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Kompromiss mit kurzer Halbwertszeit

Der jahrelange Streit um das neue Erbschaftssteuergesetz scheint beendet. Der Bundesrat wird morgen vermutlich das bereits vom Bundestag verabschiedete Gesetz billigen. Ob die Regelung jedoch langfristig bestehen bleibt, ist fraglich: Schon jetzt kündigen Politiker von CSU und FDP eine Reform der Reform an - für den Fall einer schwarz-gelben Mehrheit nach der Bundestagswahl im September 2009.

Von Constanze Hacke | 04.12.2008
    Berlin, März 2005. In den Ring gestiegen sind auf der einen Seite Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer. Ihnen gegenüber in der anderen Ecke die Opposition: CDU-Chefin Merkel und der CSU-Vorsitzende Stoiber. Der eigentliche Gegner aber ist die schlechte Konjunktur in Deutschland. Daher finden sich die Politiker, die sonst eher gegeneinander antreten, im Arbeitszimmer des Kanzlers zum Job-Gipfel zusammen. Auch, um über Reformen und Steuersenkungen zu reden. Und über die Erbschaftsteuer. Der Mittelstand soll entlastet werden. Die langwierige Reform des Erbschaftsteuerrechts geht in die erste Runde.

    Bei den Landesregierungen werden Reformvorschläge eingesammelt. Denn die Einnahmen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer fließen den einzelnen Bundesländern zu. Im Mai 2005 gibt es den ersten Gesetzentwurf der rot-grünen Koalition zur Erbschaftsteuerreform. Ihm ist jedoch nur eine kurze Lebensdauer beschieden: K.O. durch Neuwahlen.

    Berlin, Oktober 2006. Deutschland wird von einer großen Koalition regiert. Union und SPD haben bereits in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, dass es spätestens zum 1. Januar 2007 eine Neuregelung der Erbschaftsteuer geben wird. Also muss auch ein neuer Gesetzentwurf her. Dieser trägt die "Erleichterung der Unternehmensnachfolge" bereits im Titel und sieht in erster Linie steuerliche Vergünstigungen für Betriebe vor. Diese Runde im Kampf um die Erbschaftsteuerreform scheint einfach zu werden. Der Ringrichter jedoch entscheidet anders.

    Karlsruhe, Januar 2007. Das Bundesverfassungsgericht verwirft die Bewertungsregeln des geltenden Erbschaftsteuerrechts. Die Richter machen in der unterschiedlichen Bewertung von Immobilien und anderem Vermögen einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes aus - und schicken die politischen Kontrahenten damit erneut in den Ring. Unerwartet kommt dies nicht: Schon 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht die Bewertungsmaßstäbe für Grundbesitz über Bord geworfen. Schon damals war der Gesetzgeber gezwungen, das Erbschaftsteuerrecht zu ändern. 2007 steht nun also das vor zehn Jahren entsprechend reformierte Recht wieder auf dem Prüfstand - und wird von den Karlsruher Richtern in ihrem Beschluss erneut angezählt:

    Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu treffen.

    Berlin, Frühjahr 2007. Bundeskanzlerin Merkel verteidigt den bestehenden Gesetzentwurf, der vom Kabinett bereits abgesegnet worden ist:

    "Eines ist schon heute vollkommen klar: Der Übergang innerhalb der Familiengenerationen wird für Familienbetriebe deutlich erleichtert."

    Nun aber kommen die Länder aus der Deckung. Sie haben zahlreiche Änderungswünsche und kündigen einen eigenen Entwurf an. Der Gesetzentwurf zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge wird nicht wie geplant an den Bundestag weitergeleitet. Stattdessen trifft sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Leitung von Hessens Ministerpräsident Roland Koch, CDU, und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, SPD; in dieser Runde will man in Ruhe an einem neuen Konzept feilen. In der großen Koalition aber wird es allmählich unruhig - und der SPD-Vorsitzende Beck sieht das Bündnis in Gefahr:

    "Wir erwarten Klarheit, dass eben die Erbschaftsteuerreform genauso kommt wie die Reform für die Unternehmen. Und wenn das erneut in Frage gestellt wird, ja, dann wäre wirklich die Basis zerstört für Vertrauen, das in einer Koalition notwendig ist."

    Berlin, Dezember 2007. Es gibt wieder einmal einen neuen Gesetzentwurf zur Reform des Erbschaftsteuerrechts. Dieses Mal basiert er auf einem Eckpunktepapier des Gespanns Koch/Steinbrück.

    "Die erste Hauptbotschaft lautet, dass für Ehegatten, Kinder, Enkelkinder durch die Anhebung der persönlichen Freibeträge es sehr viel leichter wird, Erbschaften weiterzugeben oder Ehegatten, Kinder und Enkelkinder zu beerben. Das bedeutet in der Tat, dass die alte Ansage, dass das viel zitierte 'Oma ihr Häuschen' steuerfrei sein soll für all diejenigen, die sich in der Kategorie von normalen Erbschaften bewegen, dass dies von der Erbschaftsteuer freigestellt ist, und zwar in sehr viel größeren Freibetragskategorien als bisher."

    Berlin, Februar 2008. Die Länder steigen erneut in den Ring. Sie lehnen vor allem die Bedingungen für die erbschaftsteuerlichen Vergünstigungen für Unternehmen ab und fordern Änderungen. Auch im Finanzausschuss des Bundestages wird deutliche Kritik laut. Eines wird klar: Die Verhandlungen über die Reform werden in eine neue Runde gehen müssen.

    München, Oktober 2008. In Bayern regiert ein neuer Ministerpräsident - und die FDP hat nun als Koalitionspartner auch ein Wörtchen mitzureden. Horst Seehofer gibt sich in Sachen Erbschaftsteuerreform kämpferisch:

    "Da wollen wir schon, dass noch Korrekturen angebracht werden in Berlin und da war ich deshalb schon bei der Kanzlerin. Wir sagen schlicht und einfach, wir wollen verhandeln, nachdrücklich verhandeln, dass sich einige Punkte ändern, insbesondere beim selbst genutzten Wohneigentum. Das soll steuerfrei bleiben nach unserer Auffassung und auch, wenn jemand einen Betrieb erbt und die Arbeitsplätze erhält."

    Berlin, November 2008. Es gibt einen neuen Gesetzentwurf zur Erbschaftsteuerreform. Im Kern enthält dieser höhere Freibeträge für Ehegatten und Kinder, steuerliche Vergünstigungen für Unternehmen und für selbst genutztes Wohneigentum. Die Bewertungsregeln werden geändert, die Steuersätze teilweise erhöht. Dieser Gesetzentwurf erreicht tatsächlich den Bundestag.

    "Mit "ja" haben gestimmt 386, mit "nein" haben gestimmt 168, Enthaltungen 3. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen."

    Morgen befasst sich der Bundesrat mit dem Gesetzentwurf; die Befürworter der Reform haben zwar nur eine hauchdünne Mehrheit. Verabschiedet jedoch auch der Bundesrat den Gesetzentwurf, werden Immobilien künftig nah an ihrem tatsächlichen Wert - wie Aktien oder anderes Kapitalvermögen - bewertet. Die Freibeträge für Ehepartner steigen auf eine halbe Million Euro, für Kinder auf 400.000 Euro. Für beide bleibt außerdem selbst genutztes Wohneigentum steuerfrei - so sie denn zehn Jahre nach dem Erbfall dort wohnen bleiben und die Wohnfläche zumindest bei erbenden Kindern 200 Quadratmeter nicht überschreitet.

    Diese günstigen Regelungen gelten aber nur für die engste Verwandtschaft, die erbrechtliche gerade Linie. Geschwister, Nichten und Neffen werden dagegen künftig genauso behandelt wie unverheiratete Partner und Fremde - und mit einem Steuersatz von 30 bis 50 Prozent belegt. Auch der Freibetrag von 20.000 Euro fällt im Vergleich mit der nahen Verwandtschaft gering aus. Eine Regelung, die nach Ansicht von Anton Steiner, Vorstandsmitglied des Deutschen Forums für Erbrecht e.V., nicht der Lebenswirklichkeit entspricht.

    "Es ist ja nicht mal modern, dieses Gesetz, dieser Reformansatz. Wir leben in einer Gesellschaft, in der mehr und mehr Menschen kinderlos sind. Aber auch die haben doch das Bedürfnis, weiterzugeben ihr Vermögen, ohne dass geradezu konfiskatorisch die Steuer eingreift - also an Geschwister oder meistens direkt an Neffen und Nichten. Da gibt es eben die Erbtante, den Erbonkel und die wollen nicht, dass alles wegbesteuert wird. Diese Leute zwingt man jetzt in Kopfstände wie beispielsweise die Erwachsenen-Adoption, das kann ja nicht Sinn der Sache sein."

    Unternehmer dagegen haben künftig die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Steuervergünstigungen. Die erste Option: Das ererbte Betriebsvermögen bleibt zu 85 Prozent steuerfrei, wenn das Unternehmen sieben Jahre gehalten wird. Außerdem darf die Summe der Löhne und Gehälter in dieser Zeit nicht unter 93 Prozent der Ausgangslohnsumme fallen. Die zweite Option: Die Erbschaftsteuer fällt ganz weg, wenn die Erben das Unternehmen zehn Jahre fortführen und die Summe der Löhne im Schnitt in vollem Umfang beibehalten wird. Ausnahmen von der Erbschaftsteuer gibt es nun viele. Erbrechtsexperten wie der Hannoveraner Steuerberater Reinhard Geck sehen dies kritisch.

    "Aus meiner Sicht haben wir kein ausgewogenes Erbschaftsteuerrecht, sondern das ist mehr klientel-bezogen formuliert. Eine Gruppe möchte die Unternehmen entlasten, die andere möchte die Familienheim-Eigentümer entlasten. Und es gibt leider keine Lobby derjenigen, die eigentlich nur über Kapitalvermögen verfügen - etwa in Form von Festgeldern et cetera. Und wenn es eine solche Lobby gäbe, hätten wir vielleicht auch als Ergebnis feststellen können, dass auch diese Gruppe maßgeblich entlastet wird. Man muss sich vielleicht von der Vorstellung lösen, dass in der derzeitigen Situation ein in sich stimmiges und vor allem nach allen Seiten gerechtes Erbschaftsteuerrecht haben werden."

    Aber war nicht genau das die Aufgabe, die sich die Reformer unter Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts gestellt hatten? Gerechtigkeit ist auch hier eine Frage des Blickwinkels: Steuerexperten und Wissenschaftler fordern niedrige Steuersätze - zugleich aber auch niedrige Freibeträge. Dadurch würde sich nicht nur die Zahl der Betroffenen vergrößern, sondern vor allem das Aufkommen auf eine größere Zahl von Schultern verteilt. So mancher Politiker sieht dagegen in der Erbschaftsbesteuerung eine Möglichkeit, soziale Gerechtigkeit herzustellen und Vermögen umzuverteilen. Lenkungspolitik, die nach Meinung des Münchner Erbrechtsanwalts Steiner an der falschen Stelle ansetzt:

    "Soziale Gerechtigkeit ist natürlich so ein politischer Tausendsassa, mit dem man letztlich alles begründen kann. Aber es ist ein sehr schwaches Argument. Denn Chancengleichheit, das muss doch wenn bei der Bildung ansetzen. Denn wenn man das wirklich konsequent machen würde, dann müsste man ja sagen, wir erheben eine Erbschaftsteuer von 100 Prozent, und nehmen den Erben alles weg, um das dann irgendwie wieder umzuverteilen. Das, glaube ich, kann niemand ernsthaft sagen. Der Beitrag zur Chancengleichheit ist, wie auch immer man die Erbschaftsteuer gestaltet, minimal."

    Die Bevölkerung - gleich ob potenzieller Erbe oder nicht - spricht sich aktuellen Umfragen zufolge mehrheitlich dafür aus, die Erbschaftsteuer ganz abzuschaffen.

    "Ich glaube, die Menschen sind auch nicht so dumm, dass man sagt, aus sozialen Gründen muss das unbedingt sein. Soziale Ausgewogenheit kann man auf vielen anderen Wegen auch herbeiführen, auch im Steuerrecht. Das ist sicherlich die Einkommensbesteuerung, auch die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen, ein wesentlich zielgenaueres Instrument als diese Erbschaftsteuer, die unter so vielerlei Gesichtspunkten schwierig ist und kein Wunder, dass sich auch andere Staaten an dieser harten Nuss die Zähne ausgebissen haben."

    Auch in Österreich hatte der Verfassungsgerichtshof über das Erbschaftsteuergesetz zu entscheiden. Und auch dort wurden die Bewertungsmaßstäbe für verfassungswidrig erklärt. In Österreich allerdings stritt die große Koalition ohne greifbares Ergebnis über die Erbschaftsteuer - mit dem Resultat, dass es sie nun gar nicht mehr gibt.

    Ein Trend? Das internationale Bild zeigt vor allem eines: Unentschlossenheit. Zwar gibt es in einigen osteuropäischen Ländern wie Estland, Lettland oder der Slowakei keine Erbschaftsteuer. Viele andere Staaten jedoch erheben die Steuer, lassen aber zahlreiche Ausnahmen oder Freibeträge zu.

    In der Schweiz können die einzelnen Kantone Erbschaftsteuer erheben. Nicht alle machen Gebrauch davon. Und in keinem wird vom überlebenden Ehegatten Erbschaftsteuer verlangt.

    Unter Silvio Berlusconi im Jahr 2001 abgeschafft, führte die Regierung unter Romano Prodi die Erbschaftsteuer im vergangenen Jahr wieder ein. Allerdings mit enorm hohen Freibeträgen für Ehegatten und Kinder - und mit niedrigen Steuersätzen für alle.

    Seit Jahren muss in Schweden niemand mehr Erbschaftsteuer zahlen. Selbst dem Staat tat die Abschaffung nicht sonderlich weh. Schließlich lagen die jährlichen Einnahmen bei noch nicht einmal 300 Millionen Euro. Grund waren zahlreiche Ausnahmeregelungen, die die Erbschaftsteuer noch während ihrer Existenz aushebelten.

    Die Vereinigten Staaten waren bis in die achtziger Jahre hinein in punkto Erbschaftsteuer ein Hochsteuerland. 2001 schnürte Präsident Bush ein Steuersenkungspaket, das auch die Erbschaftsteuer einschloss. Bis 2009 werden dadurch die Steuersätze schrittweise reduziert. Unter bestimmten individuellen Voraussetzungen wird die Steuer ab 2010 auf Bundesebene dann gar nicht mehr erhoben. Ein Gesetz mit Verfallsdatum: Denn sollte der Kongress das Gesetz nicht verlängern, gelten ab 2011 wieder die ursprünglichen Bestimmungen - mit den alten, hohen Steuersätzen.

    Die Erbschaftsteuer - auch international ein Flickenteppich. Trotzdem glaubt der Erbrechtsexperte Steiner, dass die Uhr gegen die Erbschaftsteuer läuft.

    "Die Tendenz, kann man schon sagen international, geht eher dahin, diese schwierige Steuer abzuschaffen. Schwierig auch für den Fiskus, weil eben die Erfassung der Bemessungsgrundlage so schwierig ist. Denn ich muss ja alles erst einmal in Geld bewerten. Wenn ich eine Lohnsteuer erhebe, habe ich sofort die Bemessungsgrundlage, das ist ja das, was auf dem Lohnzettel draufsteht. Aber ein Nachlass hat ja keine Preisschilder. Da ist eine Immobilie da, ein Unternehmen da, eine Unternehmensbeteiligung, ein Patentrecht - all das muss man sehr aufwändig bewerten. Und all diese Bewertungsprobleme spart man sich natürlich, wenn man die Steuer gleich ganz radikal abschafft."

    In Deutschland hingegen könnten erneut die Gerichte über Gestaltung und Fortbestand der Erbschaftsteuer entscheiden. Denn die neu getroffenen Regelungen und ihre Ausnahmevorschriften werden schon jetzt von Verfassungsrechtlern kritisch begutachtet. Nicht nur ein komplizierteres Steuerrecht, sondern auch spürbar mehr Arbeit erwartet darüber hinaus die Steuergewerkschaft: Die Vertretung der Finanzverwaltung rechnete in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf vor, dass die langen Übergangsfristen für Unternehmen und die neuen Bewertungsregeln für Immobilien sowie Land- und Forstwirtschaft zu erheblichem personellem Mehrbedarf führen werden.

    Das Aufkommen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist dagegen bereits heute mit rund vier Milliarden Euro relativ gering. Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg profitieren auf den ersten Blick am meisten, denn sie haben den Löwenanteil des Aufkommens. Allerdings müssen sie einen Teil ihrer Einnahmen über den Länderfinanzausgleich wieder abgeben - und haben zugleich den enormen Verwaltungsaufwand zu stemmen. Der Hannoveraner Steuerberater Geck:

    "Ich habe hier mal mit jemand gesprochen aus dem Finanzministerium Niedersachsen, der mir erklärt hat, dass der Verwaltungskostenanteil am Steueraufkommen bei Erbschaftsteuer so bei 30, 40 Prozent liegt, was natürlich enorm ist. Das heißt, man darf eigentlich nicht nur von vier Milliarden Euro Einnahmen ausgehen, sondern muss eigentlich die Kosten abziehen mit der Folge, dass eigentlich nur zwei bis drei Milliarden Euro über bleiben. Und da kann man sich natürlich in der Tat zumindest steuerpolitisch fragen, ob die Erhebung dieser Steuer eigentlich noch gerechtfertigt ist."

    In Deutschland mag man bislang auf die Erbschaftsteuer trotzdem nicht verzichten - oder sie grundlegend systematisch verändern. Mögliche Gründe und Motive dafür nennt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem aktuellen Jahresgutachten - und spart zugleich nicht an kritischen Anmerkungen.

    "Man kann abschließend fragen, warum die Bundesregierung trotz anhaltender Kritik über so lange Zeit an einem derart verkorksten Reformvorhaben festhält. Darüber kann nur spekuliert werden. Vermutlich lassen sich die auf dem Job-Gipfel im März 2005 in schwierigen politischen Zeiten gemachten Versprechungen nicht mehr rückgängig machen. Das verzweifelte Festhalten an dieser "Reform" ist insofern als Zeichen politischer Schwäche zu interpretieren. Dass potenzielle Erblasser und Erben von Unternehmensvermögen eine geringere einer höheren Erbschaftsteuerbelastung vorziehen, ist nachvollziehbar. Nachvollziehbar ist auch, dass die potenziell Betroffenen die gewünschten Steuernachlässe nicht mit ihrer individuellen Bereicherung begründen, sondern vermeintliche Gemeinwohlgründe anführen. Ganz und gar nicht nachvollziehbar ist aber, warum die Bundesregierung sich diesen Argumenten anschließt und sich so in den Dienst von Partikularinteressen stellt."

    Dass dieses Thema noch nicht ausgestanden ist, darauf lassen etliche Hinweise schließen. Zum Beispiel mögliche verfassungsrechtliche Bedenken, die vermutlich schon bald die nächste Klagewelle auslösen werden. Der Steuerberater und Anwalt Reinhard Geck:

    "Dort wird auch die Auffassung vertreten, dass die sehr weitreichende Freistellung vom Betriebsvermögen, die ja bis zu 100 Prozent reichen kann, selbst unter Berücksichtigung der Behaltensfristen, nicht dem Artikel 3 des Grundgesetzes genügt. Und ganz neu in die Diskussion gekommen ist aufgrund der aktuellen Entwicklung auch die Frage, ob die weitgehende Freistellung des Familienwohnheims - insbesondere beim Erwerb durch Kinder - von der Verfassung gedeckt ist. Denn man muss sich ja auch darüber im Klaren sein, dass der Erwerber anderer Vermögensarten in keiner Weise diese Vergünstigungen erfährt, so dass es einer sachlichen Berechtigung bedarf, die durchaus zweifelhaft sein kann."

    Schon jetzt kündigen darüber hinaus Politiker von CSU und FDP eine Reform der Reform an - für den Fall einer schwarz-gelben Mehrheit nach der Bundestagswahl im September 2009. Ob es dann tatsächlich zu einem Systemwechsel kommen wird, die Erbschaften beispielsweise der Einkommensteuer unterworfen werden oder ein Erbschaftsteuerwettbewerb unter den Ländern eröffnet wird, bleibt fraglich.

    "Für wahrscheinlicher halte ich es eher, dass das Bundesverfassungsgericht die zukünftige Regelung wieder kassiert und die Politik dann irgendwann resigniert und das Thema dann endgültig von der Tagesordnung nimmt."

    So oder so: Die nächste Runde in Sachen Erbschaftsteuer ist bereits eingeläutet.