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Kongress der freien ARD-Mitarbeiter
Sparmaßnahmen schüren Ängste

Die neun ARD-Rundfunkanstalten haben eine Strukturreform auf den Weg gebracht. Umsetzen sollen das vor allem die rund 18.000 freien Mitarbeiter in den Funkhäusern, die den Großteil der journalistischen Inhalte liefern. Bei einem Kongress haben sie ihre Bedenken geäußert.

Von Thomas Wagner | 24.04.2017
    Vor der Urteilsverkündung im "Tempelbomber"-Prozess am Landgericht Essen filmen Kamerateams das Geschehen.
    Freie Journalisten müssen immer mehr Aufgaben übernehmen (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Die Befürworterin – Heike Raab, SPD-Staatssekretärin für Medien der Landesregierung Rheinland-Pfalz: "Wir brauchen in Deutschland einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich zeitgemäß weiterentwickeln muss. Und ich habe dazu ein paar Kriterien genannt. Und eines davon ist die Beitragsakzeptanz."
    Der Skeptiker Hektor Haarkötter, Professor an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft Köln: "Wenn man eine Strukturreform in der Metzgerei durchführt, frage ich nicht die Salami. Das ist aber genau das, was hier passiert: Wenn man die ARD-Granden bittet. Bitte reformiere dich mal selber. Wir sollten aber sehr, sehr viel mehr das Publikum oder die Zuschauer fragen."
    Hörer und Zuschauer sollen von Einsparungen nichts merken
    Zwei Meinungen, ein Thema auf dem so genannten "ARD-Freienkongress" am Wochenende in Stuttgart. Die geplante ARD-Strukturreform, bei der es darum geht, Rationalisierungs- und Effizienzpotentiale zu nutzen. Das Ziel: Die Kosten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks spürbar senken.
    Denn auf der einen Seite steigen die Programmkosten alljährlich, auf der anderen Seite ist der Rundfunkbeitrag von monatlich 17,50 Euro auf Jahre hinaus zementiert, eine Erhöhung politisch nicht einmal ansatzweise durchsetzbar. Ganz wichtig bei dem Projekt, bei dem auch ZDF und Deutschlandradio mit ins Boot geholt werden sollen: Die Zuschauer und Zuhörer sollen davon nichts mitbekommen. Denn:
    "Zu meinem Auftrag und damit auch zum Auftrag der Projektgruppe ‚Strukturreform’ gehört es definitiv nicht, die Programmzahl oder den Programmumfang infrage zu stellen oder zu verändern," sagt Reinhard Binder, Leiter der Direktion "Recht" beim rbb und Projektleiter für die ARD-Strukturreform.
    Binder und sein Team sollen bis September herausfinden, wo es innerhalb des ARD-Verbundes Einsparpotentiale gib. Einige Ideen gibt es schon: Vereinheitlichung technischer Standards, zentraler Einkauf von Geräten und Software mit besseren Möglichkeiten bei der Preisgestaltung, Zentralisierung administrativer Aufgaben.
    Freie Mitarbeiter ärgern sich über pauschale Honorare für Mehrarbeit
    "Wir wollen darauf hinwirken, dass wir einheitliche Archivstrukturen haben, so dass der Programmaustausch in der ARD erleichtert wird, dass der Austausch über die Daten erleichtert wird und ähnliches. Oder wir überlegen, ob wir in der Medienforschung stärker zusammenarbeiten."
    Allerdings: Dass dies alles ohne Folgen für die ARD-Programme bleiben soll, stößt ausgerechnet bei denjenigen auf Skepsis, die die Programme gestalten – bei jenen vielen Tausend freien Mitarbeitern in Hörfunk und Fernsehen, die moderieren, reportieren, redigieren.
    "Ich kann mir Schreckliches vorstellen...," sagt Christoph Reinhardt, Sprecher der freien Mitarbeiter beim rbb und schildert ein Beispiel: Er war als Hörfunkreporter zusammen mit seinen Kollegen beim Terroranschlag am Breitscheitplatz in Berlin im Dauereinsatz.
    "Wir haben uns durch die ganze ARD-geschaltet. Das sind honorarreiche Tage. Bis der Koordinator auf uns zukam und sagte: Das haben wir denen jetzt allen umsonst angeboten. Die Sender zahlen alle nichts. Da machen wir Euch jetzt einen schönen Pauschalpreis. Seid nicht sauer."
    Sparmaßnahmen haben Auswirkungen auf die Programmqualität
    Wenn Effizienzsteigerung in diese Richtung gehe, so Christoph Reinhard auf dem Podium des ARD-Freienkongresses in Stuttgart, dann habe dies sehr wohl Auswirkungen auf die Programm-Mitarbeiter – und auch aufs Programm.
    "Die ganze Spardiskussion – die geht auf Kosten der Qualität, vor allem journalistischer Qualität," klagt Melanie Wolber, Personalratsvorsitzende im SWR-Funkhaus Baden-Baden – und blickt mit Sorge auf die Arbeitsverdichtung von Radio- und Fernsehreportern. "Ich kann natürlich nebenher twittern, Facebook machen und ein bisschen multimedial. Ich muss es zusätzlich machen."
    Rechercheur, Reporter, Tontechniker, Kameramann und Fotograf in einem
    Ein Einwand, den viele Programmgestalter teilen. Kai-Uwe Henning, freier Mitarbeiter und Personalrat beim SWR, schildert, wie sich innerhalb weniger Jahren die Aufgaben eines Hörfunkreporters verändert haben:
    "Der hat nicht mehr nur sein kleines Aufnahmegerät dabei, mit dem er Tonaufnahmen macht, sondern als wichtigstes Element das Smartphone, mit dem er Fotos machen muss, manchmal auch kurze kleine Videos auch noch liefern soll. Alles möglichst schnell, zum Teil schon vor Ort verarbeiten. Und darunter leidet aus meiner Sicht die Qualität, weil klar ist: Wenn ich mich vor Ort um ein Foto, um ein Video kümmern muss, genau diese Zeit fehlt mir vor Ort, um nochmals zu recherchieren, mit jemand wichtigem zu sprechen."
    "Relevanz geht und steht mit dem Programm"
    Ob eine ARD-"Spar"-Struktur-Reform hier Besserung bringt? Viele hegen da ihre Zweifel. Die Frage ist wohl, wie die Strukturreform konkret umgesetzt wird. Wenn es gut läuft, meint Stefanie Schneider, stellvertretende Intendantin des SWR, könnten dabei sogar zusätzlich ein paar Cent für die Programme abfallen.
    "Das was auf ARD-Ebene gehoben wird als Effektivität, wo wir Geld gespart haben, dass muss ich am Ende im Programm nicht sparen. Das heißt: Alles, was außerhalb der Programme gespart wird, ist gut. Die Relevanz geht und steht mit dem Programm."