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Kompositorisches Handwerk in Perfektion

Johannes Brahms hat unter der Genialität im sinfonischen Werk Beethovens gelitten. Die erste Serenade und die Haydn-Variationen von Brahms, die vor der Vollendung seiner ersten Sinfonie entstanden sind, wurden von den Bamberger Symphoniker neu eingespielt – unter der Leitung von Robin Ticciati.

Von Ludwig Rink | 11.12.2011
    Die Geschichte, wie lange Jahre Johannes Brahms um seine erste Sinfonie gerungen hat, wie sehr er unter der erdrückenden Genialität der Sinfonien seines Vorläufers Beethoven gelitten hat, wird eigentlich bei jeder Konzertaufführung des Werkes im Programmheft und bei jeder Schallplattenveröffentlichung aufs Neue immer wieder gern erzählt. Heute soll an dieser Stelle von zwei Werken die Rede sein, mit denen Brahms sein kompositorisches Handwerk im Orchesterbereich perfektionierte, bevor er dann doch, allerdings tatsächlich erst als 43-Jähriger, mit der ersten Sinfonie an die Öffentlichkeit trat: Es sind die Serenade Nr. 1 D-Dur, opus 11 und die "Variationen für Orchester über ein Thema von Joseph Haydn". Beide Werke haben die Bamberger Symphoniker jetzt im Rahmen einer Koproduktion von BR Klassik und dem Schweizer Label Tudor herausgebracht.

    "1) Johannes Brahms
    aus: Serenade Nr. 1 D-Dur, op. 11
    2. Scherzo
    Track 15
    Bamberger Symphoniker, Leitung: Robin Ticciati
    Tudor (LC 02365 ) 7183"

    Die Reaktion des Publikums auf die Uraufführung dieser Brahms-Serenade Anfang März 1860 in Hannover war ziemlich kühl. Ein Grund hierfür lag sicher in den ungewöhnlichen Proportionen des sechsteiligen Werkes: Die ersten drei Sätze sind jeder für sich ziemlich lang und könnten zusammen von der Anlage her bereits als eine Art Sinfonie durchgehen. Das Serenadenhafte bieten dann erst die drei letzten kürzeren Sätze: unterhaltsame Musik voller Spielfreude, satzweise jeweils klar und eindeutig auf einen Charakter festgelegt, formal als Aneinanderreihung konzipiert. Diese Kombination von auf Entwicklung angelegter Sinfonik mit angehängten munteren kurzen Einzelstücken wirkte in dieser Zusammenstellung auf die ersten Hörer zumindest damals etwas unschlüssig.

    Deutlich größeren Erfolg hatte Brahms dagegen mit seinen Haydn-Variationen. Bei der Uraufführung im November 1873 unter seiner Leitung in Wien gefielen sie ungemein, und auch in Leipzig, wo man seinen Werken sonst eher reserviert gegenüberstand, schlug das Werk im Februar 1874 regelrecht ein. Im Londoner Crystallpalast musste es der Dirigent sogar sofort als Ganzes wiederholen und es gleich auf das Programm des nächsten Konzertes setzen. Das den Variationen zugrunde liegende Thema stammt aus einer "Feldparthie", deren Noten Brahms im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde Wien gefunden hatte. Darin gab es einen "Chorale St. Antoni", der es Brahms besonders angetan hatte. Dachte man zunächst, bei der Feldparthie handele es sich um eine Komposition Joseph Haydns, so ist heute dessen Autorschaft an diesem Werk umstritten und jedenfalls weitgehend geklärt, dass der Choral darin von welchem Komponisten auch immer keine Erfindung, sondern allenfalls ein Fundstück ist: bereits vor Haydn verwendet bei volkstümlich-gläubigen Gelegenheiten.

    "2) Johannes Brahms
    aus: Variationen für Orchester über ein Thema von Joseph Haydn
    Thema: Chorale St. Antoni
    Track 1
    Bamberger Symphoniker, Leitung: Robin Ticciati
    Tudor (LC 02365 ) 7183"

    Bemerkenswert ist, mit welchem Respekt Brahms dieses Thema behandelt und wesentliche Elemente auch in den Variationen beibehält, dabei aber dennoch zu im Ausdruck völlig neuen, unterschiedlichen und höchst abwechslungsreichen Stücken gelangt. So kehren die eher ungewöhnlichen, etwas seltsamen Perioden mit zweimal fünf Takten zu Beginn auch in den Variationen wieder, so werden auch die Wiederholungen der Abschnitte beibehalten. Und Brahms bleibt immer in der Grundtonart, auch wenn er sie in einigen Variationen nicht in Dur, sondern in Moll verwendet. Diesen Grundton B exponiert er in der ersten Variation ganz besonders, denn dort erklingt er, wenn auch in verschiedenen Instrumenten, fast ununterbrochen.

    "3) Johannes Brahms
    aus: Variationen für Orchester über ein Thema von Joseph Haydn
    Variation I
    Track 2
    Bamberger Symphoniker, Leitung: Robin Ticciati
    Tudor (LC 02365 ) 7183"

    Obwohl das Formmodell des Themas erhalten bleibt, macht Brahms jede Variation über den "Chorale St. Antoni" zu einem eigenen, deutlich profilierten Charakterstück. Besonders deutlich zeigt dies der Kontrast zwischen vierter und fünfter Variation. Im Dreiachtel-Takt und in melancholischem Moll tragen Oboe und Horn unisono zunächst ihre getragene Melodie vor, von leisen Sechszehnteln begleitet, während in der anschließenden fünften Variation Takt, Tempo und Tongeschlecht wechseln und Flöte, Oboe und Fagott in leichten, ungebundenen Terzen geradezu lustig zu kichern beginnen.

    "4) Johannes Brahms
    aus: Variationen für Orchester über ein Thema von Joseph Haydn
    Variation 4 und 5
    Track 5 und 6
    Bamberger Symphoniker, Leitung: Robin Ticciati
    Tudor (LC 02365 ) 7183"

    Bei dieser neuen Brahms-CD der Bamberger Symphoniker steht erneut der noch nicht einmal 30 Jahre alte britische Dirigent Robin Ticciati am Pult. Für seine erste Brahms-CD mit diesem Bayerischen Staatsorchester erhielt er gute Kritiken und den ECHO-Klassik-Preis 2011 als bester Nachwuchsdirigent des Jahres. Schon in noch jüngeren Jahren hatte er als Dirigent an der Mailänder Scala und bei den Salzburger Festspielen von sich reden gemacht, er ist Chedirigent des Scottish Chamber Orchestra und hier bei den Bambergern erster Gastdirigent; zu den Highlights der nächsten Zeit zählen Einladungen zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, zum Concertgebouw Orchester Amsterdam, nach Cleveland und Philadelphia. Ab 2014 soll er als Music Director das Glyndebourne Opernfestival betreuen. Die Musik von Brahms scheint ihm besonders zu liegen, er nähert sich ihr nicht als revolutionärer Feuerkopf, der alles umkrempeln will, sondern mit ruhiger Hand und auf der Tradition aufbauendem Sachverstand. Bei eher gemäßigten Tempi bleibt viel Raum zu sorgfältiger Ausgestaltung der Feinheiten, zur Modellierung von Linien und Klängen. Wobei man sagen muss, dass die Musik von Johannes Brahms bei den Bambergern mit ihrem satten Streicherklang und ihren besonders fein und vornehm gestaltenden Bläsern immer in besten Händen ist.

    "5) Johannes Brahms
    aus: Variationen für Orchester über ein Thema von Joseph Haydn
    Variation 6
    Track 7
    Bamberger Symphoniker, Leitung: Robin Ticciati
    Tudor (LC 02365 ) 7183"

    Im Finale der Haydn-Variationen erprobt Brahms eine alte Form, die man in der Barockzeit häufig findet, die Form der Passacaglia. Über dem fünftaktigen, immer wiederkehrenden Bass entwickelt er kunstvoll immer neue musikalische Gedanken, lässt den Basso ostinato schließlich in die Oberstimme wechseln, wobei die Umrisse des ursprünglichen Chorals nach und nach immer deutlicher hervortreten. Diese Passacaglia erscheint in der Rückschau wie eine Art Generalprobe für seine 4. Sinfonie, die er zwölf Jahre später ebenfalls mit einem natürlich viel größer angelegten Finale nach diesem Formschema beendete.

    "6) Johannes Brahms
    aus: Variationen für Orchester über ein Thema von Joseph Haydn
    Finale
    Track 10
    Bamberger Symphoniker, Leitung: Robin Ticciati
    Tudor (LC 02365 ) 7183"

    Die Neue Platte – mit einer Produktion der Bamberger Symphoniker, die unter Leitung von Robin Ticciati die erste Serenade und die Haydn-Variationen von Johannes Brahms eingespielt haben.