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Konservierungsmittel für das Hirn

Medizin. - Nach heutigem Wissenstand ernährt sich richtig, wer viel Obst und Gemüse zu sich nimmt. Äpfel, Trauben, Karotten, Tomaten und Co. besitzen eine Vielzahl an Inhaltsstoffen, die Zellen vor Stress schützen. Reichlicher Obst- und Gemüseverzehr mindert auch das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs. Jetzt stießen Wissenschaftler überdies auf erste Hinweise, dass auch die kleinen grauen Zellen vom Grünzeugkonsum profitieren. Besonders vorteilhaft seien Beerenfrüchte, den sie halten das Gehirn offenbar bis ins hohe Alter fit.

Volker Mrasek | 22.12.2003
    Eine Schräge mit 60 Prozent Gefälle. Ein Laufrad, das sich immer schneller dreht. Ein Labyrinth in einem Wasserbecken. All das hat James Joseph installiert in seinem Ernährungslabor an der Tufts-Universität in Boston/USA - für seine Versuchstiere. "Ratten-Olympia" - so nennt der Neurowissenschaftler den Aufbau scherzhaft. Dahinter steckt allerdings ernsthafte Forschung, über alternde graue Zellen und die richtige Ernährung dagegen. In dem Parcours müssen die Nager ihre motorischen und kognitiven Fähigkeiten beweisen: Halten sie die Balance auf dem Laufrad? Finden sie durch den Irrgarten? Und das im senilen Alter, in das auch Ratten irgendwann einmal kommen ...

    Wenn diese Tiere altern, lassen ihre motorischen und kognitiven Fähigkeiten nach, ganz wie beim Menschen. Wir haben solche Ratten genommen, sie unterschiedlich gefüttert und über unseren Parcours geschickt. Bei einer Gruppe wurde die Nahrung acht Wochen lang mit Obst und Gemüse ergänzt: Heidelbeeren, Erdbeeren, Spinat. Und: Diese alten Ratten bekamen die Übungen viel besser hin als Artgenossen mit normaler Laborkost.

    Dafür macht der US-Forscher Anthocyane verantwortlich: die farbgebenden Stoffe in den Schalen vieler Früchte, vor allem der dunklen. Anthocyane geben Weintrauben die tiefen Blautöne und Auberginen das Violette. Doch es sind mehr als nur Farbpigmente. Von den Biomolekülen ist bekannt, dass sie antioxidativ wirken, also zellschützend. Manche gelten auch als entzündungshemmend. Besonders viele Anthocyane stecken in der Haut von Beerenfrüchten. Mit Heidelbeeren erzielte James Joseph die stärksten motorischen Verbesserungen im Experiment mit den gealterten Ratten:

    Wir wissen, dass die Beeren die Bildung neuer Nervenzellen unterstützen. Man nennt das Neurogenese. Außerdem fördern sie die Kommunikation zwischen den Nervenzellen, den Austausch von Botenstoffen. An unseren Ratten können wir sehen, dass bestimmte dieser Signal-Moleküle bei einer Beeren reichen Kost stärker aktiviert werden.

    Dass sie das Nervensystem stimulieren und dadurch offenbar neuronalen Alterungsprozessen entgegenwirken - das, glaubt Hirnforscher Joseph, könnte sich am Ende als nützlichste Eigenschaft der Frucht-Farbstoffe erweisen: Anthocyane als Treibstoff für unsere grauen Zellen. Allerdings stellt sich die Frage: Sind die Ergebnisse aus dem Tierlabor überhaupt auf den Menschen übertragbar? Joseph, der selbst täglich Blaubeeren isst, wie er sagt, hat da keinen Zweifel:

    Wir arbeiten mit einer Forschungsgruppe der Universität von Südflorida zusammen. Sie hat ein Maus-Modell für die Alzheimersche Krankheit entwickelt: eine genetisch veränderte Maus, die die gleichen Eiweiß-Ablagerungen - die gleichen Plaques - im Gehirn aufweist wie Alzheimer-Patienten. Diese Mäuse haben wir mit Beerenfrüchten gefüttert. Acht Monate lang. Nicht, als sie alt waren, sondern als junge Tiere. Und sie schafften noch immer den Labyrinth-Test. Die Mäuse hatten diese Alzheimer-Plaques im Gehirn, aber wir konnten den Verfall ihrer kognitiven Fähigkeiten verhindern.

    Für Joseph erscheint Ernährung dadurch in einem neuen Licht: Sie könne in die Therapie bestimmter Krankheiten einbezogen werden. Heutige Alzheimer-Medikamente etwa wirkten nur dann, wenn der Signal-Austausch zwischen den Nervenzellen noch funktioniere. Genau da könne man mit den Anthocyanen aus Obst und Gemüse ansetzen. Denn sie aktivierten die neuronalen Botenstoffe. Sollte man Patienten mit so genannten degenerativen Gehirnerkrankungen also zu Heidelbeeren und Auberginen raten? Ja, das könne man ruhig, sagen auch andere Experten. Etwa der Spanier Joan Sabaté, Professor für Ernährung an der Loma-Linda-Universität für Gesundheitswissenschaften in Kalifornien:

    Auch wenn die letzten Beweise noch fehlen: Es ist völlig ungefährlich, mehr Obst und Gemüse zu essen. Am besten nimmt man eine breite Palette, auch in den Farben.