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Kommunikation jenseits der Sprache

"Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen," soll vor zwei Jahrhunderten der französische Außenminister Talleyrand einem spanischen Gesandten entgegnet haben. Auch wenn dies recht zynisch klingt - ein Funken Wahrheit scheint darin zu stecken.

Von Christian Forberg | 20.05.2010
    "Beyond the words - hinter den Worten" lautete das Motto der Tagung an der Universität Leipzig. Das Zusammenspiel zwischen den Worten an sich und ihren Wirkungen wird in der linguistischen Pragmatik erforscht. Es ist eine relativ junge Disziplin, entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ist vor allem mit dem britischen Sprachforscher Paul Grice verknüpft.

    Der Kern ist: Wenn Menschen miteinander reden, tauschen sie nicht nur Wortschablonen aus, sondern bauen sie in eine Situation zwischen Absender und Empfänger ein.

    Pragmatische Linguistik sei also eine sehr lebensnahe Wissenschaft, meint Jörg Meibauer von der Johannes Gutenberg Universität Mainz.

    "Woran kann man das sehen? Leute streiten sich gerne darüber, was jemand anderes gesagt hat oder was er gemeint hat, was verstanden worden ist oder nicht. Und man kann beobachten, wie ganz normale Leute in solchen Situationen zu Linguisten werden und anfangen, Äußerungen von anderen Leuten zu interpretieren, sich zu rechtfertigen, zu erläutern, wie sie etwas verstanden haben wollen und so weiter."

    Um das zu verdeutlichen, fügt Frank Liedtke, Gastgeber von der Leipziger Universität, ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit und dem öffentlichen Sprachgebrauch an: die Aussage der SPD im nordrhein-westfälischen Wahlkampf, die Linke sei nicht regierungsfähig.

    "Wenn Sie diesen Satz hören, schließen Sie als Hörer vielleicht daraus, dass die Linke eine Partei ist, mit der man keine Koalition eingehen kann. Das ist allerdings nicht gesagt worden, jedenfalls nicht wörtlich geäußert worden. Wir würden schon sagen, dass es in gewisser Weise zu dem auch gehört, was zumindest gemeint worden ist, weil die Adressaten das zweifellos auch so verstehen wollen. Es ist aber noch ein Hintertürchen aufgemacht worden zu sagen: Wir haben ja nur gesagt, die Linke ist nicht regierungsfähig; wir haben nicht gesagt, dass wir mit ihr nicht koalieren. Sie sehen also, das solche subtilen Bedeutungsunterscheidungen im Alltag, aber auch in der öffentlichen Sprache eine sehr große Rolle spielen können und auch entscheidend sein können für den kommunikativen Erfolg."

    An dieser Stelle zwischen "gesagt" und "gemeint" scheiden sich nicht nur die Geister im Alltag, sondern auch der Wissenschaft. Soll man das Modell von Paul Grice weiterentwickeln, den kommunikativen Raum sozusagen weiter ausdehnen, oder in seinen Grenzen lassen und damit dem Wort an sich die Hauptrolle erhalten? Frank Liedtke:

    "Grice ist davon ausgegangen, dass wir eine Äußerungsebene haben, die das Gesagte oder das Explizite umfasst. Und dann gibt es eine zweite Ebene der Konversation, der Schlüsse, die wir daraus ziehen. Diese Aufteilung ist sehr lange schon zum Standard der Theoriebildung geworden; neuere Ansätze versuche, diese Zweiteilung aufzubrechen, indem sie mehrere Zwischenstufen einschalten."

    Was unter diesen Zwischenstufen verstanden werden kann, erläutert Petra Schumacher von der Uni Mainz.

    "Grice redet darüber, wie Kommunikation funktioniert, wie wir von einer rationalen, kooperativen Situation ausgehen. Er hatte aber nie den Anspruch zu sagen, A wird schneller oder besser verarbeitet als B. Und deshalb gibt es auch diese alternativen Ansätze, die konkret sagen: Hier geht es um Verarbeitung, hier geht es um Aufwand, den der Hörer einbringen muss, um eine Aussage zu verstehen."

    Hinzu kommt, dass inzwischen auch die Neurowissenschaften tiefer ins Gehirn blicken lassen, was dort im Prozess der Kommunikation geschieht. Petra Schumacher ist experimentelle Linguistin und misst die Reaktionszeiten im Gehirn: wie viel Zeit vergeht zwischen dem Ankommen und dem Verstehen von Wörtern?

    "Wir können beobachten, dass diese Anbindungsprozesse so um 300 Millisekunden passieren. Wir sehen aber auch, dass später noch mal eine weitere Komponente passiert, die die Schlussziehung reflektiert. So können wir also pragmatische Prozesse - das heißt anbinden, davon ausgehen, mein Gegenüber ist ein rationaler Sprecher, der möchte mir was Sinnvolles vermitteln - das wäre also dieser Anbindungsprozess -, und gleichzeitig aber auch die Notwendigkeit, dass wir einen Schluss ziehen - das können wir hier abbilden."

    Nicht nur die Situation, in der kommuniziert wird, ist Gegenstand ihrer Untersuchungen, sondern auch das Alter der Beteiligten: Welchen Einfluss hat die Lebenserfahrung älterer Menschen gegenüber jüngeren und jüngsten? Frank Liedtke nennt einen Beispielsatz:

    "'Einige Giraffen haben lange Hälse.' Dann würden die Kinder darauf reagieren und würden sagen: Ja, das stimmt. Es gibt andere Reaktionen von Erwachsenen, die dann sagen: Nein, das stimmt nicht; nicht einige Giraffen haben lange Hälse, sondern alle Giraffen. Bei Kindern herrscht offensichtlich noch ein anderes pragmatisches System vor als bei Erwachsenen; ein weiterer Nachweis dessen, dass die Pragmatik sehr stark eingewoben ist in unser Sprachverhalten und auch in unseren Spracherwerb."

    Der Forscher kann dabei auf Experimente und Untersuchungen zurückgreifen, die am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie durchgeführt wurden. Von Susanne Grassmannn zum Beispiel, die bei Kleinkindern das Entstehen der sprachlichen Kommunikation erforscht.

    "Es ist ziemlich schwierig zu sagen, wann so was genau losgeht. Also Kinder - so mit neun bis zwölf Monaten fangen sie an, Zeigegesten und Blickrichtungen zu verstehen im Sinne von: Wir beide gucken gemeinsam auf diesen Gegenstand, und daraus entwickelt sich ganz langsam in dem nächsten halben Jahr das Wortverständnis."

    ... und damit der Pragmatismus der Sprache. Auf der Leipziger Tagung "Beyond the words" hat sich nahezu ein Dutzend Forscher mit dem Komplex kindlicher Sprachentwicklung beschäftigt und nicht zuletzt dahin gehend diskutiert, ob er in das Gricesche System hineinpasst, oder eher nicht.