Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland mit den derzeit meisten Corona-Infizierten in Deutschland. Bei der Absage von Veranstaltungen gehe es um Verantwortungsbewusstsein. Generelle Schulschließungen lehnt Schäfer zum jetzigen Zeitpunkt ab.
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Silvia Engels: Wir haben es gerade vom Robert-Koch-Institut gehört. Haben Sie schon die Krisenpläne aktiviert und was heißt das?
Roland Schäfer: Wir sind vorbereitet auf Situationen wie die jetzige hier. Wir haben in der Vergangenheit auch schon Epidemien, ob das jetzt die Vogelgrippe, Ebola oder sonst etwas war, durchstanden. Wir haben in den Kreisen und kreisfreien Städten die Krisenstäbe, in diesem Fall mit dem Schwerpunkt bei den Gesundheitsämtern, und in den kreisangehörigen Kommunen so wie in Bergkamen auch die sogenannten Stäbe Außergewöhnliche Ereignisse. Wir sind vorbereitet da drauf. Da sehe ich im Moment keinen großen Nachholbedarf. Allerdings müssen wir eine solche Krise auch nutzen, um zu schauen, wo sind eventuell noch Schwachstellen, was kann man besser machen.
Engels: Haben Sie denn da schon was für Ihren Bereich gefunden, wo Schwachstellen sind?
Schäfer: Zum einen ist sicher die Erkenntnis da, dass in den Arztpraxen teilweise zu wenig Vorhaltungen bei Desinfektionsmitteln oder auch dem ärztlichen Mundschutz waren. Ich meine jetzt nicht den normalen, sondern den ärztlichen Mundschutz. Wir müssen auch in unseren Rathäusern gucken. Wir haben bei uns zum Beispiel durchaus eine Reserve, einen Vorrat an Desinfektionsmitteln für unsere verschiedenen Waschräume, die wir haben. Da ist das in Ordnung, das mag bei anderen Städten anders sein.
Was wir auch feststellen, gerade im ländlichen Raum, ist etwas, was wir schon lange beklagen, nämlich dass wir in Teilen zu wenig Arztpraxen haben. Das wird jetzt besonders deutlich. Und auch, dass das Krankenhauswesen in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt worden ist und wir auch da eine Ausdünnung haben. Auch das, meine ich, muss man - und da ist mehr die Gesundheitspolitik von Land und Bund gefragt - kritisch überdenken.
Hamsterkäufe "braucht es wirklich nicht"
Engels: Können Sie denn mit Blick auf die zum Teil prekäre Versorgung der Arztpraxen selbst und natürlich auch das schmal gewordene Netz irgendetwas auf kommunaler Ebene tun, um den Ärzten, die noch da sind, die niedergelassen sind, zu helfen?
Schäfer: Nein, das sehe ich im Moment nicht. Wir können nur dazu beitragen, Panik zu vermeiden, die Bevölkerung zu beruhigen - nicht im Sinne, dass wir es nicht ernst nehmen oder uns darüber lächerlich machen, sondern dass wir einfach sagen, auch in Zukunft wird Versorgung da sein. Es ist kein Grund für Hamsterkäufe von Toilettenpapier oder Nudeln. Das ist beobachtet worden. Das braucht es wirklich nicht. Wir werden das in Zukunft auch sicherstellen können, dass diese Versorgung klappt, und auch die ärztliche Versorgung ist in Deutschland auf einem sehr hohen Stand mit gut ausgebildeten Ärzten und Hilfskräften. Ein Grund für eine Panik ist überhaupt nicht.
Engels: Kommen Sie denn und kommen die Kommunen, mit denen Sie Kontakt haben, damit klar, die Bevölkerung immer und zu jedem Zeitpunkt mit Informationen auf dem Laufenden zu halten und mit übrigen Elementen der Daseinsvorsorge, das heißt Supermärkte, andere wichtige Dinge des täglichen Lebens?
Schäfer: Die neuen Medien sind da ein bisschen ein Fluch und ein Segen. Einerseits kann man über das Internet, über die Homepage etwa des Kreisgesundheitsamtes in unserem Fall oder der Gesundheitsämter in ganz Deutschland sicherstellen, dass man ganz aktuelle Informationen jederzeit dort einsetzen kann. Das muss natürlich auch geschehen, damit Leute wirklich aktuell was nachgucken können, auch Möglichkeiten haben, eventuell was zu klären.
Auf der anderen Seite führt das Internet, insbesondere Facebook-Gruppen, aber auch YouTube und andere soziale Medien dazu, dass alle möglichen Spekulationen, Verschwörungstheorien und Angstmache verbreitet wird. Das ist dann die Negativseite.
Engels: Gibt es denn Bereiche, wo Sie sich als Kommune von der Landes- und auch der Bundesebene allein gelassen fühlen?
Schäfer: Hilfreich sind natürlich klare Vorgaben. Wir haben jetzt zum Beispiel wieder gehört, auf der Bundesebene wird gesagt, Veranstaltungen mit über tausend Teilnehmern sollte man lassen, sollte man absagen. Das passiert jetzt offensichtlich bei den Bundesligaspielen. Wir haben aber auch andere Veranstaltungen, die deutlich weniger Teilnehmer haben, wo es um bestimmte Risikogruppen geht. Zum Beispiel ist bei mir jetzt am Wochenende der große Feuerwehr-Kameradschaftsabend abgesagt worden, von uns aus in Abstimmung mit der Feuerwehr, einfach weil wir unsere Feuerwehr nicht lahmlegen wollen. Denn wenn es da einen Infektionsfall gibt, sind möglicherweise erst mal alle Feuerwehrleute der Stadt in Quarantäne. Das geht nicht.
Der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Roland Schäfer auf einer Pressekonferenz in Berlin 
Roland Schäfer, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes NRW (dpa)
So was muss man vor Ort entscheiden. Da ist aber, glaube ich, auch das Verantwortungsbewusstsein, auch die Kenntnis da, so dass man diese Entscheidungen auch trifft. Es fällt einem auch nicht leicht, schöne Veranstaltungen abzusagen, aber im Zweifel eher für die Sicherheit.
Engels: Das heißt, hier plädieren Sie nicht dafür, dass die einheitlichen Vorgaben, gerade was die Absage von Veranstaltungen angeht, noch rigider geführt werden? Das sehen Sie weiter richtig in dezentraler Hand?
Schäfer: Ja. Wenn es klare medizinische Erkenntnisse gibt über bestimmte Zusammenhänge, dann muss das auch vermittelt werden. Das funktioniert aber eigentlich auch. Ansonsten sehe ich wirklich die Verantwortung auf der kommunalen Ebene in jeder Stadt. Jede Veranstaltung ist irgendwie anders als die anderen. Da muss man sich schon die Mühe machen, das im Einzelnen zu überlegen und zu entscheiden. Aber da bin ich ziemlich sicher, dass auch die richtigen Entscheidungen gefällt werden.
Schüler "weiter zur Schule gehen lassen"
Engels: Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hat heute bei uns im Programm angeregt, zumindest beim Bereich Seuchenbekämpfung die geltenden föderalen Regeln als Lehre aus Corona zumindest zu überdenken und hier bundeseinheitlicher zu regeln. Stimmen Sie zu?
Schäfer: Das Überdenken stimme ich natürlich zu. Jede Sondersituation, wie wir jetzt auch hier mit der Coronavirusepidemie haben, sollte schon dazu dienen, dass man das alles noch mal auf den Prüfstand stellt. Aber für besonders hektische Handlungen ist jetzt auch kein Raum. Das braucht auch nicht. Wir brauchen einen kühlen Kopf. Wir müssen das analysieren und wir müssen die Schlüsse daraus ziehen. Es wird sich weiter entwickeln. Wir haben ja noch weit nicht so viel wie wir bei den klassischen Grippeepidemien, die wir in jedem Jahr haben, an Infizierten haben. Das soll ja abgemildert werden. Irgendwann wird es, wie sagt der Fachmann, durchgeseucht sein. Dann haben wir eine Situation wie bei Grippe. Damit sind wir auch in der Vergangenheit gut zurechtgekommen, trotz 25.000 Toten im Jahr.
Engels: Das heißt, auch beim heftig diskutierten Thema flächendeckende Schulschließung sagen Sie, hier soll weiter dezentral entschieden werden?
Schäfer: Ja. Wir müssen unsere Schüler und Schülerinnen ja auch weiter zur Schule gehen lassen. Da sind die Abiturienten dabei, die sich vorbereiten jetzt aufs Abitur. Wir wollen denen ja auch nicht ihren Lebensweg verderben. Das muss auch individuell entschieden werden. Wenn man einen belegten Fall hat in einer Schule, dann muss man entweder die Schule, vielleicht reicht aber auch eine einzelne Klasse herausnehmen, untersuchen und dann wieder freigeben. Aber pauschal jetzt alle Schulen, alle Universitäten und sonstigen Einrichtungen zu schließen, das halte ich für absolut übertrieben im momentanen Stand.
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