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Kongo
Milizen richten Gewalt gegen Zivilbevölkerung

In der Provinz Ituri im Nordosten des Kongo fliehen Hunderttausende vor bewaffneten Gruppen, die plündern, vergewaltigen und töten. Doch wer hinter den Angriffen steckt, weiß niemand genau. Eine UN-Mission soll helfen, die Zivilbevölkerung zu schützen. Doch ihre Möglichkeiten sind begrenzt.

Von Susanne Babila | 14.12.2019
Proteste im kongolesischen Monusco gegen die UN-Mission am 30.11.2019, weil diese bewaffnete Angriffe gegen Zivilisten wohl häufig nicht verhindert
Proteste gegen die UN-Mission Monusco im Kongo – weil diese angeblich nicht genug für den Schutz der Zivilisten tut (AFP / Patrick Meinhardt)
Im Dorf Shary, nur wenige Kilometer von der Provinzhauptstadt Bunia entfernt, sind in wenigen Wochen 20.000 Menschen angekommen. Sie suchen Schutz in Notunterkünften, wie in einer Kirche am Rande des Dorfes. Über 300 Geflüchtete sind hier untergebracht, vor allem Frauen und Kinder. An einem Stützbalken lehnt Marta. Sie ist 27 Jahre alt und hochschwanger. Mit ihren beiden Kindern musste sie aus ihrem Dorf fliehen:
"Sie sind auf die Dörfer zugerannt, mit Macheten und Waffen in der Hand. Über ihre Köpfe hatten sie Sturmhauben gezogen. Dann haben sie begonnen, die Hütten anzuzünden und haben den Menschen die Köpfe abgeschlagen. Ich habe meine Kinder gepackt und bin um mein Leben gerannt."
Ituri: reich an Erdöl und mineralischen Rohstoffen
Marta hat alles verloren, was sie besitzt. Sie konnte nur ihre Töchter Imbise und Jeni retten. Die drei- und siebenjährigen Kinder sind krank. Sie husten und haben einen Ausschlag. In der Kirche riecht es nach Urin, Erbrochenem und Angstschweiß. Nach fünf Tagen gab es bereits zehn Tote. Marta trägt Imbise auf dem Rücken in einem Tragetuch. Die siebenjährige Jeni liegt auf dem Boden und starrt zur Decke. Marta zeigt uns den Schlafplatz für sich und ihre zwei Kinder. Es gibt keine Decken, nur ein alter Reissack aus Plastik dient als Unterlage.
"Hier schlafen wir, ich habe keine andere Wahl. Alles was ich hatte, auch meine Matratze, wurde in meinem Haus verbrannt. Wenn es regnet, dann läuft das Wasser direkt hier hinunter, an mir und meinen Kindern vorbei."
Die Provinz Ituri ist reich an Erdöl und mineralischen Rohstoffen, Stammeskonflikte werden für wirtschaftliche Interessen missbraucht. In Ituri sind hunderttausende Menschen auf der Flucht vor den Angriffen. Wer dahinter stecke, sei unklar, so Kongo-Experte Christoph Vogel:
"Also das sind eher anonyme Überfälle auf Dörfer und Massaker. Und es ist nach wie vor relativ unklar, wer genau diese Gewalt ausübt. Es gibt einige Hinweise, dass gewisse Milizen beteiligt sind, aber zum aktuellen Zeitpunkt ist es generell sehr schwierig herauszufinden, wer diese Gewalt anfeuert, welche politischen, sozialen, ökonomischen Motive oder eine Mischung von allem da eine Ursache darstellt."
Viele Kongolesen kennen nichts als Krieg
Rund 130 Milizen sollen im gesamten Nordosten des Kongo ihr Unwesen treiben. Doch die Dunkelziffer sei weitaus höher, so Kongo-Experte Christoph Vogel. Milizen finanzieren ihren Krieg über illegale Steuern durch Straßensperren, Schutzgelder und über die illegale Ausbeutung von Rohstoffen. Nach über 20 Jahren Krieg kennen die meisten Kongolesen von Kindesbeinen an nichts anderes als Flucht, Vertreibung und Gewalt. Auch Marta:
"Ich habe meine Eltern in einem der ersten Kriege verloren. Ich war sehr jung, als mein Vater und meine Mutter getötet wurden. Vor ein paar Jahren habe ich zwei meiner Kinder auch im Krieg verloren. Jetzt bin ich geflohen und weiß nicht wo mein Mann ist. Ich bin ganz allein mit meinen Kindern in Shary. Ganz allein."
Der ehemalige Staatschef Joseph Kabila und viele seiner Abgeordneten regierten 18 Jahre lang und plünderten das Land. Seit Anfang 2019 ist Felix Tshisekedi sein Nachfolger. Kabila wurde stattdessen zum Senator auf Lebenszeit gewählt und bleibt so vor jeder Strafverfolgung geschützt.
Allein in der Provinzhauptstadt Bunia haben sich zwei riesige Flüchtlingsstädte etabliert. Knapp 30.000 Menschen leben hier und jeden Tag werden es mehr. Hilfsorganisationen kommen mit der Versorgung der Flüchtlinge nicht nach. Viele haben sich provisorisch eingerichtet. An eine Rückkehr ist nicht zu denken, sagt Frau:
"Das sind keine Konflikte, das ist ein brutaler Krieg. Und wir wissen nicht, wann das aufhört. Die Angriffe kommen von unseren Nachbarn, den Lendu. Ob Fremde unter ihnen sind, das wissen wir nicht so genau. Als wir angegriffen wurden, mussten wir fliehen. Aber was wir erlebten, das waren Massaker. Wir fordern schon lange von der kongolesischen Regierung, die Hintergründe für diesen Krieg zu enthüllen. Aber wir wissen es bis heute nicht."
UN-Mandat verfügt über zuwenige Einsatzkräfte
In den letzten zehn Monaten ist der neue Regierungschef Tshisekedi durch die Welt gereist und hat versucht, für seinen Reformkurs zu werben. Er hat beteuert, die Korruption bekämpfen zu wollen, um das Geschäftsklima zu verbessern und hat sich im Kampf gegen die rivalisierenden Milizen im Nordosten seiner Heimat Militärhilfe aus Frankreich geholt. Details wurden allerdings nicht bekannt. So oder so eine Herkulesaufgabe, sagt Kongo-Experte Christoph Vogel:
"Angesichts der Komplexität der verschiedenen verschachtelten Konflikte von lokalen bis regionalen Ebenen, wird das sicherlich eine große Herausforderung für ihn sowie für seine Regierung insgesamt. Und wird letztlich davon abhängen, ob er und andere soziale Akteure es schaffen, auch die ganzen verschiedenen Konfliktakteure, größere und kleinere, in einen Art Friedensplan einzubinden."
Die Konfliktakteure sind nicht nur Kongolesen. Sie kommen auch aus den Nachbarstaaten, vor allem aus Ruanda und Uganda. Eine UN-Mission soll helfen, die Zivilbevölkerung zu schützen. Doch erst vor kurzem demonstrierten hunderte Studenten gegen die UN-Friedenstruppe Monusco. Sie warfen den Blauhelmen vor, nichts gegen das Töten zu tun, selbst wenn ihre Lager nicht weit von den Dörfern, die überfallen werden, entfernt seien. Kongo-Experte Christoph Vogel weist darauf hin, dass die UN-Mission im Kongo nur über rund 20.000 militärische und zivile Einsatzkräfte verfügt.
"Wenn man das vergleicht mit der internationalen Mission in Afghanistan, mit ISAF, da hatte man doppelt so viele, besser ausgebildete Truppen mit einem x-fach höheren Budget für eine Region, die in etwa gleich groß ist. Und auch dort haben wir gesehen, wie schwierig es ist, mit einer ausländischen Militärintervention eine Region zu stabilisieren. Das zum einen. Zum anderen, wenn so eine Mission scheitert, ein spezielles Dorf zu beschützen oder wenn es Attacken gibt, in unmittelbarer Nähe von UN-Stützpunkten, dann müsste eigentlich, wenn man dieses Mandat politisch ernst nimmt, eigentlich von Seiten des Sicherheitsrates auch Konsequenzen geben, zum Beispiel, dass man die Truppen austauscht, dass man klarere Befehle gibt, dass so etwas nicht mehr passieren kann. Und vieles davon passiert nicht."