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Konferenz an der Universität Bielefeld
"Ein Hassender ist nicht gesellschaftsfähig"

Die Historikerin Ute Frevert warnt im Dlf vor der Gefahr für die Demokratie, die von öffentlich geäußerter Hassrede ausgeht: "Ein Hassender ist nicht kompromissfähig." Vorläufer problematischer Tweets war Ernst Moritz Arndt 1813 mit seinen Hassreden gegen die Napoleonische Besatzung und die Franzosen.

Ute Frevert im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 13.05.2019
Ute Frevert lehnt an eine Wand und lächelt in die Kamera.
Hassreden gibt es schon seit mindestens zwei Jahrhunderten, sagt die Historikerin Ute Frevert. (imago/Hans Scherhaufer)
Doris Schäfer-Noske: Ob es ums Thema Impfpflicht geht, um türkische Hochzeiten oder die Fridays for Future-Demonstrationen: Bei Diskussionen in den sozialen Netzwerken geht es nicht zimperlich zu. Ständig werden Menschen, Gruppen oder Institutionen beleidigt, beschimpft und manchmal sogar bedroht. Vor allem Flüchtlinge und Muslime sind Ziel solcher Hasstiraden, aber auch Politiker, Prominente oder unser Staat. Der Begriff "Hate Speech" oder eingedeutscht "Hassrede" hat sich dafür etabliert. An der Uni Bielefeld wird jetzt drei Tage lang über das Phänomen diskutiert. Und die Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, Ute Frevert, hat dort den Einführungsvortrag gehalten. Seit wann kennen wir denn das Phänomen Hate Speech, Frau Frevert? Ist das ein Begriff der vergangenen zehn Jahre?
Ute Frevert: Nein, das wäre viel zu kurz gegriffen. Wenn man "Hate Speech" oder Hassrede definiert als eine vor allen Dingen öffentliche Rede, die eine bestimmte Botschaft vermittelt der Ausgrenzung und vor allen Dingen der Feindschaft, möglicherweise sogar auch der Vernichtung dieses Feindes, dann haben wir dieses Phänomen schon sehr viel länger. Ich würde es immer dort ansetzen, ich habe sogar eine genaue Jahreszahl, nämlich das Jahr 1813, als sich die deutschen Lande (nicht alle, aber vor allem Preußen) im Abwehrkampf gegen die französische napoleonische Besatzung befunden haben und dort dann Ernst Moritz Arndt als, ja, kann man sagen, einer der ersten Hassprediger einen sehr einflussreichen Text geschrieben hat über den Volkshass oder Volks- oder Nationalhass, wo er dazu auffordert, die Franzosen zu hassen und vom deutschen Boden fernzuhalten. Das ist der Anfang, und vor allen Dingen dann das 20. Jahrhundert mit dem Ersten Weltkrieg, dann in der politischen Polarisierung der 20er-Jahre, der NS-Zeit haben dann noch mal ordentlich einen draufgelegt.
"Jeder Einzelne kann heute Hassreden verzapfen."
Schäfer-Noske: Nun gibt es jetzt aber neue Möglichkeiten der Verbreitung. Was hat sich dadurch geändert?
Frevert: Man hat ja früher mal vom Internet als einem Instrument der Demokratie und auch der Demokratisierung gesprochen. Was sicherlich der Fall ist, ist, dass die ganzen neuen Online-Medien erstens sehr viel mehr Leute in diesen Bannkreis der Hassrede ziehen – Bannkreis in der Weise, dass sie Hassreden hören beziehungsweise lesen. Es wurde heute Morgen auf der Tagung eine Statistik präsentiert, dass über die Hälfte aller zwölf- bis 18-Jährigen in Deutschland bereits Kontakt mit dieser Form der Rede hatten oder zum Teil über ein Drittel auch selber Opfer dieser Rede schon geworden sind. Ich meine, dass Hass spricht – so ist ja der Titel dieser Tagung hier in Bielefeld -, das passiert nicht erst in den Online-Medien, sondern da hatten wir früher Pamphlete, da hatten wir Flugblätter. Da hatten wir vor dann vor allen Dingen seit dem späten 19. Jahrhundert eine Massenpresse, die mehrfach am Tag aufgelegt worden ist und sehr, sehr viele Leute erreicht hat. Aber neu ist, dass jeder Einzelne gewissermaßen seine eigene Rede da verzapfen kann, und die Rede muss dann nicht, wie bei Ernst Moritz Arndt, 21 Seiten lang sein, sondern das kann einfach ein kurzer Twitter-Tweet sein.
Schäfer-Noske: Kann das nicht auch etwas Gutes haben, wenn der Hass nicht unterdrückt wird, sondern wenn er geäußert wird, auch nach dem Motto: Bellende Hunde beißen nicht?
Frevert: Na ja. Dass man mit etwas nicht einverstanden ist, dass man vielleicht auch zornig ist auf eine Person oder einen Gegenstand, ein Thema, was einem aufgedrängt wird, das, denke ich, ist legitim, und darüber streitet man auch. Mit dem Begriff des Hasses, der ja nicht zufällig so furchtbar hässlich klingt – bei Bert Brecht gibt es diesen wunderbaren Ausspruch aus dem Text an die Nachgeborenen von 1939: "Auch der Hass (gegen die Niedrigkeit) – er meinte dann gegen die Nationalsozialisten -, auch der Hass verzerrt die Züge." Ein Hassender ist nicht mehr freundlich, ist eigentlich auch nicht mehr gesellschaftsfähig. Diese Art von Verzerrung der Züge ist etwas, was Hass letztendlich für Demokratien vollkommen untauglich macht. Denn mit verzerrten Zügen kann man auch nicht streiten, kann man sich nicht auseinandersetzen und kann man vor allen Dingen nicht um das ringen, was eine Demokratie, die verschiedene Meinungen gelten lässt, dann letztendlich auszeichnet, nämlich einen Kompromiss. Ein Hassender ist nicht kompromissfähig.
Verlust der Kontrolle
Schäfer-Noske: Ist denn die Hassrede ein Ausdruck für die Verrohung unserer Gesellschaft, die zur Demokratie jetzt nicht mehr fähig ist?
Frevert: Verrohung der Gesellschaft ist ein allgemeiner Befund. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das wirklich stimmt. Wenn wir in die 1920er-Jahre hineingehen, finden wir dort Hassreden und auch gewaltsame Aktionen, die auf diese Hassreden folgen oder die von Hassreden begleitet werden, die sehr viel dramatischer gewesen sind als das, was man heute sieht. Aber was sicherlich eine neue Qualität der jetzigen Zeit ist, ist, dass wir auch jede Art von Kontrolle, die über Institutionen läuft, letztendlich verlieren. Selbst Zeitungen hatten früher – auch ohne Zensur gab es einen gewissen Comment, was möglich ist und was nicht möglich ist, und bestimmte Dinge wurden einfach nicht gedruckt. Im Internet, auch wenn wir Heiko Maas' neues Gesetz zugrunde legen, …
Schäfer-Noske: Das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz.
Frevert: …, kann einfach fast alles gesagt werden, und wenn es einmal in der Welt ist, findet es Follower, findet es Likes. Bestimmte Dinge sind einfach nicht sagbar, und das ist auch gut so. Denn wenn sie sagbar sind, ziehen sie einen Rattenschwanz von Folgehandlungen nach sich, die eine Gesellschaft entzivilisiert.
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