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"Komorowski ist ein Mann des Ausgleichs"

Kai-Olaf Lang begrüßt die Wahl von Komorowski zum polnischen Präsidenten. Der Liberal-Konservative werde innenpolitisch die Reformagenda der Regierung Tusk unterstützen und außen- und europapolitisch einen konstruktiven Kurs fahren.

Kai-Olaf Lang im Gespräch mit Stefan Heinlein | 05.07.2010
    Stefan Heinlein: Er ernennt den Ministerpräsidenten und den Ministerrat, er ratifiziert Verträge, hat ein Vetorecht bei allen Gesetzen und Mitsprachemöglichkeiten in der Außen- und Sicherheitspolitik. Ein polnischer Präsident hat deutlich mehr Kompetenzen als der deutsche Bundespräsident. Kaczynski oder Komorowski, die Direktwahl des neuen polnischen Präsidenten an diesem Wochenende wurde deshalb auch von den europäischen Nachbarn mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Am Ende eine knappe Entscheidung für den liberal-konservativen Kandidaten Komorowski. Über den neuen polnischen Präsidenten möchte ich jetzt sprechen mit dem Polen-Experten der Stiftung Wissenschaft und Politik, Kai-Olaf Lang. Guten Tag, Herr Lang.

    Kai-Olaf Lang: Hallo!

    Heinlein: Bronislaw Komorowski, ist das eine gute Wahl für Polen und Europa?

    Lang: Ich denke schon. Komorowski ist ein Mann des Ausgleichs. Er ist etwas blass, aber solide. Er ist nicht charismatisch, aber er ist integer. Er ist innenpolitisch jemand, der die Reformagenda der Regierung Tusk nicht obstruieren wird, sondern flankieren wird, und er ist außen- und europapolitisch jemand, der einen konstruktiven und flexiblen Kurs seines Landes unterstützt. Aber er wird natürlich auch für eine konsequente Wahrung polnischer Interessen eintreten.

    Heinlein: Mit dieser Einschätzung, Herr Lang, gehen Sie ja konform mit dem deutschen Außenminister Westerwelle. Wir haben es in dem Beitrag gerade eben gehört. Er hat die Wahl Komorowskis als ein starkes, proeuropäisches Signal begrüßt. Warum sind denn diese Vorschusslorbeeren tatsächlich berechtigt?

    Lang: Na ja, wir hatten in Polen seit dem Regierungswechsel von 2007, als Jaroslaw Kaczynski als Premierminister abgewählt wurde und Donald Tusk mit einer europafreundlichen Regierung an die Macht kam, ein Polen, das wieder europapolitisch aktiver wurde, das sozusagen in die EU zurückkehrte und das von einem Kurs, der Widerborstigkeit zu einer Art Gestaltungsfaktor wurde. Ich denke, Komorowski wird das in Zukunft unterstützen, aber noch mal: Das soll uns alles nicht darüber hinwegtäuschen. Tusk, der Premierminister, und auch Komorowski als Staatspräsident werden in wichtigen Themenbereichen - Energiepolitik, Ostpolitik, das Verhältnis zu Russland - sehr konsequent polnische Interessen verfolgen und sie wollen Akzente setzen, etwa wenn das Land in der zweiten Hälfte 2011 die EU-Ratspräsidentschaft inne haben wird.

    Heinlein: Welche Akzente könnten das sein, gerade mit Blick auf Russland?

    Lang: Ich denke, man wird gegenüber Russland den Kurs einer neuen Sachlichkeit fortführen. Das ist etwas, was Jaroslaw Kaczynski sicherlich nicht mitgetragen hätte. Tusk möchte die Aussöhnung mit Russland und er möchte, dass damit Polen bei seinen anderen ostpolitischen Interessen die Unterstützung wichtiger Partner wie Deutschland erhält. Polen hat traditionell die Beziehungen, die Kooperation mit Ländern wie der Ukraine, Belarus, dem südlichen Kaukasus, sozusagen der direkten Nachbarschaft der erweiterten EU, in den Vordergrund gestellt, und nun will man das komplettieren durch eine konstruktive Politik gegenüber Russland.

    Heinlein: Wie wichtig, Herr Lang, in diesem Zusammenhang ist es denn, dass der Ministerpräsident jetzt die Unterstützung bei diesem Kurs durch den Präsidenten hat? Wird das Regieren für Donald Tusk jetzt künftig einfacher?

    Lang: Ja. Der polnische Staatspräsident hat natürlich beachtliche Kompetenzen. Innenpolitisch hat er die Möglichkeit, durch ein Veto wichtige Gesetzesvorhaben zumindest hinauszuzögern. Die müssen dann mit einer Dreifünftelmehrheit überstimmt werden. Diese Form der Blockade wird es vermutlich in Zukunft nicht mehr geben, und auch außen- und europapolitisch gab es in der Vergangenheit immer wieder Kompetenzgerangel, wer macht eigentlich die Außen- und die Sicherheitspolitik, wer fährt zu Gipfeln, wer setzt die Akzente. Das wird vermutlich nicht mehr so geschehen wie zwischen Tusk und Lech Kaczynski, wir werden hier eine harmonische und kohärente Außen- und Europapolitik Polens beobachten.

    Heinlein: Sie haben in Ihren Antworten stark den Akzent auf Russland und das künftig polnisch-russische Verhältnis gelegt. Wie steht es denn um das deutsch-polnische Verhältnis in den kommenden Jahren unter den jetzt geänderten Vorzeichen?

    Lang: Ich denke, Komorowski repräsentiert wie auch die Regierung Tusk eine Politik der Offenheit, der pragmatischen Zusammenarbeit mit Deutschland. Das heißt nicht, dass alle strittigen Fragen zwischen beiden Ländern sich plötzlich in Wohlgefallen auflösen. Auch die Leute um Komorowski und Tusk haben sehr kritisch die Diskussion in Deutschland um Flucht und Vertreibung beobachtet, stellen Forderungen, was den Status der Polonia, der polnischen Gruppierung in Deutschland angeht. Aber man sieht Deutschland als einen Schlüsselpartner in der Europäischen Union und ich denke, mit der Konstellation Tusk-Komorowski auf der polnischen Seite haben wir gute Chancen, dass wir, wenn sich 2011 der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag zum 20. Mal jährt, eine würdige und konstruktive und proeuropäische Definition der deutsch-polnischen Beziehungen bekommen werden.

    Heinlein: Können Sie sich denn vorstellen, dass der neue polnische Präsident die deutsche Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach ganz praktisch in Polen empfängt und ihr auch die Hand schüttelt?

    Lang: Ich habe so meine Zweifel, ob er sie empfangen wird, denn er möchte Frau Steinbach sicherlich nicht politisch aufwerten, und wie gesagt: auch die Bürgerplattform, die Partei, aus der Komorowski kommt, hat doch mit gehöriger Skepsis die Diskussion um ein Vertriebenenzentrum und um ein sichtbares Zeichen verfolgt. Und man darf eines nicht vergessen: In Polen werden 2011 Parlamentswahlen stattfinden und wenn sich der Staatspräsident, wenn sich das Regierungslager zu stark öffnet in Richtung Deutschland, dann ist das immer wieder Wasser auf die Mühlen von Jaroslaw Kaczynski, der – das dürfen wir nicht vergessen – ein sehr gutes Resultat eingefahren hat.

    Heinlein: Wir haben jetzt, Herr Lang, über die außenpolitischen Implikationen dieser Wahl geredet. Blicken wir noch einmal auf diese Wahl selbst. Es sind ja nur knapp 56 Prozent der Polen zur Urne gegangen. War es den Polen letztendlich egal, wer künftig Präsident wird?

    Lang: Nein. Das ist für polnische Verhältnisse gar kein besonders schlechtes Resultat. Man war eher davon ausgegangen, dass gerade in der zweiten Runde, in der Stichwahl die Wahlbeteiligung noch weiter nach unten rutschen könnte, weil viele Menschen schon im Urlaub sind, und gerade das Komorowski-Lager hatte Befürchtungen, dass ihre Anhänger sozusagen schon in den Ferien sind, was Kaczynski zugute gekommen wäre. Also insofern für polnische Verhältnisse gar keine so schlechte Wahlbeteiligung.

    Heinlein: Heute Mittag im Deutschlandfunk Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ich danke ganz herzlich für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Lang: Auf Wiederhören.