Freitag, 29. März 2024

Archiv

Konfliktforscher zum G20-Gipfel
"Die Amerikaner sind unter Trump das Weltproblem Nr. 1 geworden"

Angesichts der schroffen Haltung und des Protektionismus von US-Präsident Trump stehe China fast schon als Fürsprecher für globale Gemeinsamkeit da, sagte Politikwissenschaftler Christian Hacke im Dlf. Er setze darauf, dass Trump im Konflikt mit China in gewisser Weise einlenken werde.

Christian Hacke im Gespräch mit Dirk Müller | 01.12.2018
    US-Präsident Trump und der argentinische Präsident Macri vor Beginn des G20-Gipfels in Buenos Aires.
    US-Präsident Trump und der argentinische Präsident Macri vor Beginn des G20-Gipfels in Buenos Aires (imago stock&people / Patricio Murphy )
    Dirk Müller: Der Handelskrieg zwischen den USA, China und Europa, wir haben es gerade gehört, die jüngste Eskalation zwischen Russland und der Ukraine im Schwarzen Meer, und dazu noch ein hoher Gast aus Saudi-Arabien, der offiziell eben auch dazu gehört, der aber unter Mordverdacht steht. Der G20-Gipfel ist mit reichlich Vorbelastung gestartet. Es kommt vielleicht im ganz großen Maße jetzt auf die persönliche Chemie der Staats- und Regierungschefs an, ob sich da etwas verbessert, ob sich da etwas entspannt oder eben auch nicht. Trump, Putin, Xi, Merkel und Macron. Darüber sprechen wollen wir mit dem Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Professor Christian Hacke. Guten Tag!
    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Müller!
    Müller: Herr Hacke, warum können die sich alle irgendwie gar nicht leiden?
    Hacke: Na ja, wir haben jetzt einen verschärften Schub zum Nationalistischen, ausgelöst vom amerikanischen Präsidenten – das kennen wir alle. Auf "America first" bleibt natürlich für viele die logische Antwort: Mein eigenes Land first, also China first oder andere Länder auch.
    Müller: Das war bei China auch nicht immer so. China first, und sonst kommt gar nichts?
    "China steht fast schon als Fürsprecher für offene Märkte da"
    Hacke: Ja, aber ich meine, wir müssen ja heute sagen, wir haben eine paradoxe Situation, dass angesichts Trumps schroffer Haltung und auch sein Protektionismus und anderen Dingen, China fast schon als Fürsprecher für globale Gemeinsamkeit und offene Märkte dasteht, was es natürlich nicht ist, aber jeder, der sich halbwegs vernünftiger als Trump äußert, wird ja schon als Lichtblick gefeiert. Das ist ja die traurige Realität.
    Müller: Ist er der erste, der sich mit China in der Handelsfrage so massiv anlegt?
    Hacke: Nein, es gibt ja auch gute Gründe von Trump. Ich meine, es ist ja klar gewesen, dass die Chinesen sehr stark, sagen wir mal, das technische westliche Know-how abschöpfen und dass hier natürlich auch bei den Amerikanern der Dorn im Auge ist, das Handelsungleichgewicht, die Wirtschaftsströme. Die Handelsströme gehen einseitig eben aus China in die USA, das Ungleichgewicht macht Trump Sorgen, aber die kuriose oder die paradoxe Situation ist ja die, dass seit Ankündigung seiner Zölle, sozusagen die Exporte von den USA nach China weiter sinken und die Chinas in die USA weiter steigen, also genau das Gegenteil, was er eigentlich erreichen wollte. Das zeigt, dass er auch gerade in den Wirtschaftsdingen mit den Realitäten, wie sie dann eintreten, einfach nicht kalkulieren kann, sie nicht erkennt.
    Müller: Es geht ja auch in den Handelsauseinandersetzungen um den Konflikt zwischen den USA und Europa. In der kommenden Woche gibt es dort auch wieder einige Entscheidungen, Treffen, wie auch immer, und Verhandlungen. Wir haben vor einigen Monaten ein Gespräch geführt, auch zu dem Thema, da haben Sie gesagt – Sie haben es ja gerade auch für China bestätigt –, also er hat da schon Punkte, die nachvollziehbar sind.
    Hacke: Ja.
    Müller: Auch in der Auseinandersetzung, Handelskonflikt, Handelskrieg, wie auch immer bezeichnet, mit Europa. Liegt es, wenn beide Seiten dort nicht zu einem Konsens kommen, nicht zu einer Einigung kommen, dann nur noch am Ton?
    "Nachher wird schon eine Lösung da sein"
    Hacke: Ich glaube, dass wir den Ton hier von Trump ja schon kennen. Es ist die Ungewissheit und das bullying around, sagen wir mal auf Neudeutsch, was er auch schon gegenüber Kim, Nordkoreakonflikt, und auch gegenüber den Europäern, gerade gegenüber Deutschland, praktiziert hat, und nachher stellt sich raus, dass er auch nachher nachgeben kann in gewissem Maße, und auch in den amerikanisch-chinesischen Handelsproblemen setze ich darauf, dass er in gewisser Weise einlenken wird. Erst mal auf das Problem hinweisen, also der chinesische Klau von Technologie, dass ihm das stinkt, aber nachher wird schon, glaube ich, eine Lösung da sein, das sind beides rationale Akteure.
    Beide Volkswirtschaften sind so eng miteinander verflochten, die amerikanische und die chinesische, dass darin auch eine gewisse Chance liegt, dass die beiden es nicht zur totalen Eskalation kommen lassen, aber was natürlich klar ist – und das ist das Entscheidende –, Trump möchte die Amerikaner wieder großmachen wirtschaftlich. Die Realität zeigt aber genau in die andere Richtung, dass eben China eigentlich mit jedem Monat die Unterschiede und die Diskrepanz auch in der Wirtschaftskraft verändert zugunsten Chinas und in den nächsten zehn, zwanzig Jahren die führende Wirtschaftsmacht sein wird. Das wird stark von Peking subventioniert, das ist ja Made in China 2025, das ist ja das große Ziel: Hunderte Milliarden Staatshilfe werden dort in die Technologiefortschritte investiert. Das ist ein enormer Schub, und die Chinesen, auch auf Neudeutsch, sind industrious people.
    Das ist ganz toll, was dort in den letzten Jahrzehnten geleistet wurde, und da ist eine Macht im Aufstieg, und zwar geostrategisch und wirtschaftlich, und sie sind heute praktisch das Land, was die Amerikaner gerne waren vor 50 Jahren, nämlich nicht militärisch weltpolitisch aufzusteigen und sozusagen die Welt wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch zu beherrschen. Das führt China jetzt den Amerikanern vor, und der Neid ist umso größer, wie die Amerikaner unter Trump und schon vor Trump diese Vormachtstellung zunehmend verlieren.
    Müller: Blicken wir noch mal auf die reine Politik, auf die politischen Auseinandersetzungen, Handelskonflikt hin oder her, gehen wir in Richtung Ukraine, gehen wir ins Schwarze Meer oder blicken wir auf diesen Krimkonflikt, auf die weitere Eskalation zwischen der Ukraine und Russland. War das klug von Donald Trump, Wladimir Putin da eine Absage zu präsentieren?
    Zuspätkommen der Bundeskanzlerin "ein bisschen symbolisch"
    Hacke: Das ist auch innenpolitisch motiviert. Da lenkt er mit ab, damit will er mal kurz zeigen seinen eigenen Leuten, also ich kann auch Putin gegenüber mal sagen, hör mal zu, so geht es nicht, aber da beißt die Maus keinen Faden ab. Wir wissen, dass er ihn schon bewundert und vom Stil gut findet. Also das muss man abwarten. Selbst zum Ukrainekonflikt, da ist der G20-Gipfel natürlich nicht das Format. Wir müssen auch den G20-Gipfel nicht überhöhen. Das hat vorhin Herr Juncker auch gesagt, man darf da nicht zu viel erwarten, ob jetzt die Bundeskanzlerin vielleicht was regeln kann. Ich glaube es nicht. Ich finde, dieses Zuspätkommen der Bundeskanzlerin, ich bin fast verführt, es ein bisschen symbolisch zu überhöhen –
    Müller: Tun Sie das bitte.
    Hacke: – und zu fragen, ob die … Also sie war ja die Grande Madame der internationalen Politik, das muss man schon sagen, der letzten zehn Jahre, und jetzt kommt sie zu spät, und sie ist natürlich auch auf dem Weg des Rückzugs, und die anderen, die Liberalen, die den G20 im Sinne von Offenheit der Märkte und Gemeinsamkeit zusammengehalten haben, die sind ja nicht mehr da oder sie sind schwach. Wenn Sie Macron angucken, je selbstbewusster er sich international äußert, umso klarer wird, dass er zu Hause gar nichts mehr zu sagen hat und sich eigentlich ums eigene Land kümmern muss. Das wirkt ja geradezu lächerlich. Haben Sie dann den anderen, den Kanadier Trudeau, da ist auch der Lack ab. Dann muss man fragen, wo ist Japan.
    Müller: Und wir haben noch Theresa May.
    Hacke: Ja, Theresa May, da muss ich sagen: bewundere ich auf gewisse Weise den Schneid, wie die Frau diese ganzen letzten Monate durchgehalten hat, aber was ich damit sagen will, ist, es sind die bösen Buben auf dem Vormarsch, und ein Bild des saudischen Kronprinzen ist ja nun von ganz besonderer Delikatesse, kann ich nur noch ironisch sagen, wenn die sich auf dem G20-Gipfel, wenn der sich mit Putin lächelnd umarmt und Trump natürlich auch so dabei ist. Geld regiert die Welt auf unangenehmste Weise, und die Themen, die der G20 behandeln müsste – Klima, Terror, Krieg im Jemen, in Syrien …
    Müller: Das können sie ja jetzt machen. Wenn der Kronprinz da ist, kann man ja immerhin über den Jemen reden. Aber Herr Hacke, noch mal ganz kurz, bevor wir dieses Terrain verlassen müssen: Was hätten die Staatslenker, die Staatschefs denn machen können? Hätten sie den Saudis signalisieren sollen, wir machen G19, bleibt zu Hause, weil das ist im Moment nicht opportun?
    "Lateinamerika ist im dramatischen Abstieg"
    Hacke: Bei G19 müssen Sie zuerst Trump rausnehmen. Die Amerikaner sind ja unter Trump nicht mehr der Problemlöser Nummer Eins der Weltpolitik, sondern das Weltproblem Nummer Eins geworden. Das bringt uns alle durcheinander.
    Müller: Was macht die Welt mit dem Kronprinzen?
    Hacke: Die Welt mit dem Kronprinzen kann gar nichts machen. Er sitzt auf dem Geldsack, und alle sind darum bemüht, ihn möglichst nicht zu sehr zu verstören. Es sind die Wirtschaftsinteressen, und Trump ist der Erste, und wir sind auch nur vorsichtig mit unserem Einstellen der Rüstungsgüter. Das gilt jetzt auch nur eben erst mal für die nächsten Monate. Da gehen die nationalen Interessen vor. Das ist alles wahnsinnig schwierig.
    Müller: Also auch nur symbolische Politik, was die Bundesregierung da zu bieten hat.
    Hacke: Das ist… Und ich meine, wenn wir mal gucken auf G20 und Lateinamerika, sollten wir hier ja jetzt nicht vergessen, dort findet das statt. Lateinamerika ist, außer Uruguay und vielleicht noch ein anderes Land, im dramatischen Abstieg, und wir Europäer sehen nicht gut aus. Mercosur, da zeigt die Europäische Union sich seit Jahren protektionistisch. Das tut sie auch gegenüber gewissen oder vielen afrikanischen Staaten. Also wir sind nicht so toll, wie wir uns immer darstellen. Und zu recht sind die Proteste in Lateinamerika, wenn wir es vorhin gehört haben, dass also hier die reichen Länder sie sozusagen, die ärmeren, sich abschotten und protektionistisch verhalten, die haben recht.
    Müller: Lieber Herr Hacke, jetzt haben wir beide ein Problem, nämlich die Zeit rennt uns ein bisschen davon, und wir hören gleich von Ihnen ja wieder, deswegen müssen wir hier den Komplex G20 offiziell beenden erst mal im Deutschlandfunk, zumindest in dieser Sendung. 12:25 Uhr, der Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Christian Hacke war das.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.