Archiv


Konsequente Kostenkontrolle

Wenn ein Bäcker seinen Teig selbst herstellt, macht weniger Gewinn, als wenn er ihn aus Osteuropa importiert. Ähnlich ist es mit dem Journalismus, sagt unser Kommentator: Auch der wird von privaten TV-Sendern zum Beispiel immer günstiger eingekauft. Das merkt man an der Qualität.

Von Rüdiger Heimlich |
    Neulich beim Frühstück meinte mein Sohn: Papa, hast du gewusst, dass die Brötchen gar nicht von unserem Bäcker sind! – Wieso, sag' ich, man kann doch zusehen, wie sie aus dem Ofen kommen. – Die werden da nur aufgebacken, sagt er. Der Teig kommt aus Osteuropa. Da kann man das alles viel billiger kneten und hier damit bessere Gewinne machen. Also ein Bäcker, der noch selber bäckt, der kann nicht rechnen. Deshalb steht auch kein Bäcker mehr im Laden, sondern eine Verkäuferin. Die muss nicht backen können, aber richtig abkassieren.

    Hey, sag ich, das ist ja wie bei ProSiebenSat1. Da lesen demnächst auch nur noch Verkäufer die Nachrichten ab und das Großraumbüro mit dem Newsdesk und all den wuseligen Journalisten im Hintergrund, das ist wahrscheinlich irgendeine outgesourcte Nachrichtenfabrik in Osteuropa. Also wer heute noch Nachrichten selber macht, sagen die bei ProSiebenSat1, der kann nicht rechnen. Und die Manager bei ProSiebenSat.1, die können rechnen. Das sind schließlich auch keine Bäcker mehr, sondern Finanzinvestoren. Und ob die Brötchen oder Kurzwaren verkaufen, das ist denen ziemlich wurscht. Nur die Rendite muss stimmen.

    So ein Bäcker hat's aber auch nicht leicht, sagt mein Sohn. Brötchen gibt’s schließlich überall. Da gibt’s Backshops und Citybäcker, Backhütten und Backwerke, und bei der Konkurrenz muss man eben sehen, dass man billig produziert. In manchen Bäckereien gibt’s nicht mal mehr Verkäufer, da muss man sich selbst bedienen.

    Hey, sag ich, das ist ja wie im Internet. Da musst du dir die Nachrichten auch mit der Zange aus der Box ziehen und weiß nicht: Wo kommen die her, was ist da drin und wer hat sie gebacken. Früher waren Nachrichten das "Schwarzbrot" des Journalismus und guter Journalismus war der Stolz jedes publizistischen Unternehmens. Heute wird kaum mehr Schwarzbrot angeboten, dafür immer mehr Süßwaren. Da werden ganz kleine Brötchen gebacken. Es wird gespart, gepoolt und fusioniert, dann aufgelöst und ausgelagert und zuletzt, ohne dass das so recht noch einer merkt, sind die Nachrichten ganz weg. So wie die Journalisten: Früher saßen sie hinter ihrem eigenen Schreitisch, jetzt sitzen sie am Newsdesk und morgen als Leiharbeiter hinter einem Textverarbeitungsprogramm. Den Laptop werden sie vermutlich selber mitbringen müssen.

    Bei ProSiebenSat1 nennt man das "konsequente Kostenkontrolle". Und ProSiebenSat1 ist ein echtes Kontrollwunder. Da schrumpft der Werbemarkt, die Umsätze sinken, der Konzern schiebt 3,5 Milliarden Euro Verluste vor sich her, er zahlt über 200 Millionen Euro Kreditzinsen im Jahr und muss sich jetzt von N24 trennen. Und der Vorstandschef sagt, dass sie dafür wohl nicht viel verlangen können. Und die Aktie? Die steigt und steigt und steigt. Man fragt sich, wieso und warum.

    Tja, meint mein Sohn, das ist wahrscheinlich wie bei diesen Brötchen. Der Teig ist winzig, aber beim Backen gehen die Dinger mächtig auf. Nur aufschneiden darfst du sie nicht.