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Kompromiss bei Familiennachzug
"Unfassbar schlecht verhandelt von der SPD"

Mit dem Kompromiss zwischen Union und SPD zum Familiennachzug werde der Anspruch für subsidiär Geschützte endgültig abgeschafft, sagte Migrationsanwältin Gisela Seidler im Dlf. Dabei habe die SPD die Regelung 2015 selber geschaffen und sich groß auf die Fahnen geschrieben.

Gisela Seidler im Gespräch mit Ute Meyer | 30.01.2018
    Flüchtlinge mit Koffern und Plastiktüten in Friedland, Niedersachsen.
    "Aus einem Rechtsanspruch wird ein reines Ermessen gemacht", kritisiert Migrations-Fachanwältin Gisela Seidler die Neuregelung zum Familiennachzug. Eine Deckelung auf 1000 Personen im Monat sei "merkwürdig". (dpa)
    Ute Meyer: Über die Neuregelung des Familiennachzuges von subsidiär Schutzberechtigten möchte ich sprechen mit der Münchener Rechtsanwältin Gisela Seidler. Sie ist Fachanwältin für Migrationsrecht und Vorsitzende des Gesetzgebungsausschusses Ausländer- und Asylrecht im Deutschen Anwaltverein. Frau Seidler, eben im Beitrag war zu hören, wie unterschiedlich je nach politischer Couleur die heutige Einigung auf einen weiteren Familiennachzug bewertet wird. Was halten Sie von der Regelung?
    Gisela Seidler: Ich halte von dieser Regelung überhaupt gar nichts. Auch die Kollegen aus dem Ausschuss sind der Meinung, dass das unfassbar schlecht verhandelt worden ist von der SPD. Und wenn man jetzt diese verschiedenen Statements sich anschaut, was gesagt worden ist, dann würde ich leider sagen, da hat der CSU-Landesgruppenchef noch am ehesten recht, wenn er sagt, mit der Neuregelung wird der Anspruch für subsidiär Geschützte endgültig abgeschafft. Das ist leider so. Das steht auch ausdrücklich im Gesetz drin.
    Regelung wäre ausgelaufen, Nachzug wieder möglich gewesen
    Meyer: Nun hat die SPD-Politikerin Eva Högl im Deutschlandfunk ein Interview gegeben, und bei der klang das ganz anders. Da klang es so: Im Moment gibt es gar nichts und die SPD hat dafür gesorgt, dass es überhaupt wieder einen Familiennachzug gibt.
    Seidler: Die jetzige Regelung ist ja mit der SPD beschlossen worden und die war befristet bis 18. März. Das heißt, wenn diese Regelung ausgelaufen wäre, dann wäre der alte Anspruch wieder da gewesen, den die SPD im Jahr 2015 ja selber mit geschaffen und sich groß auf die Fahnen geschrieben hat. Und die SPD hat damals beim Kompromiss auch gesagt, es sei ihnen ganz besonders wichtig, dass es nur auf zwei Jahre ausgesetzt wird und danach wieder alles ganz normal weiterlaufen kann. Es wäre jetzt einfach ausgelaufen und dann wäre der Nachzug wieder möglich gewesen, wenn dieser Kompromiss jetzt nicht das Ganze verlängert hätte.
    "Aus Rechtsanspruch wird reines Ermessen gemacht"
    Meyer: Das heißt, aus Ihrer Sicht wird eine Selbstverständlichkeit als Erfolg jetzt verkauft?
    Seidler: Ja! Und vor allem: Es ist eine unglaubliche Verschlechterung, weil es wird aus einem Rechtsanspruch ein reines Ermessen gemacht. Es kann aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Wir haben auch noch diese merkwürdige Deckelung auf tausend Personen im Monat. Man weiß überhaupt nicht, wie das ausgewählt werden soll. Ist das ein Lotterieverfahren wie bei der Greencard-Lotterie in den USA? Geht es nach Zeiten, wann man einen Antrag gestellt hat? Geht es danach, wann die Referenzperson in Deutschland angekommen ist und wie lange die schon wartet? Das ist jetzt völlig ungeklärt und dieser Gesetzentwurf, der taugt gar nichts. Da ist ja der von der FDP noch besser.
    Klage "nur bei grober falscher Entscheidung"
    Meyer: Lassen Sie uns mal ein bisschen Punkt für Punkt abhaken. Was Sie zuerst gesagt haben, aus einem Rechtsanspruch wird eine freiwillige Leistung der Bundesrepublik. Welche juristischen Folgen für die betroffenen Menschen hat das dann?
    Seidler: Es hat erst mal die Folgen, dass es nicht einklagbar ist, das Recht auf Familiennachzug. Es gibt keine Möglichkeit. Nur wenn das eine grob falsche Entscheidung ist, wenn ein kompletter Ermessensausfall stattgefunden hat, dann kann geklagt werden auf richtige Ermessensentscheidung. Es ist nur noch eine reine Ermessensregelung.
    Dann gibt es die Einschränkung, dass es noch besondere humanitäre Gründe haben muss. Meiner Meinung nach ergibt sich immer aus dem Schutz der Ehe und Familie, dass humanitäre Gründe schon vorliegen, wenn die Familie im Heimatland nicht zusammenleben kann. Aber auch da hat man schon wieder eine Einschränkung. Das war im alten Gesetz nicht der Fall.
    Dann hat man noch diese Deckelung auf tausend und das ist mir völlig unklar, wie so was dann laufen soll.
    "Man hat ja hier gar keine Regelung"
    Meyer: Da sagt die SPD-Politikerin Högl, das wird auch noch weiterverhandelt, wie damit weiter umgegangen wird. Wie sollte man diese tausend Personen pro Monat auswählen?
    Seidler: Keine Ahnung! Das ist alles völliger Unsinn.
    Meyer: Gibt es da irgendetwas Sinnvolles, was Ihnen einfällt?
    Seidler: Na ja. Man könnte sagen, können Kinder kommen. Aber was ist mit den Eltern dann? Für mich ist diese ganze Regelung unsinnig. Ich glaube, es gibt auch kaum ein vergleichbares Gesetz. Eine Klage auf Studienplätze, wenn wir sagen, es gibt eine begrenzte Zahl von Studienplätzen, dann gibt es objektive Kriterien, die geregelt sind, dass man nach Noten entscheidet. Es ist ja nicht so, dass jetzt hier bestimmte Plätze verfügbar sind und man dann auswählt nach Qualifikation oder sonst was. Aber man hat ja hier gar keine Regelung.
    Es gibt ja auch ganz verschiedene Fälle. Man kann sagen, subsidiärer Schutz. Es wird immer gesagt, subsidiär Schutzberechtigte sind Bürgerkriegsflüchtlinge. Das ist so nicht der Fall. Wir haben viele Mandantinnen und Mandanten aus Somalia zum Beispiel. Die sind vor einer Verfolgung geflohen. Die haben schwere Schäden erlitten. Aber das hat mit Bürgerkrieg gar nichts zu tun. – Oder aus Afghanistan und anderen Ländern, das sind Folteropfer. Das hat alles nichts mit Bürgerkrieg zu tun und diese Menschen werden auch in Deutschland bleiben.
    "Gewinnt Assad, gehen viele Flüchtlinge nicht zurück"
    Meyer: Darauf wollte ich gleich noch mal zu sprechen kommen. Die CSU argumentiert ja, diese Bürgerkriegsflüchtlinge oder auch die Menschen aus Somalia, Menschen, die aus Krisengebieten geflohen sind, die sind nur auf Zeit hier, das sind keine Flüchtlinge gemäß Genfer Flüchtlingskonvention, sondern subsidiär Schutzberechtigte, wie es so sperrig heißt, und die gehen irgendwann zurück und deswegen braucht es auch keinen Familiennachzug. Ist da nicht was dran?
    Seidler: Na ja. Zum einen wissen wir, dass Bürgerkriegslagen extrem lange dauern können. Wir haben den Bürgerkrieg in Syrien seit 2011, das sind jetzt schon sieben Jahre. Und es ist jetzt nicht absehbar, dass das jetzt wirklich dann zu Ende ist. Vor allem, wenn die Frage ist, wenn hinterher Assad diesen Krieg gewinnt - und so sieht es ja aus -, dann werden viele der Flüchtlinge nicht zurückgehen, weil sich ja an den politischen Verhältnissen nichts ändert und man hat den Bürgerkrieg gegen eine Diktatur ersetzt - also, die Diktatur bestand schon vorher.
    Aber subsidiärer Schutz wird ja nicht nur wegen Bürgerkrieg gewährt, sondern auch dann, wenn einer Person unmenschliche und erniedrigende Behandlung droht, und das ist bei vielen Fällen so, zum Beispiel, wenn afghanische Flüchtlinge von den Taliban verfolgt worden sind. Die bekommen dann in vielen Fällen auch subsidiären Schutz und es sieht nicht so aus, als würde sich diese Lage irgendwo in der Perspektive mal ändern, dass die Macht der Taliban gebrochen wird in Afghanistan. Also wir haben sehr verschiedene Fallkonstellationen. Es geht nicht nur um Bürgerkriegsflüchtlinge.
    §22: Keine Regelung, die Nachzug ermöglichen kann
    Meyer: Kommen wir noch mal zu diesem Gesetzentwurf zurück, auf den sich heute geeinigt wurde. Zusätzlich zu diesem Tausend-Personen-Kontingent soll es ja noch eine Härtefallregelung geben, und auch da sind die Deutungen unterschiedlich. SPD-Frau Högl wünscht sich da eine großzügigere Regelung und CSU-Mann Dobrindt hat schon gleich gesagt, nein, nein, die wird ganz restriktiv weiterhin ausgelegt. – Diese Härtefallregelung, kann man da noch etwas tun?
    Seidler: Es steht im Gesetz drin, Paragraf 22 und 23 Aufenthaltsgesetz bleiben unberührt. Das ist eine Selbstverständlichkeit, dass man nicht irgendwie andere Gesetze auch noch mit ändert. Der Paragraf 22 Aufenthaltsgesetz ist eine Regelung, die in absoluten Ausnahmesituationen eine Einreise ermöglicht. Da geht es eigentlich gar nicht um Familiennachzug, sondern es geht um die Aufnahme von Flüchtlingen. Zum Beispiel die afghanischen Dolmetscher für die deutsche Armee sind über diese Regelung gekommen. Das ist eigentlich gar keine Familiennachzugsregelung. Die Rechtsprechung sagt, es werden einzelne Ausländer aufgenommen, die sich in einer lebensgefährlichen Situation befinden oder in einer schicksalhaften Notlage. Es ist eine absolute Ausnahmeregelung und deswegen ist die Zahl der Personen, die in den letzten zwei Jahren über diese Regelung gekommen sind, ja ungefähr bei 70 bis 100 Personen. Das ist keine Regelung, die hier wirklich einen Nachzug ermöglichen kann.
    "Auch bei gesichertem Lebensunterhalt komplettes Verbot"
    Meyer: Abschließend: Wenn Sie jetzt die Chance hätten, noch mal den Gesetzestext umzuschreiben, welchen Akzent würden Sie für den wichtigsten halten?
    Seidler: Ich würde zum einen diese Deckelung rausnehmen mit den tausend Personen. Ich würde eine Ausnahmeregelung machen für den Fall, dass die hier lebenden Familienangehörigen schon integriert sind. Wenn ihr Lebensunterhalt schon gesichert ist, dann gibt es keinen Grund, den Familiennachzug weiter auszusetzen. Wir haben jetzt ein Missverhältnis, dass Personen, die jetzt vielleicht auch nur einen temporären Aufenthalt haben, weil sie als Studenten gekommen sind oder so, die können ja ihre Familienangehörigen ohne Probleme holen, wenn der Lebensunterhalt gesichert ist. Aber hier haben wir ja ein komplettes Verbot. Auch wenn die hier lebenden Familienmitglieder schon bestens integriert sind, ist es komplett ausgeschlossen, die Familien nachzuholen. Und wie gesagt: Insofern ist dieser Vorschlag, den die FDP gemacht hat, zumindest mit dieser Ausnahme hier eingeführt, dass bei Lebensunterhaltssicherung der Nachzug möglich ist, und dass die SPD nicht auf diese Idee gekommen ist, dass man so was einführt, das finde ich doch ausgesprochen merkwürdig, vor allem, weil ja die Gesetzentwürfe schon vorlagen. Nicht, dass ich das toll finde, was die FDP vorgeschlagen hat, aber zumindest diese Ausnahme liegt auf der Hand.
    Meyer: Das war die Münchener Rechtsanwältin Gisela Seidler, Fachanwältin für Migrationsrecht. Das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.