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Konservierte Akustik
Forscher rekonstruieren den Klang von Notre Dame

Bei dem Großbrand Mitte April 2019 in der Kathedrale Notre-Dame de Paris wurden nicht nur viele Kunstschätze zerstört, sondern auch die einzigartige Akustik. Die können Forscher jedoch beim Wiederaufbau rekonstruieren, denn sie haben vor sechs Jahren den Klang der Kathedrale vermessen.

Von Piotr Heller | 21.06.2019
Der Altar in der vom Feuer zerstörten Kathedrale Notre-Dame in Paris, Frankreich, 16.04.2019
Der Altar in der vom Feuer zerstörten Kathedrale Notre-Dame in Paris, Frankreich, 16.04.2019 (AFP / Ludovic Marin)
2013 betrat Brian Katz mit seinen Kollegen Notre Dame. Unter dem Jahrhundertealten Gewölbe bauten sie Lautsprecher und Mikrofone auf.
"Wir stellten die Lautsprecher an einer Stelle in der Kathedrale auf und die Mikrofone an einer anderen. Dann haben wir gemessen, wie der Raum das Geräusch zwischen Lautsprecher und Mikrophon verändert."
Mit diesen Messungen haben die Akustiker von Frankreichs Nationalem Zentrum für wissenschaftliche Forschung ihr Computermodell von Notre Dame geeicht.
"Man nennt das ein geometrisches akustisches Modell. Das ist wie ein 3D-Modell, aber jede Oberfläche hat auch akustische Eigenschaften: Wie sehr schluckt sie den Schall? Wie streut sie ihn? Bei Notre Dame haben wir das mit Hilfe von Grundrissen, Zeichnungen und 3D-Scans erstellt."
Forscher haben den Klang von Notre Dame vermessen
Dieses fertige Modell kann folgendes: Man gibt ihm irgendein Geräusch und es berechnet, wie dieses Geräusch in Notre Dame mit dem typischen Hall der Kathedrale klingen würde. Solche Modelle sind eigentlich dafür gedacht, Konzerthallen zu entwerfen. Brian Katz und seine Leute haben es für etwas anderes benutzt. Zum 850-sten Geburtstag im Jahr 2013 ist in Notre Dame ein Konzert aufgeführt worden. Die Akustiker wollten Menschen auf der ganzen Welt daran teilhaben lassen, so als wären sie vor Ort.
"Es gab ein großes Orchester, zwei Chöre und weitere Musiker. Sie waren in der Kathedrale verteilt. Das Pariser Konservatorium hat alles aus nächster Nähe aufgenommen. Wir haben diese vergleichsweise trockenen Aufnahmen genommen, hatten außerdem das Wissen, wo die Musiker standen, und haben damit unser Modell gefüttert."
Trocken heißt: Ohne Hall, ohne den akustischen Einfluss des Raumes. Mit ihrem Modell konnten die Forscher nun berechnen, wie die Musik an jedem beliebigen Punkt der Kathedrale geklungen hat.
"Was wirklich bemerkenswert ist: Wenn man die Gelegenheit hat, ein Konzert in Notre Dame zu hören (und keine Angst hat, seinen Platz zu verlieren) dann kann man mal aufstehen und herumlaufen. Dann hört man erst, wie die Akustik an jedem Ort die Musik beeinflusst. Das wollten wir rüberbringen. Wir lassen den Hörer praktisch auf einem fliegenden Teppich durch die Kathedrale gleiten. Der fliegt dann sogar bis hoch auf die Emporen."
Akustisches Modell für Wiederaufbau der Kathedrale
Wer will, kann sich diese Simulation auf Youtube ansehen. Sie ist sozusagen eine Demonstration des Könnens und des Wissens, das Katz in anderen Forschungsprojekten erarbeitet hat. Jetzt, nach dem großen Brand, hat das Modell plötzlich eine ganz neue Bedeutung bekommen.
"Die Leute haben begonnen, über die Akustik von Notre Dame zu sprechen. Ist sie für immer verloren? Können wir sie zurückbringen? Da ist uns klar geworden, dass wir so ziemlich das einzige Team sind, das Notre Dame akustisch vermessen hat. Das Modell hat also einen dokumentarischen, historischen Wert. Wir können damit aber auch in die Zukunft rechnen und sagen: ‘Wenn ihr beim Wiederaufbau das und das macht, wird das die Akustik so beeinflussen.‘"
Dazu müssen sie das neue Dach nur in das Modell einbauen. Wie eng sein Team tatsächlich in den Wiederaufbau eingebunden sein wird, wisse Brian Katz noch nicht, sagt er. Aber er arbeitet daran, dass die richtigen Architektur- und Kulturerbe-Organisationen von seiner Forschung erfahren.