Samstag, 20. April 2024

Archiv


Kommunikationswissenschaftler: Spielen gehörte schon immer zur Gesellschaft dazu

300 neue Computerspiele konnten die Besucher der Computerspielemesse Gamescom in Köln ausprobieren, die zum Weihnachtsgeschäft in den Handel kommen. Es wurde auch die Frage diskutiert, ob und warum Computerspiele Kulturgut sind.

Jeffrey Wimmer im Gespräch mit Dina Netz | 19.08.2012
    Dina Netz: Heute geht in Köln die Gamescom zu Ende, Europas größte Messe für Computerspiele. 600 Aussteller aus der ganzen Welt haben fünf Tage lang ihre Neuentwicklungen gezeigt, darunter vor allem neue mobile Spiele für Smartphone und Tablet-Computer. Seit Donnerstag ist die Gamescom fürs Publikum offen, es darf 300 neue Spiele ausprobieren, die zum Weihnachtsgeschäft in den Handel kommen. Warum erzähle ich Ihnen das jetzt alles in einer Kultursendung? Weil auf der Gamescom auch die Frage diskutiert wurde, ob und warum Computerspiele Kulturgut sind. Und die Frage greife ich jetzt auf im Gespräch mit Jeffrey Wimmer, er ist Juniorprofessor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der TU Ilmenau mit den Schwerpunkten digitale Spiele und virtuelle Welten.

    – Herr Wimmer, was für Computerspiele spielen Sie denn?

    Jeffrey Wimmer: Guten Morgen!

    Dina Netz: Guten Morgen.

    Wimmer: Schöne Frage! – Man möchte das ja gar nicht zugeben als Wissenschaftler, dass man Zeit hat für so etwas Profanes.

    Netz: Bei Ihnen ist das ja quasi Beruf.

    Wimmer: Genau. Ich kann es auch von der Steuer absetzen, wenn ich mir Computerspiele kaufe. Ich spiele die sogenannten Casual Games. Das ist auf Deutsch: Das nennt man auch die Gelegenheitsspiele. Spiele, die man relativ gut und einfach zwischendurch spielen kann. Abends, wenn man mal noch zehn Minuten Zeit hat vorm Schlafengehen, am Browser oder unterwegs mit seinem mobilen Laptop oder mit seinem Tablet-PC, Spiele, die man einfach mal zwischendurch spielen kann. Für mehr habe ich leider keine Zeit.

    Netz: Was ist denn überhaupt so bei Computerspielen im Moment State of the Art? Welche Art von Spielen ist gerade angesagt?

    Wimmer: Es ist heutzutage so, dass wir nun einen relativ großen, ausdifferenzierten Markt in Deutschland haben. Und dass eine Vielzahl von Computerspielen und Computerspielsystemen gespielt werden. Wir haben wirklich jetzt ein Großteil von Spielen: einerseits diese klassischen Konsolenspiele, die man zuhause spielt, wie eine Playstation, wie eine Wii. Dann wird noch in Deutschland sehr viel am PC gespielt, klassische PC-Spiele, Simulationsspiele wie Simcity oder World of Warcraft und auch andere Geschichten. Und dann auch ein sehr großer Markt – und da ist auch bei vielen Spielen Deutschland Weltmarktführer – sind die sogenannten Browser-Spiele, das heißt Computerspiele, die ich anhand meines Internet Explorers oder meines Firefox am Computer spielen kann, ohne große Installationsschwierigkeiten.

    Netz: Herr Wimmer, dann kommen wir jetzt zu unserer Ausgangsfrage. Sind all diese Computerspiele denn Kulturgüter?

    Wimmer: Eine schwierige Frage, die in Deutschland wirklich direkt explizit seit 2008, 2009 diskutiert wird. Meine Position dazu ist, dass nicht ein Computerspiel an sich ein Kulturgut darstellt. Wenn wir uns die Geschichte des Spiels aber anschauen, sehen wir, dass Spielen schon immer zu unserer Kultur, zur Gesellschaft dazugehört hat. Kinder lernen nichts einfacher und nicht schneller als über ein Spiel vermittelt. Auch Spiele gehören zu unserer Gesellschaft dazu. Schauen wir uns das wöchentliche Bundesligaspiel an, wie wichtig das Spiel für uns ist, für unsere Gesellschaft. Und Computerspiele sind nun in den letzten zehn Jahren auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und man kann eigentlich mit Fug und Recht behaupten, dass Computerspiele ein Volkssport geworden sind. Insofern ist es natürlich schon auch in einer gewissen Weise ein Kulturgut für unsere Gesellschaft geworden.

    Netz: Ein Kulturgut hat ja immer irgendeine Bedeutung für eine Gesellschaft, es bringt sie weiter, nützt ihr. Inwiefern gilt das jetzt für Computerspiele?

    Wimmer: Das stimmt. Wenn wir es einordnen würden – wir sind es ja noch gewohnt, auch in Hochkultur und in Populärkultur zu differenzieren -, sind natürlich Computerspiele eher ein Unterhaltungsgut und eher ein Populärgut. Ein Computerspielforscher hat mal geschrieben, es gibt noch nicht das "Citizen Cane" der Computerspiele. Wenn man es vergleicht mit einem anderen wichtigen Unterhaltungsmedium, das Computerspiel mit dem Film vergleicht, da gibt es sehr wichtige Filme und heute würde keiner zögern zu sagen, dass der Film – denken wir an Art House – ein Kulturgut darstellt. Das ist bei Computerspielen noch nicht ganz so. Es gibt zwar sehr, sehr viele Computerspiele, aber sozusagen ein "Citizen Cane" der Computerspiele wurde noch nicht gedreht oder programmiert.

    Netz: Da sprechen Sie jetzt einen interessanten Aspekt an, Herr Wimmer. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, der hat diese Woche auf der Gamescom gesagt, Videospiele sind Kulturgut, das ist keine Frage mehr, aber nun sei es eben an der Zeit, dass sich die Branche auch zu ihrer Kulturverantwortung bekenne und eben gezielt innovative künstlerische Spielideen fördere, also "Citizen Cane", um es mit Ihren Worten zu sagen. Sehen Sie da die Branche auch in der Pflicht?

    Wimmer: Klar! Die Branche hat die Problematik, dass wir uns nun in einem gesättigten Markt befinden. Es gibt einen sehr großen Wettbewerb, fast alle Zielgruppen werden erreicht. Und wenn man sich heutzutage die Veröffentlichungspolitik anschaut bei den Computerspielen: Zu einem großen Teil sind das Wiederholungen, Fortsetzungen. Der Markt ist nicht mehr so innovativ wie noch vor ein paar Jahren oder wie vor einem Jahrzehnt, sondern ist eher sehr zurückhaltend und man setzt auf Blockbuster und eher weniger innovative Spiele. Und zurzeit ist es eigentlich nicht sehr innovationsfreundlich. Es gibt gut gemachte Spiele sehr wohl, aber nicht so viele. Man muss da wirklich auch schon ein bisschen gucken. Eine gute Möglichkeit ist der Deutsche Computerspielpreis, der immer noch die Perlen so ein bisschen herausfischt. Und das ist auch ein guter Tipp für Leute, die sich so ein bisschen damit beschäftigen möchten, da mal zu gucken, was hat denn den Deutschen Computerspielpreis bekommen.

    Netz: Wie wäre es denn mit einer öffentlichen Förderung für anspruchsvolle Computerspiele, so wie es ja zum Beispiel auch Filmförderung gibt?

    Wimmer: Das ist eine sehr gute Frage, die auch schon langsam diskutiert wird – gerade vor dem Hintergrund, wenn man überlegt, welche Medien die Jugendlichen erreichen. Und da wissen wir: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk erreicht nicht sehr und nicht zum großen Ausmaß die Jugendlichen. Die Jugendlichen möchten sich gerne in virtuellen Welten aufhalten. Sie lernen auch den Umgang mit der Welt durch und in virtuellen Welten. Sie werden konfrontiert mit neuen Kulturen. Und die meisten virtuellen Welten, die meisten Computerspiele haben einen kommerziellen Hintergrund. Und das ist natürlich nicht nur Chance, sondern auch große Gefahr, weil da gibt es Interessen dahinter. Und wir haben sehr wenige öffentlich-rechtliche Spielwelten. Das wäre eine Möglichkeit, natürlich auch dieses tolle Medium, das aufgrund der interaktiven Eigenschaften auch sehr viele Chancen bietet, noch besser in unserer Gesellschaft ankommen zu lassen.

    Netz: Wie kommt denn das eigentlich, dass es da bisher so wenig öffentlich-rechtliche Berührungspunkte gibt? Hat das damit zu tun, dass Computerspiele in Deutschland nach wie vor einen schlechten Ruf haben, dass man im Prinzip das Wort Computerspiel immer noch als Synonym für Ballerspiel benutzt, oder wie kommt das?

    Wimmer: Wir haben in unserem Kulturkreis und auch hier in Deutschland, im Unterschied zu anderen Ländern sind wir da nicht so technologiefreundlich und Computerspiele haben nun eine Geschichte, die auf 40 Jahre zurückblickt. Die jetzige Elterngeneration um die 40, das ist die erste Generation, die mit Computerspielen aufgewachsen ist in den 70er-Jahren. Man denke an solche alten Spiele wie Pingpong und andere Geschichten. Und die Politikergeneration ist nun eher eine Generation zum großen Teil noch gewesen und ist es auch, die da wenig Zugriff zu diesem neuen Medium hat. Und auch ein Großteil der Journalisten, der sich diesen Zugang zum Computerspiel erst erarbeiten musste oder auch muss. Das ist natürlich ein schlechtes Image, das die Computerspiele noch immer haben. Und das ist ein großer Unterschied zum Beispiel zu Ländern wie Südkorea, wo der Präsident auch mal mit dem südkoreanischen Champion in Starcraft ein Spiel gespielt hat. Das wäre zum Beispiel in Deutschland nicht denkbar, dass unsere Bundeskanzlerin Merkel mit dem deutschen Isyboard Champion mal ein Spiel am Abend spielt.

    Netz: Ich habe auch den Eindruck, dass die traditionelle Kulturszene da Berührungsängste hat. Ich kenne einen Germanisten, der seine Doktorarbeit über Computerspiele geschrieben hat und immer ein wenig schräg angeschaut wurde. Aber das ist wirklich ja ein ziemlicher Einzelfall. Müssten sich da die Geisteswissenschaften, die Künste auch dringend gegenüber diesem Kulturgut Computerspiel öffnen?

    Wimmer: Es ist kein Zwang, aber ich würde schon sagen, dass das Computerspielmedium sehr viele Möglichkeiten hat, die noch lange nicht ausgereizt sind. Und in Zeiten, in denen unsere Gesellschaft immer mehr digitaler wird, immer mehr mediatisierter wird, hat das Computerspiel und auch virtuelle Welten, die Simulation durch Computerspiel-Welten eine große Rolle. Und das muss auch künstlerisch reflektiert werden, das muss auch politisch irgendwie geregelt werden und das kann nicht allein dem Markt überlassen werden und großen transnationalen Unternehmen, die sich damit eine goldene Nase allein verdienen. Es gibt vereinzelt Computerspielfirmen, auch BEA, die so ein bisschen ihre Aufgabe darin sehen, den Umgang mit Computerspielen auch pädagogisch zu fördern. Aber wenn man sich das Ausmaß des Computerspielens in Deutschland anschaut, wie viele Kinder und Jugendliche wie lange Computerspielen, ist da der Umgang noch relativ wenig gefördert oder auch reguliert.

    Netz: Wie lange spielen sie denn?

    Wimmer: Wir haben in Untersuchungen festgestellt, dass ein typischer Online-Spieler/Online-Spielerin im Durchschnitt 20 Stunden in der Woche Computer spielt. Und das ist immens. Das ist nach dem Fernsehen das zweitintensiv genutzte Medium in Deutschland.

    Netz: Bei der Gamescom wurde unter anderem ein Lehrstuhl für Gamedesign gefordert, eben damit die Wissenschaft auch dran bleibe an den ästhetischen Diskursen der Computerspielbranche. Wäre das in Ihren Augen sinnvoll?

    Wimmer: Es gibt relativ viel Forschung in Deutschland, aber das Ganze ist eher auf dem Niveau privater Fachhochschulen, privater Berufsakademien. Universitäten haben das jetzt eher noch sehr wenig entdeckt. Und wenn wir uns die Forschung in anderen Ländern anschauen, in den Vereinigten Staaten oder auch in angloamerikanischen Ländern und auch vor allem in südasiatischen Ländern, da hat Deutschland noch einen ganz großen Nachholbedarf. Auf jeden Fall wäre es begrüßenswert, das noch mehr zu fördern, gerade auch die interdisziplinäre Forschung. Ich denke, Computerspiele haben sehr viele Charakteristika, die man auch sehr gut aus unterschiedlichen Perspektiven erforschen kann. Und da sind wir noch in Deutschland, auch im Jahr 2012 stehen wir da noch am Anfang.

    Netz: Noch viel zu tun also – der Medienwissenschaftler Jeffrey Wimmer war das über Computerspiele als Kulturgut.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.