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Konfliktforscher Brzoska zur Bundeswehr
Deutschland hat "Prioritäten nicht wirklich festgelegt"

Deutschland gelte nicht als militärische Großmacht, aber die Bedeutung des Militärs habe eh abgenommen, meint Friedens- und Konfliktforscher Michael Brzoska im Dlf. Andere Bereiche, wie die Bedeutung des Cyberspaces, hätten deutlich zugenommen.

Michael Brzoska im Gespräch mit Stefan Heinlein | 14.02.2020
Der Konflikt- und Friedensforscher Michael Brzoska (3. März 2008).
Der Konflikt- und Friedensforscher Michael Brzoska. (imago / Hubert Jelinek)
Stefan Heinlein: Deutschland international immer noch ein politischer Zwerg und ein militärischer Wurm. Das war eingangs meine Moderation. Ist dieses Urteil richtig, oder mittlerweile ungerecht?
Michael Brzoska: Ich finde es schon etwas übertrieben. Die Richtung ist nicht ganz falsch. Deutschland hat immer wieder in der Vergangenheit, wenn es darum ging, sich politisch irgendwo festzulegen und möglicherweise den Einfluss, den man durchaus haben könnte, wirken zu lassen, zurückgehalten – aus Angst meistens, dass das dann auch dazu führt, dass man Freunde vor den Kopf stößt, oder auch in der Welt dann möglicherweise an Ansehen verliert bei denjenigen, die mit den Entscheidungen nicht zufrieden sind.
Und im militärischen Bereich muss man natürlich sagen: Deutschland gehört jetzt nicht zu den großen Militärmächten in der Welt, obwohl wir auch eine starke Bundeswehr haben, was manchmal ein bisschen aus dem Blick gerät. Aber wir haben uns in der letzten Zeit - aus meiner Sicht auch zu Recht - zunehmend zurückgehalten, wenn es darum ging, irgendwo in der Welt militärisch präsent zu sein.
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Heinlein: Wenn ich Sie richtig verstehe, ist Deutschland aus Ihrer Sicht tatsächlich aus diesem diplomatisch-politischen Tiefschlaf? Hat sich was verändert seit der Ruck-Rede 2014 von Joachim Gauck?
Brzoska: Es hat sich einiges verändert, ohne dass man jetzt sagen kann, dass Deutschland jetzt dem Bild entspricht, was vielleicht einige im Ausland gerne hätten. Wobei man auch immer sagen muss, dass das durchaus sehr uneinheitlich ist, wenn es darum geht, in welche Richtung denn nun Deutschland aktiv werden soll. Aber in Deutschland ist – Sie haben in der Sendung jetzt auch das Beispiel Libyen herausgehoben – da aktiv geworden, auch wenn es um Afghanistan geht mit der Afghanistan-Konferenz, und versucht, dort in Afghanistan eine jedenfalls stärkere Rolle zu spielen.
Und wir sind auch, denke ich mal, wenn es darum geht, jetzt mit den USA das Verhältnis besser abzustimmen, wie es in der Zukunft mit der NATO und so weiter weitergehen soll, aktiv geworden mit der Expertengruppe, die auf Initiative von Herrn Maas eingerichtet werden soll. Wir sind schon in dem Bereich aktiver geworden. Wir geben auch mehr für die Bundeswehr aus. Also schon mehr Aktivität. Allerdings Deutschland hat immer noch - das, was ja auch Herr Macron immer wieder kritisiert - sich nicht wirklich festgelegt, was denn nun unsere Prioritäten sind und wo wir uns engagieren wollen und welche politischen Initiativen denn für uns besonders wichtig sind. Das ist weiterhin etwas, wo man sagen kann, da ist Deutschland schwankend – mit guten Gründen.
Denken wir etwa, um nur ein Beispiel herauszugreifen, an den Friedensplan von Herrn Trump für Israel. Da hält sich Deutschland natürlich sehr zurück, weil wir Israel jetzt nicht verschrecken wollen, andererseits aber auch natürlich damit dann nicht etwa zu einer europäischen gemeinsamen Haltung beitragen, die doch sehr kritisch ist gegenüber diesem Israel-Plan.
Afghanistan: "Mit militärischen Mittel allein nicht zu lösen"
Heinlein: Deutschland ist aktiver geworden, Herr Brzoska. Politisch-diplomatisch stimmt das wahrscheinlich, wenn wir auf die Konferenzen der letzten Tage und Wochen gucken. Deutschland, die Bundesregierung hat aber immer noch Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass eine bedeutende Rolle auf der internationalen Bühne verbunden ist mit militärischer Schlagkraft und die starke Bundeswehr, wie Sie sagen, auch eingesetzt und in Marsch gesetzt werden muss.
Brzoska: Ja, wobei man aus meiner Sicht sich schon fragen muss, welche Bedeutung heute denn noch militärische Maßnahmen haben können. Sie können wichtig sein. Es gibt durchaus Fälle, in denen das Militär von Bedeutung ist – denken wir etwa an Mali und den ganzen Raum südlich der Sahara. Aber das Militär alleine kann – das sieht man auch an diesem Raum – Probleme nicht lösen.
Wir sind relativ aktiv gewesen in Afghanistan, aber auch da haben wir gesehen, dass mit militärischen Mitteln allein und selbst mit politischem Druck die Situation nicht zu lösen ist.
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Heinlein: Aber ganz ohne Militärs wird es auch nicht gehen, Herr Brzoska.
Brzoska: Das ist richtig und wir sind ja durchaus in Mali und in Afghanistan immer noch aktiv. Aber jetzt nur das zu messen an dem Militärischen, da habe ich meine Probleme mit. Dazu sind die Erfolge der militärischen Interventionen der letzten Jahrzehnte einfach zu gering. Man kann sogar so weit gehen zu sagen, dass das, was wir jetzt im Mittleren Osten sehen an Problemen, nicht zuletzt auch zu tun hat mit dem, was die Amerikaner 2003 dort durch ihre Intervention angefangen haben.
Insofern: Ich bin da eher skeptisch, dass man Militär soweit ausbauen soll, dass man überall in der Welt aktiv sein kann, sondern ich denke, wir müssen uns konzentrieren – und da ist aus meiner Sicht schon die Situation in Europa das Verhältnis zu Russland zentral, auch was militärische Anstrengungen angeht. Aber wir müssen natürlich auch Solidarität üben mit Frankreich, mit anderen europäischen Staaten, die eher ihre Probleme in Afrika sehen und auch im Mittleren Osten, wobei wie gesagt da vielleicht auch politischer Druck wichtiger ist als jetzt militärisch aktiv zu werden - vor allen Dingen gegenüber der Türkei und ihren Verbündeten.
"Im Dialog mit Frankreich weiterkommen"
Heinlein: Stichwort Frankreich. Sie haben es jetzt schon mehrfach erwähnt. Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit mit Frankreich? Präsident Macron tritt ja schon seit geraumer Zeit aufs Gaspedal und fordert eine stärkere militärische Rolle Europas.
Brzoska: Ich denke, dass die Zusammenarbeit mit Frankreich von zentraler Bedeutung ist. Wir reden hier jetzt gerade über Deutschland, aber natürlich ist Deutschland viel stärker, wenn es ein gemeinsames Vorgehen von Europa gibt. Europa ist kleiner geworden nach dem Brexit, aber ist immer noch, wenn man sich im Weltmaßstab etwa die wirtschaftliche Macht ansieht, ein wichtiger Faktor und auch militärisch nicht unbedeutend.
Wobei Herr Macron, glaube ich, schon auch etwas andere Vorstellungen hat, sowohl von dem, was die Prioritäten sein sollten denn für eine stärkere europäische Macht, als auch, welche Elemente denn in Bezug zum Beispiel auf was für Arten von Einsätzen die größere Rolle spielen sollten. Ich denke, dass man aber im Dialog mit Frankreich weiterkommen kann und dann auch tatsächlich in diesem Bereich durch europäische Zusammenarbeit mehr erreichen kann, als wenn jetzt Deutschland für sich steht.
Bundeswehr-Ausgaben nicht weit hinter denen Frankreichs
Heinlein: Wird es denn auf Dauer gut gehen, wenn Frankreich stärker das Militärische betont und Deutschland nur die Moral hochhält und Diplomatie und Politik in den Vordergrund rückt?
Brzoska: So ist es ja nicht. Auch wir haben ja wie gesagt eine Bundeswehr, die, wenn man sich die Ausgaben anguckt, nicht weit hinter dem steht, was in Frankreich ausgegeben wird. Frankreich ist natürlich als Atommacht noch mal auf einer besonderen Position. Frankreich hat auch schon länger stärker sein Militär auf eine bestimmte Aufgabe fokussiert, nämlich vor allen Dingen im Süden aktiv zu sein.
Aber wir können, glaube ich, in der Zusammenarbeit mit Frankreich, wenn man das wirklich organisiert und wenn man nicht nur darüber redet und nur bestimmte Rüstungsprojekte im Vordergrund hat, sondern wirklich auch gemeinsam sich politisch abstimmt, glaube ich, viel gemeinsam erreichen und dann durch die Kombination von diesem, vielleicht etwas noch vom Kolonialdenken geprägten französischen Denken und dem sehr stark vom Ende des Zweiten Weltkriegs geprägten Denken in Deutschland gemeinsam zu einer wirklich vernünftigen europäischen Politik kommen.
Gefahr größerer bewaffneter Konflikte
Heinlein: Darf ich Sie noch zu einer Einschätzung überreden? Sie sind Friedens- und Konfliktforscher. Wenn Sie insgesamt auf die internationale Lage blicken, täuscht der Eindruck, oder wir leben tatsächlich in einer Zeit vieler großer internationaler Brandherde auf dieser Welt? Es gibt mehr Konflikte als in der Vergangenheit?
Brzoska: Es gibt mehr Konflikte als in der Vergangenheit. Das kann man auch durchaus statistisch nachweisen, dass es mehr bewaffnete Konflikte gibt. Es gibt natürlich vor allen Dingen die Gefahr, dass noch größere Konflikte sich entwickeln zwischen China und den USA, auch um Russland herum. Insofern sind wir in wirklich gefährlichen Zeiten. Allerdings muss man auch sehen, dass wir in Zeiten leben, in denen die Bedeutung des Militärischen eher abnimmt. Die Bedeutungen etwa von Dingen wie Cyberspace, aber auch Fragen der wirtschaftlichen Integration sind, glaube ich, anders als noch vor einigen Jahren zu beantworten, und insofern muss man immer darauf achten, dass man nicht mit den militärischen Mitteln mehr kaputt macht, als das man damit erreicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.