Freitag, 19. April 2024

Archiv


Kongeniale Heldenreise

Es wird das Filmereignis der nächsten drei Jahre, denn Peter Jacksons Verfilmung von J. R. R. Tolkiens Roman "Der Hobbit" kommt in drei Teilen ins Kino. Der erste Teil trägt den Untertitel "Eine unerwartete Reise" und verbindet Abenteuer, Poesie, viel Komik und Action zu einem soghaften Kinoepos.

Von Hartwig Tegeler | 12.12.2012
    Am Ende ist es nicht die technische Opulenz, sind es nicht diese atemberaubenden Bilder von Landschaften, die begeistern, oder die grandios choreografierten Schlachten, nein, "Der Hobbit" - Teil 1 - wird zum Meisterstück, weil Peter Jackson es schafft, das Monumentale des Films mit seinem Gegenteil zusammen zu führen, mit etwas, was viel kleiner scheint. Auf den ersten Blick. Wie im "Herr(e)n der Ringe" trifft ein Hobbit auf Gollum, dieses Wesen …

    "Was ist es, mein Schatz?"

    … tief unter dem Gebirge.
    "Was ist es? - Mein Name ist Bilbo Beutlin. - Was sind Beutlinsse, mein Schatz? - Ich bin ein Hobbit aus dem Auenland."

    Diesmal ist es nicht Frodo, sondern dessen Onkel Bilbo, 60 Jahre vor der "Ring"-Trilogie. Bilbo hat in einer Höhle den magischen Ring gefunden und aufgezogen. Nun ist er unsichtbar. Er steht vor diesem Scheusal, das um seinen verlorenen Liebling, den vermaledeiten Ring, jammert und trauert. Gollum versperrt Bilbo aber den Weg aus dem Höhlenlabyrinth in die Freiheit.

    "Zeig mir einfach, wie ich hier wieder rauskomme. Und dann bin ich auch schon weg!"

    Es wäre dem für Gollum unsichtbaren Hobbit nun ein Leichtes, Gollum zu töten. Doch dann findet eine Veränderung statt im Gesicht dieses großartigen Bilbo-Darstellers Martin Freeman: Wir sehen, wie die Wut, der verständliche Ekel, das Angewidert-Sein und die Furcht sich verwandeln in Mitgefühl, tiefes Mitgefühl für eine leidende, verzweifelte Kreatur.

    Es geht von dieser sehr leisen, fast kammerspielartigen Sequenz zwischen Bilbo und Gollum eine intensive emotionale Wucht aus. Wie als Kontrapunkt zur Action, zum Abenteuerlichen, zum Fantasy-Großspektakel. Peter Jackson weiß genau: Das Spiel mit solchen Kontrapunkten, die Jackson mit traumwandlerischer, erzählerischer Raffinesse im "Hobbit" baut, das Spiel mit diesen Kontrapunkten macht einen Film groß.

    Der erste Teil von Jacksons "Hobbit"-Verfilmung trägt den treffenden Untertitel "Eine unerwartete Reise"; er könnte auch lauten: eine widerwillig angetretene Reise. So geschehen dem Herrn Bilbo Beutlin, seines Zeichens Hobbit.

    "Zu Euren Diensten."

    Ihm schickt der Zauberer Gandalf 13 Zwerge auf den Hals. Ein Zwerg ist hier etwas größer als ein Hobbit.

    "Nein, nein, es ist niemand zu Hause. Belästigt jemand anders. Es sind schon auch so zu viele Zwerge in meinem Esszimmer."

    Doch schon bald machen sich die 13 Zwerge und der mittels pekuniärer Anreize überzeugte Hobbit Bilbo auf ihre Reise zum Einsamen Berg, um vom Drachen Smaug das Königreich, das er einst den Zwergen entriss, wieder zu erobern. Ein abenteuerliches, gefährliches Unternehmen.

    "Was in Dorins Namen geht hier vor sich? - Man macht Jagd auf euch."

    Im Kern folgt Tolkiens Roman wie jetzt auch Peter Jacksons kongeniale Verfilmung einem uralten Erzählmuster unserer Kultur: der Heldenreise. Im "Hobbit" trifft in diesem Sinne "Die Argonauten-Sage" auf das Märchen vom "Tapferen Schneiderlein". Nur geht es im "Hobbit" nicht um die Suche nach dem Golden Vlies, sondern die nach dem verlorenen Königreich; und es ist kein "tapferes kleines Schneiderlein", das zugegeben zum ambivalenten Helden wird, sondern ein Hobbit, ein kleiner Mann mit großen behaarten Füßen, der am Anfang kein bisschen mutig ist:

    "War das ein Wolf? Gibt es Wölfe hier draußen? - Nein, das war kein Wolf."

    Bilbo Beutlin ist der Prototyp des spießigen Kleinbürgers, den es aus seiner heilen Welt ins Abenteuer verschlägt. Und der dabei in eine Geschichte der Gier gerät. Bilbos Motiv ist dem seiner Reisegefährten, der Zwerge und vor allem ihres Königs, am Ende nicht unähnlich: Sie alle werden von der Gier gepackt werden, der nach Macht, Einfluss und Gold.

    Doch ohne solche Abgründe, Widersprüchlichkeiten seiner Figuren - auf der einen Seite bei Bilbo beispielsweise durchaus Mitgefühl, auf der anderen Seite auch Gier und durchaus Verschlagenheit -, ohne solche Abgründe wäre der "Hobbit"-Film tatsächlich nur das, als was er beworben wird: das "Großereignis" eines Fantasyfilms, hier mit der neuen Bilderfrequenz von 48 statt 24 Bildern in der Sekunde auch noch der Vorschein auf das Kino der Zukunft.

    Doch wenn man es schafft, sich von der PR-Walze, die einen überrollt hat, freizumachen, in dem Moment, wenn der Vorhang sich öffnet, dann wird das belohnt mit einem Film, in dem sich Abenteuer, Poesie, viel Komik, Action zu einem soghaften Kinoepos verbinden. Ein wunderbarer Film ist dies.

    Immer wieder gibt es Filmkünstler, die das Gefühl von "Bigger Than Life" im Kino erzeugen. Wo sich dann deren Gigantomanie, Egozentrik, Leidenschaft und Besessenheit - inklusive entsprechender Riesenbudgets - verbinden mit der Fähigkeit, auf der Großen Leinwand zu erzählen. "Vom Winde verweht". David Leans "Lawrence von Arabien". Coppolas "Apocalypse Now". James Camerons "Titanic". Und nach der "Herr der Ringe-"Trilogie jetzt der erste Teil von Peter Jacksons "Hobbit"-Trilogie. Bei solchen Filmen, bei solchen Filmemachern entsteht er: der magische Raum des Großen Kinos.