Freitag, 29. März 2024

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Kompromiss zur Grundrente
Butterwegge: "Altersarmut lässt sich so nicht bekämpfen"

Der Kölner Soziologe und Armutsforscher Christoph Butterwegge hat den Kompromiss zur Grundrente als reine Symbolpolitik und "Trippelschrittchen" kritisiert. Damit könnten Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet hätten, im Alter kein Leben in Würde führen, sagte Butterwegge im Dlf.

Christoph Butterwegge im Gespräch mit Dirk Müller | 11.11.2019
Der Soziologe und Armutsforscher Christoph Butterwegge
"Es ist ein Armutszeugnis für die Große Koalition", sagte Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge im Dlf (picture alliance/ dpa/ Frank May)
Dirk Müller: Der Kompromiss ist jetzt da, nach monatelangem Streit, Ringen und politischen Verbalattacken, ein Kompromiss bei der Grundrente, eine Mindestrente, eine Minimumrente für diejenigen, die ein Leben lang gearbeitet haben und dennoch mit ihrer Altersversorgung zum Teil jedenfalls unter der Sozialhilfe liegen. Es gibt künftig eine Einkommensprüfung dazu und dann wird anschließend entschieden. Bis zu eineinhalb Millionen Rentner sollen davon profitieren.
Der Kompromiss bei der Grundrente, wir haben die Details gerade gehört. Dazu nun unser Gespräch mit dem Kölner Armutsforscher Professor Christoph Butterwegge, der zuvor für die Linkspartei als Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl einmal angetreten war. Guten Morgen!
Christoph Butterwegge: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Butterwegge, wird Deutschland jetzt gerechter?
Butterwegge: Es ist ein Trippelschrittchen, mehr nicht, im Grunde reine Symbolpolitik. Man tut zwar etwas für alte Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben und trotzdem mit ihrer Rente im Bereich der Grundsicherung landen, stockt die etwas auf, aber das ist so minimal, dass man insgesamt sagen muss, Altersarmut lässt sich so nicht bekämpfen.
Grundsicherung um 80 Euro aufstocken
Müller: Das sind jetzt 1,5 Milliarden Euro aus der Kasse, wenn wir das richtig verstanden haben.
Butterwegge: Ja, für 1,5 Millionen Menschen. Das kann man sehr leicht ausrechnen. Das sind tausend Euro pro Jahr. Das bedeutet 80 Euro im Monat. Damit können Sie keine Altersarmut bekämpfen, sondern Sie können damit die Grundsicherung – die beträgt im Bundesdurchschnitt 808 Euro für diese alten Menschen, die in der Grundsicherung, der früheren Sozialhilfe landen -, die können Sie dann um 80 Euro aufstocken. Dann sind Sie bei 880 Euro. Aber damit sind Sie natürlich immer noch weitaus im Bereich der Altersarmut, die die Europäische Union ansetzt bei weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Das sind für einen Alleinstehenden in Deutschland 998 Euro. Das heißt, sie sind noch weit entfernt von der Zone, wo diese Menschen, die jahrzehntelang, 35 Jahre lang gearbeitet haben und Beiträge gezahlt haben, oder aber Angehörige gepflegt oder ihre Kinder erzogen haben, nach dieser jahrzehntelangen Arbeit praktisch immer noch ein Leben in Würde im Alter nicht führen können.
Die SPD-Politikerin und Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig
"Jeder Euro ist hier zu Recht ausgegeben"
Die Große Koalition hat sich auf einen Kompromiss zur Grundrente geeinigt. Damit sei gesichert, dass sie vor allem bei Menschen mit kleinen und mittleren Renten ankomme, sagte die SPD-Politikerin Manuela Schwesig im Dlf.
Müller: Herr Butterwegge, Sie haben die ganzen Zahlen und Statistiken im Kopf. Sie arbeiten nach wie vor auch ganz gezielt in diesem Bereich. Noch einmal zu den Zahlen. Sie sagen, 1,5 Milliarden. Das sind die Kosten, die die Bundesregierung investieren will. Das soll 1,5 Millionen zugutekommen. Jetzt noch mal meine Frage. Das habe ich nicht ganz richtig verstanden. Das heißt, selbst wenn das jetzt auf diesem Finanzniveau gemacht wird – das ist ja noch unklar, die Finanzierung -, dann würden trotzdem viele dieser Rentner, dieser Grundrentner, wenn wir die so bezeichnen wollen, nicht wesentlich über die Grundsicherung hinauskommen? Das heißt immer noch genauso viel wie Sozialhilfe?
Butterwegge: Wenn man das vergleicht jetzt mit dem ursprünglichen Konzept von Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil – der wollte drei bis vier Millionen Menschen, nicht wie jetzt geplant 1,2 bis 1,5 Millionen, sondern mehr als doppelt so viele besserstellen, insbesondere Frauen. Wenn jetzt der Partner noch eine höhere Rente hat und man zusammen bei 1950 Euro im Monat liegt, dann wird die Grundrente gar nicht gezahlt. Hubertus Heil wollte die Frauen, die es insbesondere betrifft, unabhängig vom Ehepartner besserstellen und er hatte sich vorgestellt in seinem Eckpunktepapier, das ich mir extra noch mal angeguckt habe, dass eine Friseurin, die 40 Jahre lang auf dem Niveau des Mindestlohns gearbeitet hat und dann eine Rente von 512,48 Euro bekommt, dass die 960,90 Euro bekommen würde. Das heißt, mehrere hundert Euro sollte die in Gestalt der Grundrente aufstockend hinzubekommen auf ihre normale Altersrente. Dies ist doch jetzt, was die Große Koalition beschlossen hat, nur ein Bruchteil dessen und führt natürlich nicht dazu, dass man wirksam Altersarmut bekämpft.
Müller: Herr Butterwegge, bitte noch mal ganz kurz eine andere Zahl. Wie viele Menschen sind denn nach dieser Definition bedürftig?
Butterwegge: Na ja. Hubertus Heil hat drei bis vier Millionen Menschen genannt. Man kann das nur ungefähr taksieren. Vor allen Dingen steigt diese Zahl natürlich dann, wenn wir berücksichtigen, dass gerade in Ostdeutschland nach der Vereinigung viele Menschen arbeitslos und auch langzeitarbeitslos geworden sind. Dadurch sinkt natürlich die Zahl derjenigen, die mit ihrer Rente im Alter auskommen.
Die Blockierer in der Union
Müller: Aber das kommt hin, drei bis vier Millionen? Das kann ja auch eine Verhandlungsposition gewesen sein, um erst mal einen kräftigen Aufschlag zu machen. So haben das viele jedenfalls verstanden bei Hubertus Heil.
Butterwegge: Ja, das scheint mir das Grundproblem zu sein, dass die Blockierer in der Union, wenn es darum geht, arme Menschen besserzustellen, sofort sagen, das kostet zu viel Geld und dieses Geld haben wir nicht. Wenn man sieht, dass der Rüstungshaushalt mal eben um fünf Milliarden erhöht wird, wenn man sieht, dass Prämien bei den E-Autos auch für Nobelkarossen gezahlt werden, ohne Einkommens- oder Bedürftigkeitsprüfung für diejenigen, die sich so ein Auto kaufen, dann sieht man auch bei den Nebenabreden, die die Große Koalition jetzt besprochen hat, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zu senken, ist natürlich ein Geschenk für die Arbeitgeber, aber macht die Bundesagentur für Arbeit nicht gerade fit, eine Großoffensive im Bereich der beruflichen Weiterbildung zu starten, um Digitalisierung und andere Prozesse abzufedern.
Müller: Jetzt haben wir gelesen in diesem Papier: Das Ziel, die Zielsetzung, zehn Prozent mehr soll das nachher ergeben bei der Rente als die Hartz-IV-Sätze, die Sozialhilfesätze.
Butterwegge: Ja! Statt 800 Euro im Bundesdurchschnitt sollen zehn Prozent, also gut 80 Euro hinzugetan werden.
Müller: Obwohl die einen vielleicht ein Leben lang gearbeitet haben – darum geht es ja -, mindestens 35 Jahre, das ist die Voraussetzung, andere wiederum vielleicht nur ein paar Jahre. Ist das sozialpolitisch gerecht?
Butterwegge: Na ja. Diejenigen, die nur ein paar Jahre gearbeitet haben, werden von der Grundrente nicht erfasst. Die sollten auch nicht erfasst werden im Konzept von Hubertus Heil.
"Ein Armutszeugnis für diese Große Koalition"
Müller: Aber wieviel bekommen die im Monat?
Butterwegge: Aber er hatte schon vorgesehen und das ist jetzt auch beschlossen worden, eine Gleitzone einzurichten. Das heißt: Wer 34 Jahre und elf Monate Beiträge gezahlt hat, der wird etwas weniger, aber der wird von der Grundrente wahrscheinlich auch profitieren. Man kann es nicht gerecht machen für alle. Man wird immer Abbruchkanten haben, die darauf hinweisen, wenn man diese Frist nicht erreicht, die da gesetzt worden ist, dann kommt man auch nicht in den Genuss dieser neuen Leistung. Aber das scheint mir nicht das Problem zu sein, sondern das ist ein grundsätzliches Problem, das Sie im Sozialstaat immer haben. Das Problem dieses Kompromisses ist, dass man zwar für einen Investitionsfonds bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau für Zukunftstechnologien zehn Milliarden Euro locker machen kann, aber über 1,5 Milliarden bei den alten Menschen nicht hinausgehen will. Das ist das eigentliche Problem und, ich finde, auch ein Armutszeugnis für diese Große Koalition, dass sie nämlich Altersarmut damit, mit dieser Form der Grund- oder Respektrente nicht wirksam bekämpft.
Müller: Reden wir, Herr Butterwegge, noch einmal um die Feststellung des Ganzen beziehungsweise um die Prüfung. Bedürftigkeitsprüfung – das war das Streitwort, das Reizwort in den vergangenen Monaten. Jetzt gibt es eine Einkommensprüfung. Ist das ein guter Kompromiss im Sinne der Beteiligten?
Butterwegge: Das ist zumindest ein Schritt voran, weil eine Bedürftigkeitsprüfung gibt es bei Sozialleistungen, zum Beispiel bei Hartz IV. Für Menschen, die zwar den Anspruch haben auf staatliche Unterstützung, aber selbst nichts in der Form geleistet haben, wie das aber bei diesen Grundrentnerinnen und Grundrentnern der Fall ist. Die haben nämlich 35 Jahre lang Beiträge gezahlt beziehungsweise Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt. Dafür müssen sie einen Lohn für Lebensleistungen bekommen. Das ist etwas anderes, als eine Sozialleistung, ein Almosen des Staates zu bekommen. Deswegen war ich grundsätzlich der Meinung, dass eine Bedürftigkeitsprüfung nicht in die gesetzliche Rentenversicherung gehört und auch nicht in die Grundrente.
Müller: Warum ist das egal, wieviel der Hausstand zum Beispiel beträgt, wenn wir jetzt von Ehepaaren, Ehepartnern wie auch immer sprechen? Warum ist das für Sie unwichtig, wenn dort vielleicht ein gutes Einkommen herrscht, dass der Staat jetzt noch sagen muss, aber die eine Hälfte – meistens sind es ja die Frauen, die da die Nachteile hatten – verdient so wenig, dass sie unter der Grundsicherung liegen, der andere aber so viel verdient, dass sie trotzdem ein gutes Auskommen haben? Warum muss der Staat da nachhelfen?
Butterwegge: Ja, es ist ein überholtes Familienmodell, wenn man einer Frau, die 35 Jahre lang als Friseurin oder als Putzkraft gearbeitet hat und sich den Buckel krumm gemacht hat, dass man der dann sagt, aber weil Dein Partner 1300 Euro Rente bekommt, deshalb bekommst Du diese Grundrente nicht. Die soll ja einen Lohn für ihre Lebensleistung sein und ich finde, da hat auch eine Einkommensprüfung nichts zu suchen.
Konstruktionen, um Leistungen nicht zu zahlen
Müller: Es spielt dann keine Rolle, was der Partner verdient?
Butterwegge: Meiner Meinung nach nicht. Dann ist natürlich sofort die Zahnarztgattin und die Lottogewinnerin ins Spiel gebracht worden.
Müller: Kommt immer wieder.
Butterwegge: Ja! Das sind natürlich so Klischees, aber die gibt es ja so gut wie nicht, diese Lottogewinner und auch nicht eine Frau, die 35 Jahre lang zu einem niedrigen Lohn gearbeitet hat und fünf Häuser besitzt. Die gibt es eben nicht. Aber es wird konstruiert, um damit im Grunde Leistungen nicht zahlen zu müssen an Menschen, die es dringend brauchen.
Müller: Es gibt einen Freibetrag, um das Ganze auch noch ein bisschen zu entschärfen.
Butterwegge: Das sind 1250 Euro im Monat. Das heißt, wer andere Einkommen hat in dieser Höhe, der wird von der Grundrente nicht profitieren.
Freibetrag ist akzeptabel
Müller: Ist das okay?
Butterwegge: Ja. So ein Freibetrag ist in diesem Konzept akzeptabel. Natürlich ist auch die Einkommensprüfung, die dann das Finanzamt macht, besser als eine Bedürftigkeitsprüfung, wo das gesamte Lebensumfeld erforscht wird mit Fragebögen, um zu sehen, ob jemand über Vermögen verfügt. Das ist sicherlich besser, aber es widerspricht dem Prinzip, dass unabhängig vom Einkommen und auch unabhängig vom Vermögen (erst recht des Partners) diese Grundrente etwas gewesen wäre, wo man gesagt hätte, wir akzeptieren und anerkennen die Lebensleistung von Menschen, die 35 Jahre Beitragsjahre haben.
Müller: Herr Butterwegge, wir müssen ein bisschen auf die Zeit schauen, noch eine knappe Minute. Dennoch noch eine letzte Frage. Ich habe das auch Manuela Schwesig gefragt. Die Sozialdemokraten fordern zwölf Euro Mindestlohn, werden das mit großer Wahrscheinlichkeit, wie sie sagte, politisch nicht durchsetzen können. Wenn wir zwölf Euro einmal nehmen würden an Mindestlohn für die Zukunft, würde das im Alter ausreichen, um eine vernünftige Rente zu bekommen?
Butterwegge: Die Bundesregierung hat auf eine Anfrage im Bundestag, wie hoch der Mindestlohn sein muss, damit man im Alter nach 45 Jahren zur Arbeit mit Mindestlohn nicht in die staatliche Grundsicherung gefällt, geantwortet: 12,68 Euro muss der Mindestlohn betragen. Das heißt, selbst eine Erhöhung des Mindestlohns von jetzt 9,19 Euro auf zwölf Euro würde dafür nicht ausreichen. Aber natürlich wäre es ein Schritt voran und ich finde, ein nötiger Schritt, um Altersarmut zu bekämpfen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.