Dienstag, 19. März 2024

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Konrad Adenauers Wohnhaus
"Hier wurde seine Politik erdacht"

"Das Haus erzählt ganz viel vom Menschen Konrad Adenauer, von seinen Vorlieben, von seinen Angewohnheiten, von seinen Eigenschaften", sagte Corinna Franz, Geschäftsführerin der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus im Dlf. Es ermögliche aber auch einen unmittelbaren Zugang zu seiner Politik.

Corinna Franz im Gespräch mit Michael Köhler | 04.08.2018
    Corinna Franz, Leiterin des Adenauerhauses in Rhöndorf bei Bonn
    Adenauer fand in Rhöndorf eine neue Heimat für sich und seine Familie - heute ist das Haus ein Erinnerungsort (Deutschlandradio / Michael Köhler)
    Michael Köhler: Corinna Franz, wir sitzen oberhalb des Rheins in Rhöndorf im Originalwohnhaus des ersten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauers, das er 1937 erbaut hat und das er bis zu seinem Tod 1967 bewohnt hat. Das alleine ist schon besuchenswert. Warum ist das ein besonderer Erinnerungsort? Wir sind gerade so eine gute Stunde in Ihrer Dauerausstellung gewesen und haben da den Weltpolitiker Adenauer kennengelernt. Hier lernen wir einen anderen kennen?
    Corinna Franz: Ja, das Haus erzählt ganz viel vom Menschen Konrad Adenauer, von seinen Vorlieben, von seinen Angewohnheiten, von seinen Eigenschaften. Es ist gebaut worden 1937 als Privathaus für eine große Familie, ist immer auch ein Privathaus geblieben, auch in den Kanzlerjahren. Es war für Adenauer das private Refugium, hier fand er Ruhe, fand Entspannung und Erholung, aber es war auch der Ort für seine politische Inspiration, denn hier konnte er nachdenken. Im Grunde genommen können Sie sagen, hier wurde die Politik erdacht und in Bonn gemacht. Insofern ist es nicht nur ein Privathaus, sondern zugleich ein hochpolitischer Ort.
    Erfahrung der Entrechtung
    Köhler: Er hat sich inspirieren lassen. Es ist sehr kulturvoll, sehr viel sakrale Kunst, sehr viel aber auch Malerei, ein Ort der Ruhe, man guckt über den Rhein in die Weite hinaus. Er wusste, was er tat, wenn er sich bemühte, mit seiner Politik in den Kreis der zivilisierten Völker zurückzufinden, die großen Ziele – Westbindung, Wohlstand, Prosperität, Aussöhnung mit Frankreich, Aussöhnung mit Israel –, das ist alles gewachsen auf dem Boden doch von sehr handfesten persönlichen Erfahrungen, ne?
    Franz: Ja, Adenauer hat das Haus gebaut 1937, das heißt, damals war er entlassener Oberbürgermeister von Köln. 33, durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten, hat er sein Amt verloren.
    Köhler: Wenige Monate oder Wochen nach der Machtergreifung schon?
    Franz: Ja, er hat nicht gemeinsame Sache mit den Nationalsozialisten gemacht. Er hat dafür mit seiner Entlassung bezahlt, fast auch mit seinem Leben, musste Köln verlassen, hat hier in Rhöndorf eine neue Heimat für sich und seine Familie gefunden und hier in diesem Haus auch den Krieg überlebt, überdauert. Diese Erfahrung des Dritten Reiches, der Diktatur, hat sich bei ihm sehr tief eingeprägt, seine Politik als Bundeskanzler, als Nachkriegspolitiker maßgeblich geprägt.
    Köhler: Wie sitzen an einem authentischen Lebensort, so was gibt's ja viel. Wir könnten die Wohnräume von Willy Brandt besucht haben oder von anderen Persönlichkeiten. Es ist im Moment in der Ausstellungspraxis ein kleiner Trend fast zu erkennen zur Repersonalisierung, also man kann im Kanzlerbungalow zu Bonn vielleicht noch die Zigarettenschachtel von Helmut Schmidt sehen, die er benutzt hat, und Ähnliches. Wie werden Sie der Person und dem Politiker als Museumsfrau gerecht, wie erinnern Sie Konrad Adenauer?
    Franz: Auf zweifache Art und Weise. Hier im Wohnhaus, wo wir jetzt sitzen, begegnet uns Adenauer sehr direkt. Das ermöglicht einen unmittelbaren Zugang zur Person. Die Person spricht quasi zum Besucher.
    Köhler: Wir kommen durch den Rosengarten, den buchstäblich bekannten, zu ihm herein in ein bürgerliches Wohnhaus der 50er-Jahre – mit Teppichboden, mit Sofa, mit sehr gepflegten Möbeln, mit Madonnenfiguren, mit Gemälden, mit Standuhren und so weiter.
    Konrad Adenauer (CDU) an seinem Schreibtisch (undatiert). Er wurde am 15. September 1949 zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt und hatte das Amt bis zu seinem Rücktritt am 15. Oktober 1963 inne. 
    Konrad Adenauer an seinem Schreibtisch in Rhöndorf (dpa / Alfred Hennig)
    Bürgerliche Wohnkultur der 50er Jahre
    Franz: Ja, aber Sie erleben hier im Grunde genommen eine Zeitreise in die Welt von gestern. Sie sehen hier bürgerliche Wohnkultur, großzügig und bescheiden zugleich. Wenn Sie mit jungen Menschen hier durchgehen, mit Schülern von heute, die staunen: So einfach hat ein Bundeskanzler gelebt? Das ist kaum fassbar für junge Menschen heute. Also bürgerliche Wohnkultur zeigt sich hier, es zeigt sich im Haus auch noch eine Welt, in der Religion einen festen Platz im Leben hat. Wir sitzen hier neben einer Madonna, wir sehen Heiligenfiguren. Adenauer hat sich mit religiöser Kunst umgeben, wenn er aus dem Fenster schaute, blickte er auf die Rhöndorfer Pfarrkirche. Glaube, Religion hatte einen festen Platz in seinem Leben, und der Besucher merkt, hier lebte ein gläubiger Katholik.
    Köhler: Er hat im Kloster Maria Laach Unterschlupf gefunden auf der Flucht vor den Nazis, nicht wahr?
    Franz: Ja, es war die kirchliche Welt, die ihn aufgefangen hat in einer für ihn sehr dramatischen Situation.
    Köhler: Das mit dem Katholizismus ist nicht ganz unwichtig. Wir sind im Nachkriegsdeutschland, und da ist einer, der katholisch fundiert ist, der die Entrechtung erlebt hat, der die Macht der Nazis erlebt hat, der erlebt hat, wie er selber aus den Ämtern geflogen ist, der auch gesehen hat, wie andere entrechtet wurden. Ist das ein wichtiger Punkt auch für seine Nachkriegspolitik, also Aussöhnung mit Israel, mit Frankreich, seine Freundschaft mit Staatsgründer Ben-Gurion, viele solcher Dinge – Westanbindung, NATO-Eintritt, aber auch Wiederbewaffung, Festhalten an der Wiedervereinigung, also diese politischen Maximen?
    Frieden, Freiheit und Aussöhnung
    Franz: Diese Erfahrung prägt sich Adenauer tief ein. Er erlebt 1933 das Ende einer Demokratie wie alle anderen Väter und Mütter des Grundgesetzes auch, und die Lehren dadraus finden sich eben in der politischen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland wieder. Und für Adenauer lauteten sie ein starker Kanzler, stabile politische Mehrheiten, innerer Frieden. Das waren die Hauptmaximen nach innen und nach außen, natürlich Versöhnung, Verständigung, Wiedergewinn von Vertrauen. Nach all dem, was die Deutschen angerichtet hatten in der Welt, brauchte Deutschland wieder Freunde in der Welt.
    Köhler: Ich ärgere Sie einmal und sage, was erwidern Sie jemandem, der sagt, ach, das ist ja Heiligenverehrung, das ist moderne Hagiografie, was ihr da macht, das ist Personenkult. Was erwidern Sie?
    Franz: Natürlich ist die Gefahr da, gerade wenn man hier im Wohnhaus ist, dass man in den Bann gezogen wird von diesem Menschen Konrad Adenauer. Und genau aus diesem Grund haben wir neben dem Wohnhaus noch eine ständige Ausstellung, die letztes Jahr komplett überarbeitet worden ist und die diese Erzählperspektive dreht. Es ist in der Ausstellung der Besucher, der auf Adenauer blickt, der auch die notwendige Distanz zu Adenauer aufbauen kann. Adenauer wird in dieser Ausstellung in seiner Zeit verortet, und das lässt uns auch Raum für Widersacher, für politische Alternativen, für Proteste, also auch das kommt in der Ausstellung zu Wort.
    Köhler: Es muss einem klar sein, wo der herkommt. Der ist fünf Jahre alt, da ist gerade das Reich gegründet worden, das heißt, der kommt aus dem Wilhelminismus, aus der Kaiserzeit.
    Franz: Er hat ein wahnsinnig langes Leben, als Oberbürgermeister von Köln wird er noch auf den König von Preußen vereidigt, durchlebt dann in dieser Funktion die ganze Weimarer Republik, erlebt das Scheitern der Demokratie, durchleidet den ganzen Nationalsozialismus ohne Amt und Funktion in der inneren Immigration, um dann im Alter von 73 Jahren die Geschicke als Bundeskanzler zu leiten, also ein enormes Spektrum, beginnt sein Leben quasi in der Bismarck-Zeit und er endet, als die Amerikaner ansetzen, auf dem Mond zu landen.
    Adenauers Politik prägt bis heute
    Köhler: Was sind die größten Errungenschaften, wo Sie sagen, das macht heute, 2018, Sinn, sich an die Person zu erinnern?
    Franz: Konrad Andenauer hat die Weichen gestellt für die Politik, die uns bis heute begleitet. Er hat für eine stabile Demokratie gesorgt, die Deutschen mit der Demokratie versöhnt. Wir verdanken ihm die soziale Marktwirtschaft, die Aussöhnung mit Frankreich, die Westbindung, die europäische Integration. Heute ist es selbstverständlich, dass wir Verantwortung für Israel tragen - 1952 hat Konrad Adenauer das erste Wiedergutmachungsabkommen mit Israel geschlossen und den Prozess in die Wege geleitet, der uns bis heute begleitet. Wir sehen also, die zentralen Themen der Adenauer-Zeit sind bis heute brandaktuell.
    Köhler: Ich darf Sie nicht entlassen, ohne mit zwei populären Vorurteilen oder persönlichen Vermutungen aufzuräumen: Was ist dran an der Mär vom Rosenzüchter, vom Erfinder, vom Boule spielenden Familienpatriarchen, was war er für einer, was ist Ihr Lieblingsobjekt hier im Haus?
    Franz: Ja, wir schauen raus in einen wunderbaren malerischen Garten, in dem im Sommer die Rose dominiert, das Markenzeichen des Gartens, aber Adenauer war nie Rosenzüchter, sondern er liebte die Rose nur als Königin der Blumen. Und die Konrad-Adenauer-Rose, die auch hier im Garten blüht, ist nach ihm benannt, aber vielleicht auch mein Lieblingsgegenstand hier in diesem Ensemble aus Garten und Wohnhaus.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.