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Konjunkturforscher
"Mindestlohn entlastet Staat enorm"

Wer kein Lohndumping in der Gesellschaft wolle, der müsse auch entsprechend dafür zahlen, sagte der Konjunkturforscher Gustav Horn von der Hans-Böckler-Stiftung im DLF. Durch die Einführung des Mindestlohnes profitiere aber auch der Staat: durch wenige Aufstocker und Mehreinnahmen in den Sozialkassen.

Gustav Horn im Gespräch mit Thilko Grieß | 09.04.2015
    Gustav A. Horn, Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, aufgenommen am 10.05.2012 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner" zum Thema: "Wer sparen will, wird abgestraft - wählt Europa lieber neue Schulden?"
    Gustav A. Horn, Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Thielko Grieß: Diese Bürste liegt besonders gut in der Hand, heißt es in der Anzeige, sie hat harte Borsten und reinigt Fugen im Badezimmer zum Beispiel, und sie kostet, online jedenfalls, genau 8,50 Euro. Das ist exakt der Wert, den eine Stunde Arbeit in Deutschland kosten soll. Seit dem ersten Januar also eine Stunde schrubben mit dieser Bürste zum Beispiel. Aber der Mindestlohn, der seit Anfang Januar in Deutschland gilt, hat Ausnahmen, und er bietet wohl auch Schlupflöcher, im Taxigewerbe zum Beispiel. Stefan Maas in Berlin hat sich dazu erkundigt.
    Stefan Maas war das über 99 Tage Mindestlohn, und der Beitrag hat es gezeigt, dass die Diskussion über den Mindestlohn weiter anhält. Und deshalb haben wir kurz vor dieser Sendung Gustav Horn angerufen, den Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Meine erste Frage an Gustav Horn: Haben Sie mit der Kreativität der Arbeitgeber bei der Suche nach Schlupflöchern im Mindestlohn gerechnet?
    Gustav Horn: Ja, das überrascht nicht. Das war uns schon klar, dass man versuchen würde, mit vielen Mitteln – Ausdehnung der Stundenzahl ist sicherlich das gängigste Mittel – zu versuchen, den Mindestlohn zu umgehen und die Kosten zu senken. Aber das sind aus unserer Sicht eigentlich Übergangsschwierigkeiten. Hier findet auch ein Lernprozess statt, sowohl aufseiten der Arbeitgeber als auch aufseiten der Arbeitnehmer – was geht, und was geht nicht? Und es gibt dann ja auch noch Kontrollen, und das wird sich im Lauf der Zeit einpendeln, denke ich.
    "Schlupflöcher wird man auch wieder schließen"
    Eine Bedienung trägt am 29.10.2013 in Erfurt (Thüringen) in einem Lokal ein Tablett mit Bier. Der Mindestlohn gilt auch im Hotel- und Gaststättengewerbe.
    Der Mindestlohn gilt auch im Hotel- und Gaststättengewerbe. (dpa / Marc Tirl)
    Grieß: Also ist das erst einmal nur ein Problem mangelnder Kontrolle, dass in solchen Branchen wie dem Taxigewerbe zum Beispiel die Schlupflöcher noch genutzt werden können?
    Horn: Ja. Im Moment entdeckt man ja eben Schlupflöcher und versucht sie zu nutzen, und das wird sicherlich im Laufe der Zeit bewertet werden, ob dies ein legitimes Schlupfloch ist oder eben nicht. Und dann muss es eben auch geschlossen werden.
    Grieß: Die Folge wird allerdings sein – bleiben wir noch einmal kurz beim Taxi –, dass die Beförderungsentgelte weiter steigen werden.
    Horn: Ja, es ist klar. Wir wissen aus Studien zur Einführung von Mindestlöhnen, dass es zwei Effekte gibt: Einmal, die Einkommen von sehr niedrig entlohnten Beschäftigten steigen, und zum Zweiten, die Preise in diesen Branchen steigen. Wir werden also in Zukunft sicherlich auch mehr für das Taxifahren bezahlen müssen, ebenso wie wir mehr zahlen müssen dafür, dass wir zum Friseur gehen. Das ist sicherlich eine Folge der Einführung des Mindestlohns.
    Grieß: In welchen anderen Branchen wird es Preiserhöhungen geben oder hat es sie schon gegeben?
    "Einkommen der Einzelnen steigen im Schnitt"
    Horn: Wir sehen es zum Teil schon in der Gastronomie beispielsweise, dass es auch dort zu Preiserhöhungen kommt, in all den Branchen, die bislang eben sehr, sehr niedrige Löhne gezahlt haben, wo es auch teilweise Geschäftsmodelle gab, die einfach auf Lohndumping basierten. Und das ist ja die politische, oder, wenn man will, auch die ethische Entscheidung, dass wir kein Lohndumping mehr wollen in dieser Gesellschaft. Und das heißt umgekehrt, dass wir auch entsprechend zahlen müssen.
    Grieß: Steigen denn im Umkehrschluss tatsächlich auch die Einkommen derjenigen, die nun den Mindestlohn bekommen oder arbeiten die einzelnen Menschen tatsächlich weniger Stunden in der Woche und im Monat, und ihr Einkommen bleibt letztlich gleich?
    Horn: Wir wissen aus der Erfahrung in anderen Ländern, dass die Einkommen der dort Beschäftigten im Schnitt steigen. Das schließt im Einzelfall nicht aus, dass beispielsweise bei Minijobs die Zahl der Stunden reduziert wird. Aber dann fehlt ja auch die Arbeit des Beschäftigten dem Arbeitgeber, und die Frage ist, wie er diese Arbeit ersetzen will – kann er sie überhaupt ersetzen? Auch hier sehe ich eher einen Lernprozess, dass der Arbeitgeber das vielleicht versucht am Anfang und dann im Laufe der Zeit vielleicht feststellt, er benötigt diese Arbeit. Und dann wird er die Stundenzahlen auch wieder erhöhen.
    "Mindestlohn entlastet Staat enorm"
    Gewerkschaften fordern beim DBG-Bundeskongress einen Mindestlohn ohne jede Ausnahme.
    Gewerkschaften fordern beim DBG-Bundeskongress einen Mindestlohn ohne jede Ausnahme. (dpa / Rainer Jensen)
    Grieß: Und folglich gibt es weniger Aufstocker, die einen Teil ihres Einkommens aus der Staatskasse bislang bekommen haben?
    Horn: Einer der Hauptprofiteure der Einführung des Mindestlohns ist der Staat, und zwar in seiner ganzen Breite. Einmal, es gibt weniger Aufstocker, zum Zweiten, die Sozialkassen nehmen auch mehr ein, wenn die Einkommen steigen. Das entlastet den Staat enorm, und sicherlich ist das auch ein Punkt, warum man es eingeführt hat.
    Grieß: Gibt es denn auch Überlegungen oder Bestrebungen der Arbeitgeber, zum Beispiel auch die Effizienz zu erhöhen? Also, das ist beim Taxifahren vielleicht nur durch Geschwindigkeit noch zu erreichen, aber beim Friseur wird darauf geachtet, schneller zu schneiden, oder in der Gastwirtschaft muss man eben zehn Gläser Bier tragen statt vorher fünf?
    Horn: Das sehen wir auch. Natürlich werden die Arbeitgeber überprüfen, wie sie die Arbeit noch effizienter einsetzen können. Das ist eine übliche Reaktion auf steigende Löhne. Das ist aber ja noch nichts Schlimmes, wenn das –
    Grieß: Es erhöht den Stress.
    Horn: Es erhöht vielleicht den Stress, aber wenn Arbeit beispielsweise saisonal sehr stark schwankend abgefragt wird, dass man dann den Arbeitseinsatz vielleicht optimaler anpasst, als man das in der Vergangenheit getan hat, so ist dagegen nichts zu sagen, das erhöht die Produktivität. Das erhöht – dann können die Einkommen aller im Prinzip gleich bleiben, ohne dass in – und real steigen insgesamt sogar für die Beschäftigten, ohne dass wir in irgendwelche Probleme kommen.
    "Deutliche Beschleunigung des Konsums"
    Grieß: Ein Argument war stets für den Mindestlohn, dass eben durch die Einkommenssteigerungen, die wir jetzt ja skizziert haben, in welchen Branchen sie auftreten, auch der Konsum, der berühmte, gestärkt werde, der zwar berühmt ist, aber in Deutschland ja immer etwas schwachbrüstig dargestellt wird. Ist das so? Haben Sie darüber schon Daten, dass der Konsum in Deutschland davon profitiert?
    Horn: Ja, wir sehen hier schon auch aus anderen Gründen eine deutliche Beschleunigung des Konsums im Vergleich zu früheren Jahren, wo er in der Tat sehr mager war. Wir sehen ja generell etwas, höhere Lohnsteigerungen, die führen auch zu einem erhöhten Konsum, wir sehen aber insbesondere eben auch höhere Einkommenssteigerungen an den unteren Lohngrenzen der Beschäftigung, und das dürfte auch auf den Mindestlohn beziehungsweise auf die Tarifverträge zurückgehen, die im Vorfeld des Mindestlohns abgeschlossen worden sind. Und dieses Geld fließt in der Tat ungebremst in den Konsum, weil diese Menschen können einfach nicht sparen, sondern sie haben Mühe, einfach ihre Lebenserfordernisse zu bezahlen. Und das stärkt den Konsum in Deutschland.
    Grieß: Es fehlen aber noch die aussagekräftigen Daten dazu?
    Horn: Das ist richtig. Wenn man eine harte wissenschaftliche Arbeit über diese Thematik schreiben will, muss man einfach noch zuwarten. Daten von 100 Tagen können noch keine signifikante Datenbasis sein.
    "Minijobs werden unattraktiver"
    Ein Arbeitshandschuh in dem ein Fünf-Euro-Schein, eine Zwei-Euro-Münze, eine Ein-Euro-Münze sowie ein 50-Cent-Stück liegen.
    8 Euro 50 verdienen die meisten in der Stunde verdienen (Bild: dpa). (picture alliance / dpa)
    Grieß: Wie geht es denn den Regionen, ist das vielleicht schon zu sagen, die strukturschwach sind, die zum Beispiel im Erzgebirge liegen oder in Mecklenburg oder in Nordhessen oder wohin Sie schauen? Also den Regionen, die einen größeren Anteil schlecht bezahlter, niedrig bezahlter Jobs haben. Fallen dort Jobs weg?
    Horn: Das sehen wir insgesamt noch überhaupt nicht. Wir sehen zwar eine Umschichtung von Jobs. Minijobs werden unattraktiver, das scheint sich schon zu zeigen. Das ist aber noch nichts Schlimmes, wenn daraus dann normale, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Und in dem Bereich sehen wir einen deutlichen Zuwachs. Das heißt, es wird zu Umschichtungen in den Arbeitsverhältnissen sicherlich kommen, aber wir sehen generell gesehen überhaupt nicht, dass Arbeitsplätze wegfallen.
    Grieß: Also war das Klagen und das Lamentieren der Arbeitgeber vorher Ihrer Ansicht nach lediglich Propaganda?
    Horn: Das war auf jeden Fall überzogen. Vielleicht entsprang es berechtigter Sorge, aber diese Sorge hat sich als unberechtigt im Nachhinein erwiesen, wie übrigens in anderen Ländern auch, wo diese Klagen im Vorfeld ja auch gewesen sind.
    "Mindestlohn sollte flächendeckend sein"
    Grieß: Herr Horn, es gibt jetzt einige Gruppen, für die kein Mindestlohn gezahlt wird, zum Teil übergangsweise zunächst einmal nicht. Zeitungszusteller gehören dazu, aber auch in Vereinen, ehrenamtliche Übungsleiter oder durchreisende, transitfahrende Lkw-Fahrer zum Beispiel, die von Polen auf dem Weg nach Belgien sind, müssen in Deutschland während ihres Aufenthalts hier keinen Mindestlohn bekommen. Sind jetzt alle Gruppen versorgt, mit Ausnahmen, die welchen bekommen sollten?
    Horn: Nun ja, es gibt einige Löcher, sie haben ja die Zeitungszusteller beispielsweise genannt, die vielleicht auch noch geschlossen werden müssen im Laufe der Zeit. Denn wenn man einen gesetzlichen Mindestlohn einführt, möchte man das schon flächendeckend und lückenlos machen, sonst ist ja sozusagen die Ausweichmöglichkeit immer noch gegeben. Aber man muss schon sagen, dass durch die Einführung des Mindestlohns, so, wie er jetzt ist, schon viele Löcher geschlossen wurden und es nur begrenzt Möglichkeiten gibt, dem zu entgehen.
    Grieß: Also es gibt keine logischen Gruppen mehr, die noch hineingehörten?
    Horn: Nein. Dass man im Vorfeld Tarifverträge abschließen konnte und damit die Einführung des Mindestlohns in bestimmten Branchen verschieben konnte, das war ja auch bewusst gewollt, weil es ja auch keine Eingriffe in die Tarifhoheit geben sollte. Und immerhin hat man dann Tarifverträge, und das ist zumindest aus Sicht der Gewerkschaften schon ein Vorteil für sich.
    Grieß: 99 Tage Mindestlohn. Das war ein Gespräch mit Gustav Horn, dem Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, das wir kurz vor dieser Sendung aufgezeichnet haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.