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"Kompromisse habe ich nicht gern"

Helmut Jahn hat den Park Avenue Tower in New York gebaut, den Flughafen von Bangkok, das Sony-Center in Berlin oder den Messeturm in Frankfurt. Der deutsch-amerikanische Architekt ist einer der berühmtesten Hochhausplaner der Welt und findet: Die Menschen, die das Gebäude benutzen, sind wichtiger als die Ästhetik.

Im Gespräch mit Thomas Senne | 03.12.2012
    Thomas Senne: Ja, Herr Jahn, zu Beginn eine eher flapsige Frage: Sind Sie zufällig mit dem Turnvater Jahn verwandt?

    Helmut Jahn: Nee (lacht).

    Senne: "Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper" war ja das Motto von Turnvater Jahn: Gilt das im übertragenen Sinne auch für Baukörper? Je besser das Gebäude, desto wohler fühlen sich die darin lebenden Menschen?

    Jahn: Gute Frage. In einem Gebäude, vor allem in einem Wohngebäude, das angenehmer, komfortabler ist, da fühlt sich der Mensch auch wohler. In einem Flughafen, der ein interessantes Erlebnis bildet, wie man zu seinem Gate kommt, ist besser als einer, wo man seinen Weg suchen muss. Ein Stadion, das einen einfachen Zugang und Abgang erlaubt und das die richtigen Sichtverhältnisse hat und den richtigen Witterungsschutz hat, da geht man lieber hin. Gesunde Gebäude machen den Menschen das Leben in einem Gebäude angenehmer.

    Senne: Wie gehen Sie den überhaupt an ein Projekt heran? Besuchen Sie den Ort und machen dort ein paar Skizzen oder Fotos?

    Jahn: Das ist ganz unterschiedlich. Heutzutage, wo man in vielen Teilen der Welt arbeitet, da versucht man, soviel Information wie möglich zu bekommen. Ich hab es eigentlich immer lieber, vor allem wenn das Gebäude komplex oder groß ist - , dass man sich zuerst überlegt, was man machen kann und dann an Ort und Stelle dann die Entscheidung, in welcher Art und Weise und mit welchem Konzept man weiterarbeitet, wenn man das prüft durch die Verhältnisse. Aber wenn ich ein Gebäude im Mittleren Osten mehr oder minder in einer Umgebung bearbeite, die im Entstehen ist oder in China, da muss man ja damit rechnen, dass alles Alte, was da rum ist, früher oder später verschwindet. Das ist eine Entscheidung, die muss man mit dem Ort und mit der Art des Projektes machen.

    Senne: Spielen für Sie eigentlich Proportionen eine Rolle? Der Goldene Schnitt für Le Corbusier hat ja eine Rolle gespielt?

    Jahn: Nee. Proportionen spielen sicher eine Rolle. Aber die Proportionen sind oft von anderen Eigenschaften geprägt. Wenn wir Glas verwenden in gewissen Anwendungen, dann wollen wir das größte Stück Glas verwenden, das möglich ist, das baubar, das machbar ist. Das ist wichtiger als die Proportion. Wir wollen in einem Gebäude die Teile vermindern. Wir wollen so wenig Teile bauen. Dann ist das Gebäude einfacher. Dann ist es beständiger. Dann ist es leichter zu unterhalten und dann veraltet es auch nicht.

    Senne: Welchen Stellenwert haben für Sie Menschen, die in einem Gebäude leben und wohnen werden, bei Ihren Planungen?

    Jahn: Die Menschen sind am Ende die Leute, die das Gebäude benützen. Die sind wichtiger als die Ästhetik.

    Senne: Wie sieht es da mit Ihren Auftraggebern aus? Welche Zugeständnisse müssen Sie da machen? Sind das oft harte Kämpfe?

    Jahn: Die Auftraggeber sind so unterschiedlich und unbeständig wie das Wetter. Man kann das jetzt nicht verallgemeinern. Da gibt's Beziehungen, die sind sehr kooperativ. Und da gibt's Beziehungen, die sind manchmal sehr antagonistisch. Es ist die Aufgabe als Dienstleister, die man dann hat, dass man sich eben durchschlagen muss, um das bestmögliche, das optimale Resultat zu erzielen. Und das im Einvernehmen mit dem Bauherrn. Es ist in Bezug auf diese Frage ja klar, dass die besten Gebäude immer die sind, wo das Verständnis zwischen Architekt und auch Auftraggeber das engste war.

    Senne: Kann man sagen: Architektur ist immer auch eine Art Kompromiss?

    Jahn: Architektur ist immer: Das optimale Resultat zu erzielen. Kompromiss – hab ich nicht gern.

    Senne: In Frankfurt haben Sie den berühmten Messeturm gebaut, inzwischen praktisch Wahrzeichen der Stadt Frankfurt: Ist es anders in Deutschland zu bauen als sonst wo auf der Welt?

    Jahn: Es ist überall ein bisschen anders. Wenn man global arbeitet, muss man sich eben anpassen an die lokale Situation. Act global but built local.

    Senne: Wieso haben Sie eigentlich in den 60-er Jahren Deutschland den Rücken gekehrt?

    Jahn: Weil ich noch was lernen wollte.

    Senne: Aus ein, zwei Jahren ist dann praktisch ein ganzes Leben geworden?

    Jahn: Nee, das geht immer noch weiter. Noch nicht fertig.

    Senne: In Nürnberg, Ihrer Heimatstadt, sind Sie mit Ihren Entwürfen für den Augustinerhof ja gescheitert. Wurmt Sie das noch heute?

    Jahn: Nee. Ist eigentlich nur schade, dass die Stadt jetzt einen Parkplatz in einer städtebaulich sehr wichtigen Stelle, dass es da eben Brachland hat. Das ist genau die Situation, die eine Stadt schädigt und unattraktiv macht. Das ist auch ein Zeichen der Unfähigkeit, dass man so was politisch nicht verhindern kann, dass so was passiert.

    Senne: Sie sind ein Architekt, der viel mit der Hand zeichnet, also wenig mit dem Computer. Ist das auch heute noch so – spielt der Computer, CAD etc. nicht die zentrale Rolle?

    Jahn: Ich habe genug Leute, die benützen den Computer, die geben mir vom Computer, was ich will. Der Computer ist mir zu schwer, der ist zu umständlich. Das wissen sogar die Leute, die mit dem Computer arbeiten. Meine besten Leute, die zeichnen jetzt wieder mehr mit der Hand. Der Computer, der ist irgendwie wie ein Hindernis zwischen dem Kopf und was auf dem Papier und auf der Zeichnung endet. Und wir haben natürlich einen Haufen Leute, die fertig dran sind. Aber das sind nicht die Leute, die eben in der entscheidenden Phase arbeiten, wo man die Architektur, den Charakter und die wesentlichen Merkmale eines Projektes festlegt. Das passiert eigentlich nur in der Zeichnung.

    Senne: Inzwischen haben Sie ja den iPad, glaube ich?

    Jahn: Für mich ist iPad zum Teil ein Skizzenblock. Aber der hat natürlich die Möglichkeit, dass ich die Skizze gleich weiter leite und dass ich Zeichnungen und Fotografien empfangen kann und die dann bearbeiten kann. Ich bin glaube ich einer der wenigen, der das iPad so benutzt.

    Senne: Versuchen Sie sich eigentlich bei jedem Projekt neu zu erfinden? Und ist das immer leicht?

    Jahn: Nee, nee. Ist ja klar – vor allem durch die Ausstellung und den Katalog -, dass da eine Kontinuität besteht.

    Senne: Die Postmoderne: Fühlen Sie sich der eigentlich verpflichtet, also der Kombination verschiedener Baustile?

    Jahn: Ich war nie postmodern. Unsere Architektur in gewissen Orten wie in New York, Philadelphia, in Städten, die keine große History von der modernen Architektur hatten, die eigentlich durch die klassischen Gebäude um die Jahrhundertwende speziell waren, da haben wir eben eine Architektur gemacht, die sich bezogen hat auf diese Merkmale und dann aber auch moderne Technologie mit einer mehr figürlichen Formensprache entwickelt hat, sodass das Resultat nicht alt war, aber auch nicht klassisch modern war, sondern dass es eben eine Fortsetzung und Reinterpretation des amerikanischen Wolkenkratzers war.

    Senne: Wie wichtig ist für Sie das Thema Green House und ökologisches Bauen?

    Jahn: Das war schon für uns immer wichtig, selbst bevor dieses Wort existiert hat. Green ist zurzeit ein Schlagwort. Green ist oft einen Entschuldigung, weil das Gebäude vielleicht ästhetisch nicht besonders ist. Da sind eigentlich von den richtigen Green-Gebäuden, da sind eigentlich sehr wenige gebaut, die gute Architektur sind. Und Green ist so eine Selbsternennung von einem Ziel, das man erreicht hat, das normalerweise nicht bewiesen wird oder das man in einer Bilanz, wenn man es erfassen würde, wahrscheinlich Ergebnisse bringen könnte, die nicht rechtfertigen den Aufwand von Equipment und verbundenen Kosten. Die besten Wege, wie man ökologisch verantwortlich baut, ist, wie man mit dem grundsätzlichen Entwurf umgeht, wie man das Gebäude gestaltet, wie ich Materialien verlange, wie ich die Fassaden konstruiere, wie ich die freien natürlichen Elemente wie Luft, Sonne, Wasser, Erde verwende, um das Gebäude durch intelligentes Design ökologisch richtig zu machen.

    Senne: The Future is never wrong" lautet ein Motto in Ihrem Architekturmanifest, "Die Zukunft hat immer recht". Wie sieht es aber mit der Gegenwart aus? Macht man da ab und zu Fehler, die die Zukunft dann negativ prägen?

    Jahn: Wir arbeiten in der Gegenwart. Wir arbeiten mit dem, was möglich ist. Wir dürfen, können und sollen nicht zufrieden sein mit dem, was wir wissen. Wir müssen unser Wissen erweitern und wir tun das im Team mit Ingenieuren und Spezialisten. Knowledge ist niemals vollständig. Das ist nicht ein blindes Glauben an die Zukunft, sondern: In die Zukunft kann ich nur blicken, wenn ich mit zwei Füssen in der Gegenwart stehe.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Ausstellungs-Tipp:

    Das Neue Museum Nürnberg widmet Helmut Jahn die erste große Werkschau. Bis zum 24. Februar werden in der Heimatstadt des deutsch-amerikanischen Architekten Entwurfsskizzen, Fotografien, Modelle und Projektstudien gezeigt.