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Konservativer Liebling der liberalen und linken Kritik

Als "schreibender Verleger" baute Wolf Jobst Siedler seinen Verlag nach einem einfachen Prinzip auf: Was er gerne lesen würde, veröffentlicht er. Dabei hat er ohne politische Scheuklappen gearbeitet. Am 17. Januar 1926 wurde er geboren.

Von Peter Hölzle | 17.01.2011
    Wolf Jobst Siedler: "Ich war ja damals Feuilletonchef des Tagesspiegels. Und dann kam plötzlich Axel Springer und sagte: 'Sind Sie mit dem Tagesspiegel verheiratet?' Ich sagte: 'Nein, ich habe ein sehr angenehmes Liebesverhältnis mit ihm.' - 'Können Sie sich vorstellen, dass Sie untreu werden?' - 'Herr Springer, es kommt immer darauf an, wie hübsch die andere ist.' - 'Na ja, es wäre der Propyläen Verlag.' Und da war ich am nächsten Tag Chef des Propyläen Verlags."

    So erinnert sich Wolf Jobst Siedler an seinen überraschenden Berufswechsel. Der am 17. Januar 1926 geborene Berliner gehört zur seltenen Spezies der "schreibenden Verleger". Und innerhalb dieser raren Gattung ist er ein Solitär, der als Schreiber genauso erfolgreich ist wie als Büchermacher. Für diese Doppelbegabung ist er oft ausgezeichnet worden. Als er 2001 den Nationalpreis erhielt, sagte Altbundespräsident Richard von Weizsäcker über ihn:

    "Siedler ist ein Verleger, der seine Autoren immer wieder in Verlegenheit bringt, weil er zumeist besser schreibt als sie."

    Wie brillant er schreiben kann, das beweist er in zahllosen Büchern, die ihn in verschiedenen Rollen zeigen: Als scharf beobachtenden Flaneur in Berlin und Umgebung, als Kritiker verfehlter Stadtpolitik, als nachdenklicher Nostalgiker untergegangener Welten, sei es Preußen, das Alte Europa oder das Bürgertum, und - als Essayist und Memoirenschreiber. Welch elegante Feder Siedler führt, lässt sich aber auch an seinen journalistischen Arbeiten ablesen. Über Jahrzehnte pflegte er beinahe alle Genres dieses Metiers und war in fast allen großen Tages- und Wochenzeitungen präsent. Kein Wunder, dass ihn die Frankfurter Allgemeine als Herausgeber und Die Zeit als Chefredakteur gewinnen wollten, aber Siedler ist zu sehr eingefleischter Berliner, als dass er andernorts hätte heimisch werden können.

    "In Berlin war ich zu Hause, auch im geistigen Sinne, das wollte ich nicht aufgeben."

    Und von diesem Berlin - genauer gesagt - von Westberlin aus hielt er allen Widrigkeiten des Kalten Krieges zum Trotz die Hoffnung auf Wiedervereinigung aufrecht, war aber doch überrascht, als sie schneller kam, als er vorhergesagt hatte.

    Sein Erfolg als Verleger beruht auf einem einfachen Rezept. Als er 1963 im Propyläen Verlag anfing, wurde er von Journalisten gefragt, was er verlegen wolle. Seine Antwort war, wie er sich später erinnert, kurz und knapp:

    "Alles, was ich gerne lesen würde. Und so ist es eigentlich geblieben. Alle möglichen großen Namen machte ich nachher: Albert Speers Erinnerungen, Fests Hitler-Biografie, also alles, was mich interessierte und was meine Vorstellung von Niveau erfüllte."

    Nachdem sich Siedler 1980 mit einem eigenen Verlag selbstständig gemacht hatte, den er zunächst mit dem Filmproduzenten Jochen Severin und ab 1983 allein führte, wurde sein Unternehmen zum Hausverlag der politischen Prominenz. Neben Speer und Fest publizierten Willy Brandt, Helmut Schmidt, Franz Josef Strauß, Richard von Weizsäcker, Hans-Dietrich Genscher, Michail Gorbatschow und Boris Jelzin bei Siedler. Die Bandbreite von rechts außen nach links außen zeigt: Hier ist einer am Werk, der ohne ideologische Scheuklappen durch die Bücherwelt geht.

    "Nie bin ich zurückgeschreckt vor linken und rebellischen Autoren. Peter Glotz und Egon Bahr sind ja alle bei mir erschienen, aber ich selber glaube, die Funktion des Intellektuellen ist in der Gegenwart eher die des Bewahrens als die des Umstürzens. Und das charakterisiert vielleicht mich, auf jeden Fall mein Verlagsprogramm."

    Der liberale Verleger im konservativen Publizisten - diese Doppelnatur lebt Siedler überzeugend bis heute. Daher seine Wertschätzung auf der rechten wie auf der linken Seite des demokratischen Spektrums, an die er bisweilen mit dem Wort eines Bundeskanzlers erinnert:

    "Mir sagte Willy Brandt: Über Gerhart Hauptmann hat man ja Anfang des Jahrhunderts gesagt: 'der germanische Liebling der jüdischen Kritik', denn alle seine Gönner von Alfred Kerr bis Siegfried Jacobsohn waren Juden. So könnte man von Ihnen, Herr Siedler, sagen: 'der konservative Liebling der liberalen und linken Kritik.'"