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Kongress
Musikschulen fordern mehr Geld und Festverträge

Musikalische Früherziehung, Digitalisierung, Musiktherapie - beim Kongress deutscher Musikschulen in Berlin stehen viele Punkte auf der Tagesordnung. Im Mittelpunkt dürfte aber die prekäre Arbeitssituation der Musiklehrer sehen - viele Honorarkräfte verdienen weniger als 25 Euro pro Stunde.

Von Anja Nehls | 20.05.2019
Ein Mädchen spielt Querflöte.
Es gibt hohe Nachfrage nach Unterricht in Deutschlands Musikschulen: Gleichzeitig sinken jedoch die Bewerberzahlen für musikpädagogische Studiengänge - die Arbeitsbedingungen sind schlecht. (imago)
Das Cellisten-Ensemble der Musikschule Marzahn-Hellersdorf auf der Bühne des Kongresses deutscher Musikschulen in Berlin. Für Lotta, Friederike, Ludwig und Rania bedeutet das gemeinsame Musizieren viel:
"Ich glaube, es ist auch dieser Spaßfaktor, dass man in einem Ensemble sitzt und etwas produziert, was größer ist, als man selbst."
"Also das Brummen von den Saiten, das überträgt sich ja auf den Körper und dadurch kann man das auch ganz gut mitfühlen."
"Das entwickelt sich und dann wird das immer toller und am Ende kommt da richtig was, das ist ein gutes Gefühl."
"Das ist einfach in meinem Herzen und in meinem Blut. Also ich fühle das einfach so. Musik übers Handy ist halt was anderes als das einfach live zu spielen und selber zu können."
Es wird nicht nur musiziert beim Kongress in Berlin. Musiklehrer oder Musikschulleiter sprechen über die verschiedensten Themen, über Inklusion durch Musik, soziale Musikprojekte, medienunterstütztes Lernen, Opernmusik-Workshops oder musikalische Früherziehung. Musik teilen, Menschen gewinnen. Das ist das Motto des Kongresses, erklärt der Bundesvorsitzender des Verbands deutscher Musikschulen, Ulrich Rademacher.
"Wir teilen die Emotionen, wir sprechen auch über das Teilen bei der Digitalisierung. Das ist auch ein Hilfsmittel, um Musik zu teilen, um unsere Pädagogik zu teilen, um Entfernungen zu überwinden, um Zeiten zu überwinden. Und Teilen heißt auch kulturelle Vielfalt. Wir teilen unsere Musik mit der Musik derer, die zu uns gekommen sind. Also ein Thema, was ganz viele Emotionen, aber auch viel Fantasie weckt."
"Nachfrage nach Musikunterricht ist riesig"
Besonders der digitale Wandel beschäftigt viele Musiklehrer, meinen die Leiter der Musikschulen in Schwerte und Bad Oldesloe:
"Das eine ist das Administrative, was sich verändert. Lehrer-Schüler-Kommunikation ändert sich, aber auch der Einsatz der App-Möglichkeiten in der Musik, Aufzeichnen der Stunden, Metronom-Apps, Stimmgeräte-Apps, Nutzung von Apps im Unterricht, DJing, Crossover."
"Dass man versucht, das mit anderen Instrumenten zu verbinden, das finde ich ganz spannend."
Darüber hinaus geht es auch um Musiktherapie, Gehörbildung und die pädagogische Bedeutung von Musik in der Schule. Musizieren mache nämlich schlau, sagt Heike Blank, die Leiterin des Cellisten-Ensembles. Die Kinder und Jugendlichen lernten weit mehr, als nur ein Instrument zu spielen:
"In der Gruppe sich bewähren, soziale Sachen und das sind einfach Erlebnisse. In der Gruppe musizieren ist einfach friedlich. Da vernetzen sich die Neuronen noch viel mehr, als wenn man kein Instrument spielt, also das sind höchst anspruchsvolle Geschichten fürs Gehirn."
Die Nachfrage nach Unterricht in den Musikschulen in Deutschland sei deshalb riesig – und könne längst nicht mehr befriedigt werden, sagt Blank, die selber Geigenunterricht erteilt.
"Dann müssen wir Kollegen finden, die das noch machen. Das wird schwierig inzwischen, das liegt auch an der Bezahlung."
Stundenlohn unter 25 Euro
Denn weniger als fünfzig Prozent der Musikschullehrkräfte in Deutschland sind fest angestellt und werden nach Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt. Die meisten arbeiten nach langem Studium als Honorarlehrer: Bezahlt werden nur die erteilten Musikstunden mit zum Teil unter 25 Euro pro Stunde. Es darf nur eine begrenzte Zahl an Stunden unterrichtet werden. Ferien werden nicht bezahlt und bei Krankheit oder Absage der Schüler gibt es ebenfalls kein Geld. Wenn man Zeiten für die Vorbereitung, fürs Üben, oder die Anreise in verschiedene Musikschulen dazu addiere, bleibe mitunter ein Stundenlohn von unter drei Euro übrig, sagt eine Betroffene.
"Ich bin jetzt 35 Jahre, ich arbeite seit 15 Jahren in dem Beruf, parallel zum Studium und ich habe deshalb noch kein Kind, weil ich es mir nicht leisten kann."
Der Verband deutscher Musikschulen will sich jetzt für eine Verbesserung der Situation einsetzen, sagt Ulrich Rademacher. Er fordert mehr Geld für die Musikschulen und mehr Festverträge.
"Wir beobachten jetzt schon einen Rückgang der Bewerberzahlen an den Musikhochschulen für musikpädagogische Studiengänge. Und wenn sich nicht schnell etwas tut in den Kommunen, was Anstellungsverträge für Musikpädagoginnen angeht, dann werden wir in zehn Jahren die Musikschulen, die wir jetzt haben, nicht mehr haben."
Für die Musiklehrer in Deutschland geht es also schon längst nicht mehr nur um die Kunst, sondern um wirklich existenzielle Fragen.