Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Kommunion für Geschiedene
Notwendig, aber zu spät

Wer katholisch, geschieden und wiederverheiratet ist, wird nicht mehr automatisch von den Sakramenten ausgeschlossen. Das will der Papst, das wollen seit neuestem auch die deutschen Bischöfe ausdrücklich. Ein notwendiger Schritt, sagt Joachim Frank. Aber warum so spät?

Von Joachim Frank | 03.02.2017
    Zwei Eheringe
    An der Ehe scheiden sich in der katholischen Kirche die Geister (dpa/picture-alliance/Friso Gentsch)
    Die kirchliche Kommunikation wimmelt von Kalendersprüchen. "Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat." – "Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken." – "Seid barmherzig, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist." - "Wir wollen nicht Herren über euren Glauben sein, sondern wir sind Helfer zu eurer Freude".
    Kalendersprüche? Das sind doch alles Bibelzitate, für Christen "heilige Worte" mithin. Das stimmt. Aber die kirchliche Praxis mit einem engen Korsett von Rechtsvorschriften, Verboten, Sanktionen und Maßregelungen hat die Weite der Botschaft Jesu genau dazu degradiert: zu Kalendersprüchen. Wohlklingend, schön anzuhören, aber praktisch mehr oder weniger irrelevant.
    So gesehen, ist es eine Art Schubumkehr, dass die Deutsche Bischofskonferenz wiederverheirateten Geschiedenen jetzt offiziell die Teilnahme an der Kommunion ermöglicht. Die Bischöfe gewichten Dogmatik und Moral einerseits, die pastorale Sorge um die Menschen andererseits neu. Dabei setzen sie für Deutschland in die Praxis um, was Papst Franziskus als die oberste Leitlinie kirchlichen Handelns ausgegeben hat: die Zuwendung zu den Menschen und die differenzierte Betrachtung des Einzelfalls, statt eines zwar prinzipienfesten, aber gnadenlosen Herumreitens auf der reinen Lehre.
    So wohltuend normal
    Was solcher Rigorismus zur Folge hatte, das haben Katholiken nach einem Scheitern ihrer Ehe am schärfsten zu spüren bekommen. Spätestens bei einer erneuten zivilen Trauung ging die dogmatisch-kirchenrechtliche Schranke runter: Ausschluss von den Sakramenten wegen notorischen Ehebruchs. Und zwar lebenslänglich, denn nach kirchlicher Auffassung besteht die erste Ehe - weil unauflöslich - fort, bis der Tod sie scheidet.
    Jetzt sollen und dürfen die Betroffenen eine eigene Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen fällen dürfen. Die Kirche, betont der Papst, sei berufen, das Gewissen der Gläubigen zu bilden, nicht aber dazu, es zu ersetzen. Und die Kirche müsse anerkennen, dass starre Schemata nicht für die Beurteilung moderner Paarbeziehungen in all ihrer Vielfalt taugen.
    Die Lebensrealität wahrnehmen, der persönlichen Gewissensentscheidung Vorrang geben – das klingt so wohltuend normal und zugleich so selbstverständlich, dass man sich fragt: Wieso denn erst jetzt? Tatsächlich es ist inzwischen schon fast 30 Jahre her, dass drei deutsche Bischöfe – unter ihnen die heutigen Kardinäle Walter Kasper und Karl Lehmann – einen Vorstoß in eben diese Richtung unternahmen. Dafür wurden sie vom obersten Glaubenswächter Papst Johannes Pauls II. in Rom, dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger, förmlich geschurigelt, obwohl die Lehre vom Gewissen als höchste Autorität fest in der katholischen Tradition verankert ist.
    Sex als Obsession
    Aber wenn der Einzelne plötzlich die existenziellen Fragen des Glaubenslebens selber mit seinem Gott ausmachen darf, dann kommt der kirchlichen Obrigkeit die Kontrolle abhanden. Es ist diese alte klerikale Angst vor Machtverlust, auf die sich der erbitterte Widerstand gegen die scheinbar neue, in Wahrheit aber uralte, nämlich von Jesus selbst gezogene Linie des amtierenden Papstes zurückführen lässt. Die Gegner von Papst Franziskus konstruieren den Zugang zu den Sakramenten nach dem Passierschein-Prinzip: Wer Gott in der Kommunion begegnen will, der muss sich immer brav anstellen. An der Schranke stehen die kirchenamtlichen Heilskontrolleure. Sie lassen Bewerber mit einwandfreien Papieren durch.
    Und es ist bezeichnend, dass der Visavermerk letztlich an einem einzigen Thema hängt: Sex. Käme das kirchliche Lehramt von seiner Obsession herunter, dass es legitim praktizierte Sexualität nur zwischen kirchlich Verheirateten geben kann, dann wäre der ganze Ärger um Scheidung, Wiederheirat und Kommunionempfang weitgehend entschärft, und es käme endlich die Frage in den Blick, wie Paare – ob verheiratet oder unverheiratet, ob hetero- oder homosexuell – ihr Sexualleben verantwortungsbewusst gestalten.
    Aber das ist derzeit wohl nur eine fromme Vision eigener Art. Derzeit kommen Kirchenmänner wie der Kölner Kardinal Joachim Meisner aus der alten Logik der Sexualmoral wie auch der Sakramenten-"Verwaltung" nicht heraus. Da hilft kein Dekret der Bischofskonferenz, und da helfen auch keine Papstworte mit noch so suggestiven Bildern und Metaphern wie dem von der Kirche als "Feldlazarett".
    In der real existierenden katholischen Kirche des 21. Jahrhunderts werden zwei Welten einander weiter – und mutmaßlich zunehmend – unversöhnlich gegenüberstehen.
    Joachim Frank ist Chefkorrespondent der Du-Mont-Gruppe und Mitglied der Chefredaktion des "Kölner Stadt-Anzeigers".