Donnerstag, 25. April 2024

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Konkret und unprätentiös

"Mein Gott, Sie leben noch?!", so wurde er, berichtete Alfred Polgar einmal, von einem Bekannten begrüßt, als er aus dem amerikanischen Exil wieder nach Europa zurückgekehrt war. Nicht unähnlich mögen viele Leser reagieren, wenn sie wieder mal auf Polgar stoßen oder gestoßen werden. Schließlich gehört sein Name nicht zu jenen, denen man auf dem Kulturmarkt allenthalben begegnet. Trotzdem lebt er noch, ganz gewiss, und zwar in Gestalt seiner Texte, die voller Witz und Pointen stecken, ohne damit je aufzutrumpfen; und in seiner Sprache, in der Brillanz und Feingefühl sich so kunstvoll wie unvergleichlich verbinden.

Eberhard Falcke | 23.11.2003
    Andererseits verhält es sich heute tatsächlich nicht viel anders als damals in der Nachkriegszeit, von der Polgar noch ein ganzes Jahrzehnt erlebte. Man empfing ihn, wo er erschien, mit Ehren und Hochachtung, doch ein fester Platz in der Gesellschaft der Geistesgrößen wurde daraus nicht mehr. Er selbst betrachtete den kurz aufflackernden Ruhm des Zurückgekehrten nüchtern:

    In Österreich ist ein empfindlicher Mangel an Klassikern ausgebrochen, und da musste ich eben aushelfen."

    Unter Kennern und Liebhabern blieb Alfred Polgar jedoch stets unvergessen. Und an ihnen ist es auch, ihn immer wieder in Erinnerung zu bringen. Und das heißt vor allem: ihn überhaupt wieder einmal in die Regale der Buchhandlungen zu bringen. Schließlich ist die schöne und maßgebliche Ausgabe seiner "Kleinen Schriften" in sechs Bänden, die Marcel Reich-Ranicki und Ulrich Weinzierl Mitte der achtziger Jahre herausbrachten, längst vergriffen.

    Nun hat es Harry Rowohlt übernommen, der literarischen Lebendigkeit Polgars erneut die Reverenz zu erweisen. In dem Band Alfred Polgar - Das große Lesebuch hat er auf rund 400 Seiten seine Auswahl aus dem facettenreichen Werk zusammengestellt und eingeleitet. Weil in dieser Einleitung aber hauptsächlich steht, dass Harry Rowohlt in jüngsten Jahren von seinem "Freund Alfred" einen Brief empfing, sei es dem Autor selbst überlassen, sich vorzustellen. Zumal damit gleich deutlich wird, warum er schon bald als "Meister der kleinen Form" galt.

    "Wurde 1875 in Wien geboren. Mein Vater war Musiker. Ich habe vielerlei studiert und nichts gelernt. War Journalist, Parlamentsberichterstatter, Theaterkritiker. Übersiedelte 1927 nach Berlin und ging 1933 wieder nach Wien zurück. Besondere Kennzeichen meines Lebens: keine."

    Schon diese wenigen Zeilen sagen viel über Polgar und seine Schwäche für das Understatement. Sie äußerste sich auch häufig in ironischer Selbstverkleinerung, deren Ton jedoch gelegentlich ins Bittere hinüberspielen konnte. Ein bisschen kleiner gemacht hat der melancholische Grandseigneur übrigens auch sein Alter. Sein wirkliches Geburtsdatum war der 17. Oktober 1873. Harry Rowohlts Polgar-Lesebuch erscheint also rechtzeitig zum 130sten. Darum sei es erlaubt, noch einmal die Perspektive über diesen 430-Seiten-Band hinaus zu erweitern, um Polgars Ursprungssphäre und erster Heimat einen kurzen Besuch abzustatten. Schließlich lebte er nicht nur im Kaffeehaus, dasselbige war nicht nur Hauptsitz der österreichischen Literatur jener Zeit, Polgar sah sich darüber hinaus mit dem Vorwurf konfrontiert, alle seine Geschichten würden im Café Central spielen. In einem seiner Heimspiele schilderte er das geheimnisvolle Geistesklima dieses Ortes wie folgt:

    Das Fluidum! Ich kann nur sagen: das Fluidum! Es gibt Schreiber, die nirgendwo anders wie im Café Central ihr Schreibpensum zu erledigen imstande sind, nur dort, nur an den Tischen des Müßiggangs, ist ihnen die Tafel der Arbeit gedeckt, nur dort, von Faulenzlüften umweht, wird ihrer Trägheit Befruchtung. Es gibt Schaffende , denen nur im Central nichts einfällt, überall anderswo weit weniger. Es gibt Dichter und andere Industrielle, denen nur im Café Central der verdienende Gedanke kommt, [...] Stumme, die nur im Central ihre oder eines andern Sprache finden.

    Polgar begann seine journalistische Laufbahn 1895 als Theaterkritiker und Feuilletonist. Von Karl Kraus gelobt - oder wie dieser sagte: "in die Literatur eingereicht" -, machte er sich bald als bedeutende und unverwechselbare Stimme einen Namen. Mit Egon Friedell tat er sich als übermütiger Gesellschafts- und Mediensatiriker hervor. Als Kritiker pflegte er erlauchte Feindschaften. Am bedeutendsten war die mit Arthur Schnitzler. Doch auch den Wiener als solchen nahm Polgar - wie könnte es anders sein? - aufs Korn. In der Geschichte "Der verlogene Heurige" ließ er einen fröhlichen Zecher genauso handeln, wie es die weltberühmten Stimmungslieder vorschreiben - mit üblem Ausgang.

    Da habe ich also einmal den legendären Mann gesehen, dem wirklich alles eins ist, der bedenkenlos seine letzte Krone hergibt, der seine Alte ruhig Alte sein lässt, der nur für Bier und Wein schwärmt, der gern bereit wäre, der Welt einen Haxen auszureißen, der immer noch ein Flascherl Wein trinkt, weil es ja nie das letzte sein muss [...] Und was war sein Schicksal? Man hat ihn schmählich hinausgeworfen.

    Dem Polgar der K.u.k.-Zeit allerdings hat Harry Rowohlt nicht allzu viel Platz eingeräumt. Gut möglich, dass auch er dem Café-Central-Horizont nur begrenzte Wertschätzung entgegenbringt. Tatsächlich entwickelte sich ja Polgars Betrachtungskunst umso schneller, als der Erste Weltkrieg diesen Horizont aufsprengte. Nun musste man nicht mehr mit gereiztem Scharfsinn nach Besinnungs- und Empörungsthemen suchen, sie wurden fortan durch die Verschlechterung der Welt tagtäglich in Hülle und Fülle geliefert. Vor allem für jemanden wie Polgar, der allertiefste Abneigung gegen Feldherren und all jene hegte, die sich anmaßten, das Schicksal anderer Menschen den so genannten höheren Zwecken zu unterwerfen.

    Polgars Mitgefühl gehörte den einfachen Menschen, dem Soldaten, dem Angeklagten, dem Dienstmann. An ihren Beispielen exemplifizierte er, was die Verelendung durch den Krieg bedeutete und durch welche Verlogenheiten sie kaschiert werden sollte. Arm in Arm jedoch marschierte Polgar mit niemandem, Paktieren, Parteilichkeit und Proklamieren waren nicht seine Sache. Distanz gehörte praktisch zu seinen Arbeitsmitteln, subtile Andeutungen waren ihm lieber als direkte Botschaften. Dafür konnten seine Subtilitäten messerscharf und eisenhart sein. Oder wie Franz Kafka sagte:

    Unter dem Glacéhandschuh der Form verbirgt sich ein fester, unerschrockener Wille als Inhalt.

    "Nummer 28" heißt ein Text über die Verwandlung des Menschen zu Material. Ein Lehrer, ein Kaufmann und ein Schriftsteller tauschen ihre grässlichsten Kriegserlebnisse aus.

    Der Schriftsteller erzählte: ‚Ich stand vor einer Musterungskommission, bei der wurde folgender Vorgang eingehalten: Die Leute traten nackt in einen Kreidekreis. Dort untersuchte sie der Arzt. Die Tauglichen übernahm dann ein Unteroffizier. Er hatte eine blaue Kreide in der Hand, und mit der schrieb er jedem eine große Nummer auf die nackte Brust. Ich bekam die Nummer 28.
    Pause.

    ‚Nun, und?' fragte der Kaufmann. [...]

    Der Schriftsteller schwieg. Vermutlich schämte er sich, dass er nur so Geringes zum Thema beitragen konnte.

    Polgar erkannte, dass die Nummerierung von Menschen nur ein schlimmes Menetekel sein konnte. Überhaupt entwickelte er auch in weniger dramatischen Fällen zunehmend seinen ganz besonderen Blick auf Menschen und Dinge. Was diesen Blick auszeichnet, ist eine doppelte Fokussierung: Er richtet sich zugleich aufs nahe Liegende und Offenkundige und geht dann doch so weit in die Tiefe, bis am Einzelnen die menschliche, allgemeine Bedeutung deutlich wird. Das ist eines der Geheimnisse von Polgars Beiläufigkeitsstil. Nie musste er große Worte oder Begriffe in Trab setzen, um Bedeutendes zu sagen. Immer ging er von konkreten Einzelheiten aus - unprätentiös. Und stets konnte er seinen Lesern das Überraschungsmoment bieten, welches entsteht, wenn an alltäglichen Gegenständen durch die Kunst der Beschreibung noch etwas anderes durchschimmert, sei es poetischer oder analytischer Natur.

    Mit diesem doppelten Blick durchstreifte Polgar die Metropolen, Wien, Berlin und, später im Exil, Paris. Er besuchte Ringkämpfe, Sechstagerennen, Varieté-Theater, Tennisplätze, Zirkusvorstellungen, Zoologische Gärten, Malerateliers und natürlich Theateraufführungen. Doch seine kritische Arbeit ist ein anderes Kapitel. Dazu nur so viel: Polgar betrachtete die Kunst als eine Erscheinungsweise des Lebens, und das Theater sah er auf einer Ebene mit den Schauspielen der Wirklichkeit. Seine Kritiken besitzen den größten Reiz, wenn sie so klingen, als ginge es statt ums Theater um ein Stück Leben, statt um Literatur um einen Vorgang in der Wirklichkeit.

    Fast ironisch überdreht zeigt dieses Verfahren die hier abgedruckte und ebenso betitelte "Buchbesprechung", die zugleich ahnen lässt, dass Polgars Respekt vor dieser Gattung begrenzt war.

    Kürzlich war ich in Bolivia. Der Mensch hat nun einmal die Sehnsucht ins Weite, fort, zu neuen Ländern und neuen Sternen. Die Reise aber, nach St. Pölten etwa oder nach Vöslau, stößt heute auf allzu gewaltige Schwierigkeiten. Also wählte ich Bolivia. Das heißt: ich entnahm der Leihbibliothek das Buch des Dr. Theodor Herzog: ‚Vom Urwald zu den Gletschern der Kordillere'.

    Und dann geht es auch schon in den Urwald, mit "Wanzen daumengroß!". Was allerdings die Formulierungskunst angeht, so hat ein selbst erlebter Vorfrühling dem Autor noch Besseres entlockt.

    Die Sonne probt, es geht schon ganz gut. [...] Über Baum und Strauch liegt ein Traum von Grünem; im neuen Moos, das den Waldboden deckt, wir er bereits smaragdene Wirklichkeit. [...] Überall strollen Hühner, neu in der neuen Sonne, lernen sich im Freien orientieren und die Gegend kennen. Gefrorene Pfützen, hier und da, warten auf das Unabwendbare. Wenn der Fuß ihr dünnes Eisdeckchen berührt, bricht es wie Glück und Glas: das ist Überwindung durch Gewalt. Wenn die Sonne es bestrahlt, schmilzt es hin: das ist Überwindung durch Liebe.

    Polgars Themenrepertoire war unerschöpflich. Auf den flüchtigen Seiten von Feuilletons und Zeitschriften schrieb er haltbare Literatur. Dennoch lässt sich in dieser hochkarätigen Vielfalt ein roter Faden ausmachen: das ist die fortwährende Entzifferung der Zeitumstände. Glossen, Anekdoten, Skizzen, Betrachtungen, Phantasien, Kommentare, Kurzgeschichten waren dafür die Textformen. Polgar bündelte seine Arbeiten immer wieder zu Büchern, woraus im Lauf seines Lebens eine respektable Bibliographie anwuchs. Der Gedanke an ein großes Werk, das nicht seine Sache war, beschäftigte ihn doch immerhin so sehr, dass er ihn lieber ganz ausdrücklich für müßig erklärte indem er dekretierte:

    Das Leben ist zu kurz für lange Literatur, zu flüchtig für verweilendes Schildern und Betrachten, zu psychopathisch für Psychologie, zu romanhaft für Romane, zu rasch verfallen der Gärung und Zersetzung, als dass es sich in langen und breiten Büchern lang und breit bewahren ließe.

    Ganz überzeugen konnte dieser kühne Vorstoß aber auch seinen Urheber nicht. Die Schwierigkeit, aus den "kleinen Formen" ein Werk aufzubauen, ließ ihn nicht los. Dabei fehlte es nicht an Anerkennung. Wenige Autoren dürften von zeitgenössischen Kollegen soviel Hingebungs-volles Lob erfahren haben wie Polgar. Karl Kraus, Kurt Tucholsky, Joseph Roth, Franz Kafka, Arnold Zweig drückten in geschliffenen Wendungen ihre Hochachtung aus.

    Worin liegt nun die besondere, wahrlich ganz eigentümliche Brillanz des "Marquis Prosa", wie Anton Kuh ihn nannte? Zunächst und vor allem darin, dass ihr Glanz weder blendet noch verblendet. Er stößt seine Leser nicht auf Respektsabstand zurück, sondern lockt mit warmem Schimmer heran. Zart, menschlich, melancholisch. Doch nie süßlich, menschelnd, sentimental. Polgar war kein Geistreicher von der kalten Sorte, der allein um der Wirkung willen die Worte dreht und wendet, bis sie schwindlig ihr Witzchen erbrechen. Er ist ein empfindsam Geistreicher und eine geistreich Empfindender.

    Kaum je tragen seine Texte den Stempel von Polemik, Satire, von unerbittlicher Diagnose und unbestechlicher Beobachtung, und so ist auch nicht ihr Ton. Trotzdem enthalten sie von all dem eine Menge. Besonders in Fragen von Politik und Doppelmoral konnten sie eine eminente Schärfe entwickeln. Nur argumentieren sie kaum je frontal und mit Bedeutsamkeitsgestus. Für den großen, auftrumpfenden Ernst war Polgar zu melancholisch. Und zu raffiniert.

    Von der eigenen Person mochte der vornehme Polgar nicht viel Aufhebens machen. Sogar die Beschreibung seiner Poetik versteckte er diskret in der Betrachtung über ein ganz anderes Metier.

    Der Mann, der hinter dem Schlagwerk der Jazzband sitzt, hält es durchaus mit den Schwächeren. Ein Freund der geringen, der unbetonten Taktteile ist er. Er tut für seine Schützlinge, was er nur kann, schiebt sie in den Vordergrund, rettet sie, mit markigen Schlägen den Rhythmus teilend, wenn sie in diesem untergehen wollen. Etwas Justamentiges, Revolutionäres ist in seinem Getrommel. Gegen den Strich trommelt er. ... Die Synkope ist Salz und Würze der zeitgerechten Tanzmusik. Und nicht nur der Tanzmusik. Die Synkope ist ein Symbol unserer widerspenstigen Tage, das Symbol einer aus dem Takt geratenen Welt.

    So schrieb Polgar in den zwanziger Jahren und führte als Beispiele neben sozialen Umwälzungen, Relativitätstheorie, Psychoanalyse, Literatur, Wirtschaft und Sexualmoral auch die Damenmode an:

    In der Hotelhalle sitzen die Damen und duften. Der Akzent des Gewandes ist dort, wo es nicht ist. Der Rhythmus des Kleides wird durch die Betonung der Nacktheit synkopiert.

    Die Synkope, die Betonung unbetonter Taktteile, erklärte Polgar zum Charakteristikum seines Schreibens. Sie ist das Merkmal seines Stils ebenso wie die Art seiner Weltbetrachtung. So ließ er seinen Blick oft genug und oftmals auf überraschende, wenn nicht verblüffende Weise an den großen Hauptsachen vorbeistreifen, um nachzuschauen, was das Kleine, Unscheinbare, scheinbar Nebensächliche über den schlingernden Lauf der Welt und den zunehmend wackligen Stand der Dinge verraten können.

    Ich will lieber die Büste meines Briefträgers auf den Schreibtisch stellen als die des großen Napoleon.

    Auch wenn er über die absurden und destruktiven Wege des Lebens schrieb, näherte er sich dem Thema ganz nebenher über die possierliche Figur eines zerstreuten Professors.
    Aber nicht nur Professoren der Mathematik, auch gemeineren, allgemeineren Menschen widerfährt es, dass sie, Ziel und Absicht ganz verlierend, von einer Handlungsreihe in die andere hineingleiten [...] Unser Erdenwandel ist ein verwickeltes System von zwangsläufigen Ablenkungen. Ohne es zu wissen, in Zerstreutheit des Gemüts und der Nerven, sagen wir B, nur weil wir A gesagt haben ... und merken zum Ende erschüttert, dass ein ganz anderer Text gültig dasteht als der, den wir leben wollten.

    Im Falle Polgars war es das "monströse Arschloch aus dem Inn Viertel", wie er Hitler privat und bitter titulierte, das in seinen Lebenstext am schlimmsten hineinpfuschte. Die Vereinigten Staaten boten ihm Zuflucht, einen neuen Wirkungskreis konnten sie ihm, ebenso wenig wie vielen anderen Emigranten, nicht geben. Die Neue Welt blieb ihm fremd und Europa wurde es. In der Erzählung "Der Mantel", einer der wenigen Geschichten, die er in den Staaten veröffentlichen konnte, zeichnete er den Nazi-Büttel, den Diktatoren-Knecht schlechthin, mit unvergleichlicher Prägnanz.

    Durch das Kellerfensterchen konnte Herr Swetz den Menschen sehen, der draußen auf und ab ging. Ja, das war einer von ihnen! Die Visage mit dem hineingekniffenen stupiden Ausdruck von Überlegenheit, der Fischaugen-Blick, immerzu auf ‚durchbohrend' eingestellt, die starre, wie gepanzerte Fresse - unverkennbar: Herrenrasse.

    Was lässt sich zu Harry Rowohlts Polgar-Auswahl sagen? Er selbst sagt dazu nichts. Stattdessen bezieht er die Liebhaber-Position, die in seinen Augen Begründungen und philologische Überlegungen offensichtlich überflüssig macht. Als Liebhaber, der sich auch selbst mächtig lieb hat, führt er im Vorwort, wie es seine Art ist, das immerwährende Harry-Rowohlt-Brettlstück auf. Was ja auch ganz lustig ist. Immerhin verrät er, dass er sein Lesebuch auf der Grundlage der Polgar-Ausgabe von Reich-Ranicki und Ulrich Weinzierl erstellt hat. Und da Polgars Werk viel mit einer Perlenkette gemeinsam hat, kann keine Auswahl sonderlich fehlgehen, am wenigsten wenn sie dem lockeren Prinzip eines "Lesebuchs" folgt.

    Wenn Harry Rowohlt gleich zu Beginn seiner Ausführungen das Gefälle zwischen Polgar und Reich-Ranicki bemosern muss - dann mag darüber schmunzeln, wer will. Tucholsky nannte Polgar den "feinsten und leisesten Schriftsteller unserer Generation". Daraus lässt sich eine zuverlässige Distanz sowohl zu Reich-Ranicki als auch zu Harry Rowohlt erschließen. Doch lassen wir das und seien wir froh, dass Polgar so prominente Freunde aus ganz verschiedenen Lagern hat, die ihn aus dem Hinwegsinken in die Vergessenheit immer wieder herausreißen.

    Alfred Polgar
    Das große Lesebuch
    Kein & Aber, 400 S., EUR 19,-