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Kommunistenhatz, Hartz IV und Menschenhandel

Dokumentarfilmer Lutz Hachmeister nähert sich in seinem neuen Film dem 50er-Jahre-Kommunistenfresser Joe McCarthy; Ute Schall und Christine Groß untersuchen die Authentizität im Dokumentarischen und im Nachkriegsbosnien ist Rachel Weisz einem Menschenhändlerring auf der Spur.

Von Hartwig Tegeler | 11.01.2012
    Ein Kommunist an einer Universität, einer in der Regierung, das ist schon einer zu viel, blafft Joe McCarthy in die TV-Kameras. - 1950er-Jahre. Angst vor dem Kommunismus bildet den Nährboden für den "McCarthyismus", der seitdem als Synonym steht für politische Verfolgung, Denunziation, Angsthysterie und Ausgrenzung Andersdenkender. Lutz Hachmeister, Historiker, Filmemacher, jahrelang Leiter des Grimme-Instituts, porträtiert Joe McCarthy im Dokudrama "The Real American" als skrupellosen Karrieristen. Hachmeister montiert dabei Zeitzeugeninterviews, Archivmaterial und nachgestellte Szenen auf brillante Weise. McCarthys Hatz auf die angeblich "Fünfte Kolonne Moskaus" mitten in den USA scheiterte schließlich am Widerstand aus Regierungsapparat, Armee und kritischen Medien. 1957 hatte der Senator sich buchstäblich zu Tode getrunken. Doch seine Bedeutung für die politische Kultur in den USA ist auch heute nicht erledigt. Mit ähnlichen Argumenten nämlich wie McCarthy nehmen in diesen Tagen rechtskonservative Politiker - Stichwort: "Tea Party" - Linke, Liberale oder Islamisten als Angst- und Hassgegner ins Visier. Der Schoß ist also fruchtbar noch, aus dem einer wie McCarthy kroch: Das macht Hachmeisters Dokudrama allzu deutlich. "The Real American - Joe McCarthy" von Lutz Hachmeister - empfehlenswert.

    "Mensch, wag doch einfach mal wieder was."

    Charlotte, erfolgreiche Spielfilm-Regisseurin ist unzufrieden.

    "Ich brauche jetzt mal wieder eine kreative Herausforderung."

    Und das wäre eine Dokumentation! Doch die Suche nach einer Hartz-IV-Empfängerin ("Mit Kindern, ohne Kinder? Alleinerziehend?") erweist sich als tückischer, als Charlotte erwartete. Denn Gloria als prekäre, "total authentische" Protagonistin der Doku ...

    "Elf Uhr, der Tag dehnt sich ja ganz schön."

    ... nun ja, die glamouröse Regisseurin Charlotte hat nicht den blassesten Schimmer, dass hier eine die erfolglose Schauspielerin "Das traurige Leben der Gloria S." vorspielt. Spielt! - "Das traurige Leben der Gloria S." ist auch der Titel des Films von Ute Schall und Christine Groß. Eine bissige Satire über den löchrigen Begriff der Authentizität im Dokumentarischen, das uns Kino wie TV zuhauf präsentiert. Kameramann C. P. jedenfalls hat bei Gloria auch noch was in petto.

    "Also, ich finde, wir sollten noch viel mehr mit Actionkameras arbeiten."

    Dann merkt man nicht, dass eigentlich nichts passiert. - Schön zu sehen, wie Ute Schall und Christine Groß die dokumentarischen Dreharbeiten in eine irrwitzige Spirale der Absurdität hineintreiben. Am Ende jedenfalls ist die Doku mit dem gesamten Ensemble von Glorias Off-Theatergruppe bestückt.

    "Das traurige Leben der Gloria S." von Ute Schall und Christine Groß - empfehlenswert.

    Die Bedeutung des englischen Begriffes ist Auslegungssache. Entweder nämlich meint "Whistleblower" jemanden, der jemanden "verpfeift". Oder "Whistleblower" meint jemanden, der illegale Missstände aufdeckt. Die Bedeutung ergibt sich aus dem eigenen Motiv, hängt ab von dem Interesse, das man selbst verfolgt. Bei ihrem Einsatz für eine private Sicherheitsfirma im Auftrag der UN im Nachkriegs-Sarajevo gerät die US-Polizistin Kathryn - grandios gespielt von Rachel Weisz - in ein Netz aus illegalem Mädchenhandel und Gewalt.

    "Wir müssen vorsichtig sein. Manchmal beobachten sie."

    "Wer beobachtet?"

    "Verbrecher."

    "Verbrecher?"

    "Ja, Menschenhändler."

    Kathryn stolpert durch eine verwirrende wie bedrohliche Realität, in der UN-Mitarbeiter tief verstrickt sind.

    "Und fast jeder Typ ist einer von uns."

    So wird diese Kathryn in Larysa Kondrackis Spielfilmdebüt zum klassischen "Whistleblower", zur Verräterin in den eigenen Reihen, sagen die aus diesen eigenen Reihen, die Dreck am Stecken haben. In Wirklichkeit aber deckt Kathryn ein brutales System von moderner Sklaverei auf. - Überzeugend verbindet Larysa Kondracki in ihrem Film "Whistleblower" Thriller-Elemente mit Zeitgeschichte. Denn Kathryns Geschichte basiert auf den Erlebnissen der Angestellten einer Sicherheitsfirma im Nachkriegsbosnien.

    "Sie können reden, mit wem Sie wollen, keiner wird zuhören. Sie sind erledigt."

    Rachel Weisz, Vanessa Redgrave, David Strathairn und Monica Belucci spielen in diesem großartigen Thriller, der seine Qualität darin beweist, dass er das Thema nicht der Action oder einem verlogenen Happy End opfert, aber fähig ist, kontinuierlich eine bedrückende Spannung aufzubauen. Im Abspann von "Whistleblower" lesen wir: Annähernd 2,5 Millionen Menschen sind Opfer von Menschenhandel.

    "Whistleblower - In gefährlicher Mission" von Larysa Kondracki - bei uns jetzt als DVD-Premiere erschienen - herausragend.